Februar 2024

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Braunbären liefern Hinweise auf Thrombose-Schutzmechanismus

Ein molekularer Mechanismus, der sowohl bei Braunbären als auch bei Querschnittsgelähmten nachgewiesen werden konnte, verhindert die Bildung von Blutgerinnseln. Immobilisierte Akutpatienten könnten von dieser Entdeckung zukünftig profitieren.

Zwei Personen sitzen neben einem betäubten Braunbären und nehmen ihm Blut ab.

Seit mehr als zehn Jahren wird das Blut einer Gruppe von Braunbären in Schweden wissenschaftlich untersucht. Zur Blutentnahme werden die mit GPS-Sendern ausgestatteten Tiere kurz sediert und dann wieder freigelassen.

LMU Klinikum/Tobias Petzold

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Wenn Menschen wochenlang bettlägerig sind, steigt das Risiko eines Blutgerinnsels, das sich in einer Vene bildet, durch den Blutkreislauf wandert und ein Blutgefäß in der Lunge verstopft. Tatsächlich ist Immobilität einer der größten Risikofaktoren für eine solche venöse Thromboembolie mit ihren lebensbedrohlichen Folgen.

Warum aber können Braunbären im Winter monatelang fast bewegungslos schlafen, ohne auch nur annähernd von dieser Krankheit bedroht zu sein? Und warum haben querschnittsgelähmte Patientinnen und Patienten nach der akuten Verletzungsphase kein erhöhtes Thromboserisiko? Ein internationales Forscherteam um Privatdozent Dr. Tobias Petzold von der Medizinischen Klinik I des LMU Klinikums München hat in einer vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) mitfinanzierten Studie Antworten auf dieses Paradoxon gefunden: Sowohl Braunbären als auch Querschnittsgelähmte nutzen einen Mechanismus, der die Interaktion zwischen Blutplättchen und Immunzellen reduziert und so die Bildung von Blutgerinnseln verhindert.

Braunbären im mobilen Labor in Schweden analysiert

Für die Herz- und Kreislaufspezialisten des LMU Klinikums um Tobias Petzold begann das Forschungsprojekt mit zwei Reisen nach Mittelschweden – eine im Sommer, eine im Winter. Dort wird seit mehr als zehn Jahren eine Gruppe von Braunbären wissenschaftlich untersucht, unter anderem vom dänischen Kardiologen Professor Dr. Ole Frobert vom Universitätskrankenhaus im schwedischen Örebro, der den Münchner Kolleginnen und Kollegen das neue Kooperationsprojekt vorschlug.  

Die mit GPS-Sendern ausgestatteten Braunbären wurden zur Blutentnahme sediert und sofort wieder freigelassen. In einem mobilen Labor analysierten Petzold und sein Team die Proben innerhalb von drei bis vier Stunden. Die Frage: Unterscheidet sich das Gerinnungssystem der Braunbären im Winterschlaf von dem im Sommer? Das sogenannte plasmatische Gerinnungssystem spielt normalerweise eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Venenthrombosen. „Wir haben hier aber keinen dramatisch relevanten Unterschied gefunden“, sagt die Kardiologin und DZHK-Wissenschaftlerin Dr. Manuela Thienel, Erstautorin der Studie.

Einen Teil der Blutproben nahmen die Forscherinnen und Forscher mit nach München, wo sie die Blutplättchen im Labor genauer unter die Lupe nahmen. Dabei zeigte sich: Im Körper des winterschlafenden Braunbären „ist die Interaktion zwischen den Blutplättchen und den Entzündungszellen des Immunsystems gebremst“, erläutert Petzold. „Das erklärt das Ausbleiben der Venenthrombose.“ Exakt die gleichen Mechanismen wiesen die Wissenschaftler dann auch bei querschnittsgelähmten Patientinnen und Patienten nach – und bei gesunden Probandinnen und Probanden, die sich im Rahmen eines Experiments von Raumfahrtagenturen (DLR und NASA) drei Wochen lang buchstäblich ins Bett legten.

Bären in der Winterruhe regulieren Hitzeschockprotein herunter

Um dem molekularen Mechanismus hinter dem schützenden Prozess auf die Spur zu kommen, holten sich die Mediziner die Expertise von Professor Dr. Matthias Mann und Dr. Johannes Müller-Reif, ebenso Erstautor der Studie, vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Mann ist Principal Investigator am DZHK.

Mithilfe der sogenannten massenspektroskopiebasierten Proteomik wurden fast 2.700 aktive Proteine in den Blutplättchen der Bären quantifiziert. Entscheidend dabei: In der Winterruhe sind gegenüber der Sommeraktivität 71 Proteine hoch- und 80 herunterreguliert. Müller-Reif: „Das Blutplättchen-Protein mit dem größten Unterschied zwischen überwinternden und aktiven Bären war das Hitzeschockprotein 47, das in den überwinternden Bären um das 55-Fache herunterreguliert war.“ Insbesondere konnten die Forscher zeigen, dass die Herabregulation dieses HSP47 unter Langzeit-Immobilisation in verschiedenen Säugetierarten (Mensch, Braunbär und Schwein) erfolgt und somit ein evolutionär konservierter Mechanismus zur Thromboseprävention ist.

Niedrige Werte des Proteins HSP47 verringern die Interaktion zwischen Blutplättchen und Entzündungszellen. Denn, so Petzold: „HSP47 allein ist in der Lage, Entzündungszellen zu aktivieren.“ Im biomedizinischen Umkehrschluss bedeutet das: Könnte man HSP47 bei immobilisierten Akutpatienten mit einem geeigneten Molekül blockieren, ließe sich möglicherweise die Gefahr einer venösen Thrombose verhindern. Zwar gibt es für Laborexperimente bereits sogenannte kleine Moleküle, die HSP47 ausschalten. Für einen möglichen Einsatz am Menschen sind sie aber nicht geeignet. „Deshalb“, so Petzold, „wollen wir nun selbst nach geeigneten Substanzen suchen.“

Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)

Im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung, kurz DZHK, bündeln 30 universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen an sieben Standorten in ganz Deutschland ihre Kräfte, indem sie eine gemeinsame Forschungsstrategie verfolgen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Sitzländern geförderte DZHK bietet ihnen den Rahmen, um Forschungsideen gemeinsam, besser und schneller als bisher umsetzen zu können. Wichtigstes Ziel des DZHK ist es, neue Forschungsergebnisse möglichst schnell für alle Patientinnen und Patienten verfügbar zu machen und Therapien sowie die Diagnostik und Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern.

Weitere Informationen:
www.dzhk.de

Originalpublikation:
Thienel, M., Müller-Reif, J., et al. (2023). Immobility-associated thromboprotection is conserved across mammalian species from bear to human. Science380, 178−187. DOI: 10.1126/science.abo5044

Ansprechpartner:
PD Dr. med. Tobias Petzold
Medizinische Klinik und Poliklinik I
LMU Klinikum München, Campus Großhadern
Tel.: 089 4400-712624
Marchioninistraße 15
81377 München
E-Mail: tobias.petzold@med.uni-muenchen.de

Pressekontakt:
Christine Vollgraf
Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung
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E-Mail: christine.vollgraf@dzhk.de