Genom-Editierung – fast natürlich?

Dialogkonferenz: Die Genschere im gesellschaftlichen Diskurs

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung  (BMBF) hat am 19. November 2019 zu einer Dialogkonferenz zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten (ELSA) der Genom Editierung eingeladen. Es kamen Schülerinnen und Schüler, Studierende, interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Mitglieder des deutschen Bundestags.

Frau Professorin von Messling, Abteilungsleiterin Gesundheitsforschung im BMBF,  begrüßt alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Frau Professorin von Messling, Abteilungsleiterin Lebenswissenschaften im BMBF, begrüßt alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Zöhre Kurc, BMBF

Ziel der Dialogkonferenz „Die Genschere im gesellschaftlichen Diskurs“ war es, die interessierte Öffentlichkeit für das Thema Genom-Editierung und die damit verbundenen Chancen und Risiken zu sensibilisieren, Wissen praktisch zu vermitteln und Wege für eine differenzierte Meinungsbildung aufzuzeigen. Es wurden sowohl die Genom-Editierung in der Medizin als auch die Genom-Editierung bei Pflanzen thematisiert. Damit wurde eine hochaktuelle, national wie international intensiv diskutierte Thematik aufgegriffen.

Workshops und Podiumsdiskussionen

Kernelement der Konferenz waren Impulsvorträge und eine Podiumsdiskussion zum Themenbereich „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“ sowie eine Diskussion darüber, wie das Thema Genom-Editierung in zehn Jahren diskutiert werden wird. Zudem organisierten die Projekte aus der laufenden ELSA-Förderung des BMBF zehn interaktive Workshops und stellten sowohl ihre eigenen Arbeiten als auch die Aktivitäten des BMBF in den verschiedenen Anwendungsbereichen der Genom-Editierung dar. Sie demonstrierten in vielfältigen Ansätzen, wie ein auf Wissen basierender gesellschaftlicher Dialog über den Umgang mit den neuen Techniken der Genom-Editierung gelingen kann. Für die Workshops wurden unterschiedliche interaktive Formate angewendet, um das Wissen praktisch zu vermitteln und den Teilnehmenden eine Plattform für intensive Diskussionen zu bieten.

In Ihrer Begrüßung zeigte sich Frau Professorin von Messling, Leiterin der Abteilung Lebenswissenschaften des BMBF, sehr erfreut darüber, dass die Teilnehmenden über die Chancen und Risiken der Genom-Editierung in der Pflanzenzucht und der medizinischen Anwendung diskutieren möchten. Gleichzeitig betonte sie, dass es wichtig sei, die Herausforderungen und Potenziale bei der Anwendung solcher neuen molekulargenetischen Techniken in den verschiedenen Anwendungsfeldern (insbesondere Medizin und Pflanzenzucht) zu verstehen, zu analysieren und in einen gesellschaftlichen Dialog darüber zu treten. Dementsprechend ermuntert sie die Teilnehmenden sich auch zukünftig einzubringen, zu diskutieren und mitzugestalten.

Die Dialogkonferenz setzte damit, nach einer Vielzahl von nationalen und internationalen Fachveranstaltungen, einen sichtbaren Impuls für den öffentlichen Diskurs zu den unterschiedlichen Anwendungsbereichen der Genom-Editierung.

Der Science Slamer David Spencer erklärt Genom-Editierung.

Der Science Slamer David Spencer erklärt Genom-Editierung.

Zöhre Kurc, BMBF

Im Anschluss führte der preisgekrönter Science Slam von David Spencer in die Genom-Editierung ein. Gut verständlich und unterhaltsam vermittelte er die wissenschaftlichen Inhalte und Herausforderungen der neuen Genwerkzeuge. Er erläuterte am Beispiel des EuGH-Urteils vom Juli 2018, warum diese Entscheidung für viele Forschende unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten unverständlich sei. Im bildlichen Vergleich gesprochen, sei es, als ob das Umwerfen eines Turmes aus Bauklötzen okay ist, das Entfernen eines einzelnen Bauklotzes hingegen nicht. Des Weiteren erläuterte er anhand der vielen Erzeugungsschritte auf einem Bauernhof, wie ein Produkt zu dem Label „ohne Gentechnik“ kommt und warum ein Produkt „mit Gentechnik“ am Ende ein Produkt „ohne Gentechnik“ werden könne, da nur die letzten Produktionsschritte über das Label entscheiden würden. Herr Spencer plädiert für eine Klärung und nachvollziehbarere Regelung von Genveränderungen.

