11.07.2022

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AIDS-Forschung: Auf der Suche nach dem molekularen Schlüssel für eine bessere Therapie

Warum „schlummern“ manche HI-Viren im menschlichen Körper, während andere aktiv werden? Über die Entschlüsselung molekularer Mechanismen wollen Forschende in Hamburg neue Ansatzpunkte zur Therapie chronischer HIV-Infektionen finden.

Medizinische Teströhrchen

Bislang lassen sich HI-Viren nicht vollständig aus infizierten Körperzellen eliminieren; Forschende aber arbeiten an neuen Therapeutika zu ihrer dauerhaften Schwächung.

jarun011 / Adobe

Die vom Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) ausgelöste Immunschwäche AIDS lässt sich inzwischen meist gut behandeln, Betroffene müssen aber lebenslang Medikamente einnehmen. Heilbar ist die Erkrankung bislang nicht, denn die eingesetzten Therapien unterdrücken zwar die Vermehrung des Virus, können es aber nicht vollständig aus einmal infizierten Körperzellen entfernen. Es entsteht eine chronische Infektion, die das Immunsystem schwächt und vielfältige Begleiterkrankungen auslöst.

Das Besondere im Lebenszyklus der HI-Viren: Sie können im Erbgut von Körperzellen unentdeckt „schlummern“ oder plötzlich aktiv werden. Welche molekularen Mechanismen dem zugrunde liegen, will eine Gruppe von Nachwuchsforschenden am Hamburger Leibniz-Institut für Virologie (LIV) entschlüsseln. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert dieses Forschungsprojekt mit rund zwei Millionen Euro.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO lebten im Jahr 2020 weltweit etwa 37,7 Millionen Menschen mit HIV; die von ihm ausgelöste und nicht heilbare Immunschwächekrankheit AIDS gehört zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit. Eine frühzeitige Therapie kann aber dafür sorgen, dass sich das Virus nicht weiter im menschlichen Körper vermehrt. Dabei werden immer mehrere Wirkstoffe miteinander kombiniert, doch können bei der Therapie auch Nebenwirkungen auftreten und die eingesetzten Medikamente mit der Zeit an Wirksamkeit verlieren. Dank der HIV-Therapien kommt AIDS in Ländern mit einem guten Gesundheitssystem immer seltener vor – umso wichtiger sind weitere Forschungsarbeiten für Menschen in Ländern mit unzureichender medizinischer Versorgung, die kaum Zugang zu einer lebenslangen und teuren Behandlung haben.

„Im Projekt HIVGenomics werden wir zunächst untersuchen, wie sich eine chronische Infektion mit HIV auf die biochemischen Vorgänge in den Körperzellen auswirkt“, erklärt Dr. Ulrike Lange, wissenschaftliche Leiterin des Teams und Ärztin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „So hoffen wir, neue Parameter für die Krankheitsüberwachung und neue Ziele für Therapeutika zu finden.“

Neue Therapeutika sollen HI-Viren dauerhaft schwächen

Mit neuen experimentellen Technologien analysiert die von Lange geleitete Nachwuchsgruppe, welchen Einfluss das HI-Virus auf die Funktion des Genoms hat, der Gesamtheit aller Erbinformationen einer menschlichen Zelle. Denn das Virus vermehrt sich, indem es sich in das Erbgut der infizierten Zelle einfügt. So verbleibt es dauerhaft in der Zelle und wird an die Tochterzellen weitergegeben. Während virale Effekte auf das körperliche Abwehrsystem in der chronischen HIV-Infektion gut untersucht sind, sind die Auswirkungen dieses wichtigen Aspektes der Infektion bislang weitgehend unerforscht. „Wir müssen besser verstehen, wie das Erbgut des Virus die Aktivität des Genoms der Wirtszelle verändert und dort ablaufende biochemische Prozesse beeinflusst“, sagt Lange. Die in den Zellen schlummernden DNA-Bausteine lassen ein regelrechtes Virusreservoir entstehen. Und dieses Reservoir, so Lange, „ist die größte Hürde, das HI-Virus vollständig zu eliminieren“.

Die Forschenden wollen unter anderem untersuchen, warum sich das Virus besonders häufig an bestimmten Stellen im Erbgut einfügt, in der Fachsprache „genomische Integrationsorte“ genannt. Möglicherweise könnte das Virus dort bestimmte Prozesse in Gang setzen, die eine Vermehrung der virusbefallenen Zellen begünstigen. Ein weiterer Aspekt, der erforscht werden soll, ist die Rolle von chimären DNA-Produkten, die aus zusammengesetzten Teilen von sowohl viralem als auch menschlichem Erbgut bestehen. Erst kürzlich wurden diese abnormalen und körperfremden Genprodukte entdeckt, aber derzeit ist noch unklar, wie sie entstehen und wirken. Es wäre möglich, dass diese chimären DNA-Produkte zur HIV-Erkrankung beitragen.

Über ein besseres Verständnis dieser molekularen Mechanismen hoffen die Forschenden das HI-Virus dauerhaft schwächen, die chronische Infektion kontrollieren und ein Fortschreiten der Krankheit verhindern zu können. „Wir wollen chronisch HIV-Infizierte mit neuen Therapeutika individuell angepasst behandeln, das Risiko von Begleiterkrankungen besser einschätzen und Betroffenen eine Unterbrechung der Behandlung ermöglichen können“, beschreibt Lange ihr Forschungsziel. Auf lange Sicht hofft die Wissenschaftlerin mit ihrem Team auch dazu einen Beitrag leisten zu können: Dass die Immunschwäche AIDS zu einer heilbaren Krankheit wird.

Über die Richtlinie zur Förderung von Nachwuchsgruppen in der Infektionsforschung unterstützt das Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) das Projekt „HIVGenomics – Genomik der chronischen HIV Erkrankung“ von 2022 bis 2027 mit ca. zwei Millionen Euro. Ziel der Fördermaßnahme ist es, die Karriere qualifizierter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in der klinischen und anwendungsorientierten Infektionsforschung gezielt zu fördern und die wissenschaftliche Basis in der Infektionsforschung in Deutschland zu stärken. Im Mai 2022 startete die zweite Förderphase der Maßnahme.