Alzheimer: „Zwerge“ bringen Medikamente ins Gehirn - Neue Methode im Kampf gegen das fortschreitende Vergessen

Mehr als 26 Millionen Menschen leiden weltweit an Alzheimer. Bislang gibt es für diese fortschreitende Erkrankung des Gehirns keine Heilung. Vielversprechende Therapieversuche scheitern oftmals daran, dass die Medikamente nicht dort ankommen, wo sie gebraucht werden: im Gehirn der Alzheimer-Patienten. Wissenschaftler hoffen nun, Medikamente mithilfe von Nanopartikeln ganz gezielt in das Gehirn einschleusen zu können.

Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen sind oftmals erste Anzeichen für eine Alzheimer-Demenz. In Deutschland leiden rund 700.000 Menschen an Alzheimer, einer Erkrankung, bei der langsam fortschreitend Nervenzellen im Gehirn absterben. Eine Heilung gibt es bislang nicht. „Es gibt zwar einige vielversprechende Ansätze, um das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit zu verlangsamen. Meist scheitern sie jedoch, weil die Medikamente nicht dort ankommen, wo sie ihre Wirkung entfalten sollen: im Gehirn der Patienten“, erklärt Prof. Dr. Claus Pietrzik, Koordinator des internationalen Forschungsteams NanoBrain. Der Grund: Das Gehirn wird durch die sogenannte Blut-Hirn-Schranke abgeriegelt und geschützt. Diese Schranke zwischen Blutgefäßen und Gehirn verhindert, dass schädliche Substanzen, aber eben auch Alzheimer-Medikamente, in das Gehirn gelangen. Professor Pietrzik und seine Projektpartner aus Deutschland, Österreich und Israel wollen die Blut-Hirn-Schranke nun gezielt austricksen – mit Nanopartikeln.

Huckepack über die Blut-Hirn-Schranke

Im Gehirn von Patienten mit Alzheimer-Demenz sterben Nervenzellen ab. Die Folge: Das Gehirn schrumpft um bis zu 20 Prozent. Zudem bilden sich zwischen den Nervenzellen typische Eiweißablagerungen, die Amyloid-Plaques. „Diese Eiweißablagerungen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit“, so Professor Pietrzik. Bestimmte Medikamente, zum Beispiel nichtsteroidale Anti-Rheumatika, können die Entstehung dieser Eiweißablagerungen stoppen – zumindest im Tiermodell. „In großen klinischen Studien mit Alzheimer-Patienten haben die Medikamente allerdings noch nicht funktioniert. Der Grund ist, dass der Wirkstoff wahrscheinlich gar nicht im Gehirn ankommt. Denn Anti-Rheumatika können die Blut-Hirn-Schranke nur schlecht überwinden“, erläutert der Wissenschaftler. Die Forscher versuchen nun, mithilfe der Nanopartikel dieses Alzheimer-Medikament in das Gehirn zu transportieren. Nanopartikel sind hier winzige Fettkügelchen, die mit Medikamenten beladen werden können. Das Wort nano kommt aus dem Griechischen und heißt Zwerg. „Die von uns verwendeten Nanopartikel sind etwa 250 Nanometer klein. Ein Nanometer entspricht einem milliardstel Meter“, erklärt Professor Pietrzik. Die Nanopartikel werden von den Wissenschaftlern mit Ankermolekülen versehen, die bestimmte Strukturen in der Blut-Hirn-Schranke erkennen. „Diese Ankermoleküle binden ganz gezielt einen Rezeptor auf der Blut- Hirn-Schranke und transportieren so die Nanopartikel und mit ihnen auch das Alzheimer-Medikament quasi huckepack ins Gehirn“, sagt der Experte. Die Entwicklung dieser neuartigen Transportmethode von Medikamenten und die Untersuchung von Chancen und Risiken werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des europäischen Forschungsnetzes NEURON unterstützt.

Alzheimer: Das fortschreitende Vergessen

Die Alzheimer-Krankheit ist nach ihrem Erstbeschreiber, dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer, benannt. Die Alzheimer-Demenz ist eine Krankheit des Gehirns, bei der langsam fortschreitend und zunächst unbemerkt Nervenzellen absterben und Kontakte zwischen Nervenzellen gestört werden. Weltweit leiden mehr als 26 Millionen Menschen an Alzheimer, betroffen sind in der Regel Menschen ab dem 50. Lebensjahr. Die Krankheit ist gekennzeichnet durch Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sowie durch Beeinträchtigungen des Denk- und Urteilsvermögens. Wenn Alzheimer- Patienten erstmals durch ihre Vergesslichkeit auffallen, hat sich ihr Gehirn meist schon über Jahre hinweg verändert.

ERA-Netz NEURON: Internationale Zusammenarbeit in den Neurowissenschaften

Das ERA-Netz NEURON (ERA steht für European Research Area, Europäischer Forschungsraum, NEURON für Network of European Funding for Neuroscience Research) ist ein von der EU im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms gefördertes Projekt. Mit der ERA-Netz-Initiative möchte die Europäische Kommission gemeinsame Förderaktivitäten unter Nutzung nationaler Fördermittel initiieren. Ziel von NEURON ist, die europäischen Förderprogramme und -aktivitäten von derzeit 17 Förderorganisationen aus 11 europäischen Ländern, Israel und Kanada auf dem Gebiet der krankheitsorientierten neurowissenschaftlichen Forschung zu verbinden. Die internationale Zusammenarbeit soll Synergien schaffen und so das Verständnis neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen beschleunigen sowie zur Entwicklung therapeutischer Strategien und Rehabilitationsmaßnahmen beitragen.

NanoBrain ist ein Projekt, das im Rahmen des ERA-Netzes NEURON vom BMBF mit mehr als 500.000 Euro für drei Jahre gefördert wird. Koordiniert wird das Projekt von Prof. Dr. Claus Pietrzik von der Universität Mainz. Neben Wissenschaftlern aus Mainz und vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert sind auch Forscherinnen und Forscher aus Österreich und Israel an NanoBrain beteiligt.

Am 21. September 2010 ist Welt-Alzheimer-Tag.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Claus Pietrzik
Institut für Pathobiochemie
Molekulare Neurodegeneration
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Duesbergweg 6
55128 Mainz
Tel.: 06131 392-5390
Fax: 06131 392-6488
E-Mail: pietrzik@uni-mainz.de