CRISPR-Cas und ich – schöne neue Welt?

Höhepunkt der Dialogkonferenz waren die Impulsvorträge und die Podiumsdiskussion unter dem Titel „CRISPR-Cas und ich – schöne neue Welt?“.

PSt Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, eröffnete den Programmteil mit einer Rede

PSt Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, eröffnete den Programmteil mit einer Rede

Hans-Joachim Rickel, BMBF

Herr PSt Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, eröffnete den Programmteil mit einer Rede, in der er die Genom-Editierung als eine wissenschaftliche Revolution bezeichnete. Ob und wie die Gesellschaft die hieraus entstehenden Möglichkeiten verantwortungsvoll nutzen wolle, müsse sehr sorgfältig abgewogen werden. Mit Bezug auf die Genom-Editierung bei Nutzpflanzen mahnte er eine Diskussion über die Frage an, ob das EU-Gentechnikrecht risikoorientiert angepasst werden müsse. Mit Blick auf die Keimbahntherapie hob Herr PSt Rachel die Bedeutung einer rational geführten und wissenschaftsbasierten Diskussion hervor, die das „ob“ und das „wie“ der Therapie differenziert betrachtet. Er machte deutlich, dass die Vorarbeiten und Aktivitäten auf internationaler Ebene uns gleichwohl nicht von der Pflicht entbinden, in Deutschland die Frage zu diskutieren und am Ende zu entscheiden, ob Anwendungen an der Keimbahn beim Menschen vor dem Hintergrund unserer Werte- und Rechtsordnung, wie sie vor allem durch das Grundgesetz charakterisiert ist, durchgeführt werden sollten.

Impulsvorträge und Podiumsdiskussion

Professor Toni Cathomen referierte in seinem Impulsvortrag über die Perspektiven der Anwendung der Gentherapie. Professor Peter Dabrock nahm aus Sicht des Deutschen Ethikrats Stellung dazu. Professor Jörg Hacker berichtete über die Aktivitäten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Professorin Ewa Bartnik stellte die Aktivitäten der Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Genom-Editierung vor.

Cathomen zeigte die Hoffnung-spendenden Fortschritte im Bereich der somatischen Gentherapie auf, bei der es inzwischen zu ersten klinischen Anwendungen gekommen sei, und erläuterte ihre technischen Hintergründe. Im Hinblick auf die Keimbahntherapie stellte er hingegen klar, dass Zurückhaltung geboten sei, da u.a. der Nachweis einer „erfolgreichen“ genetischen Veränderung in allen betroffenen Zellen derzeit kaum zu führen sei.

Professor Dabrock vom Deutsche Ehtikrat in seinem Impulsvortrag

Professor Dabrock vom Deutschen Ethikrat in seinem Impulsvortrag

Zöhre Kurc, BMBF

Dabrock erläuterte in seinem Impulsvortrag die ethische Analyse des Deutsche Ethikrats, wonach die menschliche Keimbahn nicht kategorisch unantastbar sei und stellte die entwicklungsoffene Handreichung/Entscheidungsbaum des Ethikrats zur Keimbahntherapie vor. Unabhängig davon habe sich der Ethikrat für ein Moratorium ausgesprochen und die internationale Bedeutung der Entwicklung hervorgehoben sowie deutlich gemacht, welche Rolle Deutschland hierbei spielen sollte – insbesondere beim Aufdecken und Thematisieren moralischer Orientierungsmaßstäbe und der Förderung des internationalen Diskurses. Neben den frühen Vorarbeiten der internationalen und deutschen Wissenschaft zur Genom-Editierung, die unter anderem den Ruf nach einem Moratorium für die klinische Anwendung der Keimbahntherapie umfasste, ging Hacker auch auf die zwischenzeitlich veröffentlichte Stellungnahme der Leopoldina zur Genom-Editierung in der Pflanzenzüchtung ein und mahnte einen wissenschaftsbasierten Diskurs an. Bartnik erläuterte den Arbeitsauftrag der WHO-Arbeitsgruppe: Diese soll einen Kriterienkatalog für die Anwendung der Keimbahntherapie erarbeiten, unter welchen Bedingungen ein erfolgreicher und verantwortlicher Einsatz dieser Technik angemessen sei. Sie soll hingegen nicht über das grundsätzliche „Ob“ des Einsatzes befinden. Sie verwies zudem auf die großen Herausforderungen bei der Einbindung der Gesamtbevölkerung in die Erörterung von bioethischen Fragestellungen. Die forschungsfremden Positionen zur grünen Gentechnik in der europäischen Bevölkerung seien hierfür ein warnendes Beispiel – das Engagement der jungen Konferenzteilnehmer stimme sie hingegen zuversichtlich.

