Bluttest statt Tomographie - Krankheitsschübe bei Multipler Sklerose frühzeitig im Blutbild erkennen

Jedes Jahr erkranken etwa 2.500 Menschen in Deutschland – meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr – an einer Multiplen Sklerose. Diese entzündliche Erkrankung, bei der das eigene Immunsystem das Nervensystem angreift, verläuft von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Meist äußert sich eine Multiple Sklerose in Krankheitsschüben mit neurologischen Ausfällen. Bei schweren Krankheitsverläufen können die Schübe zu einer dauerhaften Behinderung führen. Heilung gibt es bislang nicht.

Um die Beschwerden der Patienten zu lindern und den Verlauf der Krankheit positiv zu beeinflussen, können jedoch die akuten Krankheitsschübe behandelt werden. „Deshalb ist es wichtig, einen MS-Schub frühzeitig zu erkennen – am besten noch bevor die ersten Symptome entstehen“, betont Prof. Dr. Torsten Witte von der Medizinischen Hochschule Hannover. Einen MS-Schub zu erkennen, ist allerdings nicht einfach: Weniger als ein Viertel der Krankheitsschübe wird tatsächlich diagnostiziert und anschließend behandelt. Bisher können Ärzte einen MS-Schub nur durch die Darstellung der charakteristischen Entzündungsherde im Kernspin-Tomographen sicher erkennen. In Zukunft soll die Diagnose schneller, einfacher und kostengünstiger gestellt werden: durch einen Bluttest.

Antikörper signalisiert Krankheitsschub

Aber welcher Stoff im Blut von MS-Patienten deutet auf einen Schub hin? „Wir haben herausgefunden, dass Patienten, die mit einem MS-Schub in die Klinik kommen, vermehrt einen Autoantikörper gegen ein Protein namens alpha-Fodrin im Blut haben“, beschreibt Professor Witte. Ein Autoantikörper ist ein Antikörper, der nicht gegen äußere Eindringlinge gerichtet ist, sondern gegen den eigenen Körper. Mit diesem Antikörper wurde erstmals ein Biomarker gefunden, der unmittelbar mit den Schüben einer Multiplen Sklerose in Verbindung steht. Professor Witte entwickelt nun gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen einen Labortest zum Nachweis von alpha-Fodrin im Blut und somit zur Diagnose von MS-Schüben. Das Projekt wird im Rahmen der Fördermaßnahme „Molekulare Diagnostik“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Bei der Entstehung der MS spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle. „Normalerweise bekämpft unser Immunsystem Eindringlinge von außen, wie zum Beispiel Viren oder Bakterien. Bei der Multiplen Sklerose richtet sich das Immunsystem allerdings gegen den eigenen Körper. Deshalb wird die Multiple Sklerose auch zu den Autoimmunerkrankungen gezählt“, beschreibt Professor Witte. Das Immunsystem bildet dann Antikörper gegen körpereigenes Gewebe, wie etwa gegen alpha-Fodrin. Dieses Eiweiß findet sich in großen Mengen in den Schutzhüllen von Nervenzellen, den so genannten Mark- oder Myelinscheiden. Werden sie durch Antikörper „angegriffen“, entsteht eine Entzündung: Nervenimpulse aus dem Gehirn und Rückenmark können dann nicht mehr richtig an verschiedene Regionen des Körpers weitergeleitet werden. Vielfältige neurologische Symptome sind die Folge, wie zum Beispiel Sehstörungen, ein Kribbeln in der Haut, Nervenschmerzen oder Lähmungen. Die Markscheiden im Gehirn, im Sehnerv oder im Rückenmark von MS-Patienten können durch diese Entzündung auf Dauer zerstört werden.

Test schlägt an, bevor Symptome entstehen

Um einen funktionierenden Test herzustellen, mussten die Wissenschaftler zunächst herausfinden, gegen welchen Bereich des alpha-Fodrin-Proteins die Autoantikörper von MS-Patienten tatsächlich gerichtet sind. „Es gibt drei Bereiche im alpha-Fodrin, die nur von den Autoantikörpern im Blut von MS-Patienten während eines Krankheitsschubs erkannt werden. Nach einem MS-Schub sind diese spezifischen Autoantikörper aus dem Blut verschwunden“, erklärt Professor Witte. Derzeit können die Forscher in 80 Prozent der Fälle einen MS-Schub sicher durch ihren alpha-Fodrin-Bluttest erkennen. „Auch im Blut von vermeintlich symptomfreien Patienten haben wir zuweilen erhöhte Werte der Autoantikörper gefunden.“ Im Kernspin-Tomographen zeigte sich bei diesen Patienten tatsächlich ein unbemerktes Fortschreiten der Krankheit. „Unser einfacher Bluttest kann also einen MS-Schub schon anzeigen, bevor die ersten Symptome entstehen“, sagt Professor Witte.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Torsten Witte
Medizinische Hochschule Hannover
Klinik für Immunologie und Rheumatologie
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
Tel.: 0511 532-3014
Fax: 0511 532-8055
E-Mail: Witte.Torsten@mh-hannover.de