25.02.2020

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CORD-MI: Das Potenzial der Medizininformatik für Seltene Erkrankungen nutzen

Maßgeschneiderte IT-Lösungen und nachhaltige digitale Infrastrukturen: Damit will die Medizininformatik-Initiative nun auch die Erforschung Seltener Erkrankungen vorantreiben und die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern.

Mädchen atmet in ein Testgerät

Rund 8.000 Menschen leben in Deutschland mit Mukoviszidose. Sie zählt zu den Seltenen Erkrankungen, an denen CORD-MI beispielhaft den Mehrwert der Medizininformatik zeigen will.

Universitätsklinikum Heidelberg

„Selten sind Viele“ – so das diesjährige Motto zum Tag der Seltenen Erkrankungen am 29. Februar. Ein Widerspruch? Keineswegs. Mehr als 6.000 Seltene Erkrankungen kennt die Medizin aktuell. Tatsächlich selten sind jedoch die Menschen, die an einer dieser Erkrankungen leiden – manchmal weniger als Hundert weltweit. Die Krankheitsbilder sind oft schwer zu erkennen. „Erfahrene Klinikerinnen und Klinker schätzen, dass mehr als ein Viertel aller Patientinnen und Patienten an deutschen Universitätskliniken von einer Seltenen Erkrankung betroffen sein könnte“, so Dr. Josef Schepers vom Berlin Institute of Health (BIH).

Schepers leitet für die Charité – Universitätsmedizin Berlin den Forschungsverbund „Collaboration on Rare Diseases“ (CORD-MI), der Anfang Februar 2020 startete. Zahlreiche deutsche Universitätsklinika und Partnerinstitutionen beteiligen sich an CORD-MI, einem Anwendungsfall der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Mit rund sechs Millionen Euro fördert das BMBF den Verbund für zwei Jahre. CORD-MI arbeitet eng mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.V. (ACHSE) zusammen. Die Patientenorganisation soll die Interessen der Betroffenen in das Forschungsprojekt einbringen, etwa in Hinblick auf den Schutz persönlicher Daten.

Am 29. Februar ist „Rare Disease Day“!

Seit 2008 setzen sich am letzten Tag eines jeden Februars zahlreiche Akteure dafür ein, den Interessen von Menschen mit Seltenen Erkrankungen Gehör zu verleihen: für eine besser vernetzte Versorgung, für mehr Forschung und mehr Solidarität mit den Betroffenen. In diesem Jahr fällt der weltweite Rare Disease Day auf den seltensten Tag, den der Kalender zu bieten hat, den 29. Februar. Die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.V. (ACHSE) koordiniert und bewirbt in Deutschland dazu zahlreiche Aktionen – von medizinischen Fachtagungen und bunten Kulturabenden bis hin zu öffentlichen Informationsveranstaltungen.
ACHSE: Tag der Seltenen Erkrankungen 2020
Rare Disease Day 2020

Warum die Behandlung der „Seltenen“ so schwierig ist – und wie IT-Lösungen dabei künftig helfen sollen

Die meisten Ärztinnen und Ärzte haben es in ihrer Berufspraxis kaum mehr als ein Mal mit einer bestimmten Seltenen Erkrankung zu tun. Oft vergehen daher Jahre, bis sie das komplexe Krankheitsbild richtig deuten. Danach fehlt es ihnen meist an der für eine optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten erforderlichen Erfahrung – falls es überhaupt eine wirkungsvolle Therapie gibt, denn die meisten „Seltenen“ sind heute nicht heilbar. All diese Schwierigkeiten hängen letztendlich auch mit den niedrigen Fallzahlen zusammen.