Podiumsdiskussion mit Dabrock, Cathomen, Hacker und Bartnik

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden unter anderem die Nachwirkungen der Versuche in China 2018, die möglichen Kosten der Gentherapie sowie die Dauer der Entwicklung von neuartigen Therapieansätzen thematisiert.

Professor Dabrock vom Deutsche Ehtikrat in seinem Impulsvortrag

Dabrock, Cathomen, Bartnik und Hacker in der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Moderator Wildermuth (v.l.n.r. Dabrock, Cathomen, Wildermuth, Bartnik und Hacker)

Zöhre Kurc, BMBF

Wie werden wir in zehn Jahren über Genom-Editierung denken?

In einer Abschlussdiskussion reflektierten Professorinnen Winkler und Wiesemann und Dr. Schleissing die Impressionen des Tages und diskutierten gemeinsam über die Frage, wie das Thema Genom-Editierung in zehn Jahren diskutiert werden wird.

Auf die Frage, wie wir über die Genom-Editierung in zehn Jahren denken werden, gab Winkler die Einschätzung ab, dass die Genom-Editierung als somatische Therapieform in Bereichen etabliert sein werde, in denen Zellen entnommen, modifiziert und erfolgskontrolliert zurückgeführt werden können. Wiesemanns äußerte die Vermutung, dass die Anwendung der Genom-Editierung sich in der Medizin zu einer sozialen Fragestellung entwickeln werde, in der Zugang, Preis und Kommerzialisierung zu bestimmenden Faktoren werden. Sie plädiert daher nachdrücklich dafür, global Qualitätsstandards festzulegen. Noch wichtiger aber sei, dass Deutschland sich aktiv an dieser Entwicklung mit Forschung beteilige. Nur wer selbst aktiv forsche, erfahre, was eine Technik könne und was nicht. Deswegen solle Deutschland den Weg frei machen für Forschung zur frühen Embryonalentwicklung. Auf die Frage, wie gesetzliche Regelungen zu ändern wären, die - wie z. B. das Embryonenschutz-Gesetz oder das Gentechnik-Gesetz - Ergebnisse langer und schwieriger Konsensfindungen waren, antwortete Schleissing, dass dafür triftige, sachliche Gründe aufgezeigt werden müssten, die für eine Forschung sprechen. Beide Gesetze wurden zu einer Zeit beschlossen, in der die Technik der Genom-Editierung noch nicht erforscht und verstanden war. Erneut einen Konsens zu finden, sei ein schwieriger Prozess. Aber benachbarte Länder hätten ja bereits bewiesen, dass ein Konsens gefunden werden kann. Schleissing stellte fest, dass in der Debatte das „Vorsichts-Prinzip“ sehr dominant sei, also die Frage wie mit ungewissen Risiken umgegangen werden soll. Er vermisse dagegen eine „Vorsorge-Kultur“, der nur Rechnung getragen werden könne, wenn Forschung ermöglicht werde. Wiesemann griff die Vorstellung einer Vorsorge-Kultur auf und betonte, dass Vertrauen in Gesellschaften aufgebaut werden müsse. Vertrauen, dass die Gesellschaft sich im Wesentlichen für das allgemeine Wohl einsetzt, sich dafür engagiert. Die heutige Dialogkonferenz sei ein gutes Beispiel für so ein Engagement. Wichtig sei, dass die Naturwissenschaftler sich am Diskurs beteiligen, ihre Argumente verständlich machen, die Argumente anderer anhören und Vertrauen erzeugen für ihr Handeln als Forschende. Nur so könne die Freiheit der Forschung erhalten bleiben.

Impressionen Professorin Winkler

Winkler hat den Trend beobachtet, dass zur somatischen Genom Editierung beim Menschen wenig Diskussionsbedarf bestehe und die Anwendung auch im Bereich der Keimbahn bei schweren Erkrankungen befürwortet werde. Überrascht habe sie die große Bedeutung des Naturbegriffs, auch wegen der Ambivalenz: bei Pflanzen werde Natürlichkeit als erstrebenswert angesehen, bei Menschen jedoch nicht, weil dies einen unbehandelten Krankheitsverlauf bedeuten würde.