Umso wichtiger ist es, die wenigen vorhandenen Daten zu einer Seltenen Erkrankung effizient zu nutzen. Und genau da setzt CORD-MI an. „Daten sind ein wertvoller Rohstoff für den medizinischen Fortschritt. Deshalb wollen wir die Dokumentation Seltener Erkrankungen in den Kliniken verbessern und vereinheitlichen. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für eine standortübergreifende und datenschutzkonforme Nutzung dieser Ressource“, so Schepers. „Dieser neue Datenschatz soll Forschungsprojekte anstoßen, die Sichtbarkeit Seltener Erkrankungen erhöhen und helfen, die Versorgung Betroffener zu verbessern.“

Von „häufigen“ bis zu „sehr seltenen“ Seltenen Erkrankungen

CORD-MI konzentriert sich auf eine Auswahl von Erkrankungen, darunter Mukoviszidose. „Unter den Seltenen Erkrankungen ist Mukoviszidose relativ häufig. Entsprechend groß ist das Datenmaterial, das bereits über einen langen Zeitraum erfasst wurde. Eine perfekte Grundlage also, den Mehrwert standortübergreifender innovativer Datenanalysen aufzeigen zu können“, so Prof. Dr. Helge Hebestreit, beteiligter Kliniker vom Universitätsklinikum Würzburg. „Wir wollen den Mehrwert der Medizininformatik aber auch für Menschen mit besonders Seltenen Erkrankungen aufzeigen. So haben wir auch Erkrankungen im Fokus, an denen in Deutschland möglicherweise nur zehn Menschen leiden“, saft Prof. Dr. Reinhard Berner vom Universitätsklinikum Dresden.

Die nationale und internationale Vernetzung stärken

In kaum einem anderen Bereich der Gesundheitsforschung und -versorgung ist der Austausch von Informationen über die Grenzen von Institutionen und Ländern hinweg so wichtig wie auf dem Gebiet der Seltenen Erkrankungen. „Deshalb wollen wir die Kompatibilität unserer Daten mit den Europäischen Referenznetzen für Komplexe und Seltene Krankheiten (ERNs) und der ‚European Platform on Rare Disease Registration‘ sicherstellen“, betont Schepers.

Auf nationaler Ebene sollen die durch CORD-MI gewonnenen Daten auch in den Medizinischen Versorgungsatlas für Seltene Erkrankungen einfließen, den „se-atlas“. Hier können sich Betroffene, Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, aber auch die breite Öffentlichkeit einen Überblick über Versorgungsmöglichkeiten in Deutschland verschaffen.

se-atlas.de

Was ist eine Seltene Erkrankung?

  • Eine Erkrankung gilt als „selten“, wenn sie nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betrifft.
  • Rund 80 Prozent der Seltenen Erkrankungen haben genetische Ursachen.
  • Etwa jede zweite Seltene Erkrankung zeigt bereits im Kindesalter erste Symptome.
  • Die Krankheitsbilder sind oft komplex und die Symptome chronisch und meist schwer bis sehr schwer. Sie beeinträchtigen die Betroffenen körperlich oder geistig und verringern deren Lebenserwartung.
  • Bei einigen Seltenen Erkrankungen hilft bereits heute eine frühere Diagnosestellung, Beeinträchtigungen durch Diäten oder medikamentöse Therapien zu verhindern oder abzumildern.

BMBF stärkt die Erforschung Seltener Erkrankungen

Bereits seit 2003 fördert das Bundesforschungsministerium (BMBF) Netzwerke, die sich den Seltenen Erkrankungen widmen. Mehr als 107 Millionen Euro stellte es dafür bisher bereit. Aktuelle Maßnahmen verstetigen und stärken dieses Engagement:

  • 2018 veröffentlichte das BMBF seine jüngste Fördermaßnahme zu Seltenen Erkrankungen: Die elf geförderten Forschungsverbünde sollen Grundlagenforschung, klinische Forschung und Versorgungsforschung zu Seltenen Erkrankungen stärker miteinander verzahnen, neue diagnostische Möglichkeiten und Therapien entwickeln. Bis zum Jahr 2022 stellt das BMBF dafür 33,7 Millionen Euro zur Verfügung.
  • 2019 startete das von der EU mit 55 Millionen Euro unterstützte „European Joint Programme for Rare Diseases“ (EJP RD), um die Zusammenarbeit aller Akteure auf europäischer Ebene zu stärken. Ab 2020 werden 22 Projekte mit 30,5 Millionen Euro für drei Jahre gefördert. Das BMBF beteiligt sich daran mit 3 Millionen Euro. Anfang 2020 veröffentlichte EJP RD die zweite Förderbekanntmachung. Hierfür stellt das BMBF erneut 3 Millionen Euro zur Verfügung.