Impressionen Professorin Wiesemann

Wiesemann stellte besonders die gesellschaftliche Beteiligung heraus, die ihres Erachtens bei dieser Dialogkonferenz gelungen sei. Beeindruckt habe sie insbesondere die tollen Argumente und die Wandlung der Argumentation durch den Dialog. Es zeige, dass Personen, die sich interessieren, einen wertvollen Beitrag zur Diskussion leisten könnten.

Impressionen Dr. Schleissing

Schleissing fand es beeindruckend zu sehen, wie eine Diskussion, in der wissenschaftlich basierte Fakten vorangestellt werden, die Umstrittenheit einer Thematik entfalten könne und eine sachgerechte Debatte ermögliche. Wichtig sei dabei auch, dass die Vielzahl der unterschiedlichen Meinungen Raum bekommen und nebeneinander stehen bleiben können. Die Materialien, wie z.B. der Online-Ethikrat oder die GenomXpress Scholae 6, die für einen solchen Dialog entwickelt wurden, hätten in der Demonstration ihre zielführende Wirkung beeindruckend bewiesen.

Weitere Informationen zum Online-Ethikrat und  GENOMXPRESS SCHOLÆ 6 finden Sie auf den Internet-Seiten:

https://ethikrat.pflanzen-forschung-ethik.de/

https://www.dialog-gea.de/de/service/genomxpress-scholae

Winkler, Wiesemann. Schleissing diskutieren die Impressionen des Tages

Professorinnen Wiesemann und Winkler und Dr. Schleissing diskutieren mit dem Moderator Wildermuth die Impressionen des Tages

Zöhre Kurc, BMBF

Abschließend wurde die Frage diskutiert, ob wir in Deutschland flexiblere Formen der Regulierung brauchen. Wiesemann erläuterte daraufhin als nachahmenswertes Beispiel das Bioethik-Gesetz  Frankreichs. Dort stehe im letzten Paragraphen, dass das Gesetz alle sieben Jahre überprüft werden müsse und dafür eine Konsultation der Bevölkerung erforderlich sei. Dies habe Frankreich in einem sehr aufwändigen und umfänglichen Prozess gerade zum ersten Mal gemacht. Das französische Parlament habe auf dieser Grundlage das Bioethik-Gesetz an diversen Stellen neu gestaltet. Auch Winkler hielt ein Ablauf- und Anpassungsdatum bei gewissen gesetzlichen Regelungen für eine denkbare Lösung. Das Podium war sich einig, dass für eine Konsultation der Bevölkerung gute Wege gefunden werden müssen. Für einen Erfolg sei eine gute Atmosphäre und Diskussionskultur erforderlich. Dafür brauche es Unterstützung und Schulung der Wissenschaftler, Erfolgsmodelle für solche Dialoge und Anreize durch Wissenschaftsförderung.

Dr. Rösler verabschiedet sich von den Teilnehmenden und bedankt sich für die engagierte Teil-nahme

Dr. Roesler, Leiter des BMBF-Referates Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften, verabschiedet sich von den Teilnehmenden und bedankt sich für die engagierte Teilnahme

Zöhre Kurc, BMBF

Dialogischer Abschluss

Abschließend wies Herr Dr. Roesler, Leiter des Referates „Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften“ im BMBF, darauf hin, dass für die Konferenz bewusst ein dialogischer Abschluss gewählt wurde: Es sei der Versuch, einen Einblick in den Diskurs zu bioethischen Fragen der Genom-Editierung zu geben und gleichzeitig die Möglichkeit zu eröffnen, selbst ein Teil dieses Diskurses zu sein. So habe jeder Teilnehmende einen Einblick von der Vielschichtigkeit des Diskurses bekommen können. Roesler hob die offene Atmosphäre und das Interesse an wissenschaftlichen Fakten positiv hervor. Es zeige, dass die Fragen nicht zu schwierig seien, sondern dass es vielmehr auf gute Dialog-Modi ankäme. Das hätten die ELSA-Projekte mit ihren bereits in den Projekten bewährten Workshop-Formaten eindrucksvoll demonstriert.

Einblicke in die Workshops der Dialogkonferenz

Ihre Stimme ist gefragt: Über TED Abfrage können die Anwesenden direkt abstimmen.

Workshops zur Genom-Editierung in der Medizin und bei Pflanzen

Für die Workshops wurden unterschiedliche interaktive Formate gewählt, die allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit boten, sich aktiv einzubringen.

Informationsstand „Gläsernes Leben“

Interaktive Aktionen und Infostände im Foyer

Informationen zum Deutschen Ethikrat, der Akademie für Ethik in der Medizin und dem „Gläsernen Labor“ gab es an den Infoständen im Foyer des BMBF.