„Mit Enten hat es angefangen“ - Wie Forscher das Hepatitis-B-Virus austricksen

Professor Stephan Urban, Molekularbiologe an der Universität Heidelberg, über die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs gegen Hepatitis B

Herr Professor Urban, Sie haben einen neuen Wirkstoff entdeckt, der im Tierversuch eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus erfolgreich verhindert. Was ist das Besondere daran?
Wir haben in der Hülle des Hepatitis-B-Virus (HBV) die Region entdeckt, mit deren Hilfe das Virus seine Zielzellen in der Leber erkennt und in die Hepatozyten - also die Leberzellen - eindringen kann. Dabei handelt es sich um ein Proteinbruchstück, ein Peptid. Aus der Sicht des Virus wenden wir eine sehr subversive Strategie an: Diesen Schlüssel, den das Virus in Millionen Jahren Evolution entwickelt hat, bauen wir synthetisch nach und versperren ihm damit den Weg in die Zelle.

Wie haben Sie das Peptid entdeckt?
Angefangen hat es mit Enten. Bereits vor 15 Jahren habe ich begonnen, ähnliche Peptide beim Enten-Hepatitis-B-Virus zu charakterisieren. Mein damaliger Chef konnte meine selbstironische Einschätzung, bloß „Geflügelvirus-Forschung“ zu betreiben, nicht ganz teilen. (Lacht). Damals hatten wir nicht den geringsten therapeutischen Ansatz im Hinterkopf. Wir wollten nur verstehen, wie das Virus in die Leberzelle gelangt. Und selbst als wir die Peptide schließlich gefunden hatten, konnten wir uns nur schwer vorstellen, daraus eine Therapie zu entwickeln. Die Entdeckung baut auf einer wirklich langwierigen und mühsamen Grundlagenforschung auf - was wieder einmal zeigt, wie wichtig sie ist.

Wie sind Sie von den Enten dann zum Menschen gekommen?
Vor 2002 hatten wir nur sehr begrenzte Möglichkeiten, das humane Hepatitis-B-Virus in Zellen zu testen. Ein weiteres großes Problem der Hepatitisforschung war lange Zeit, dass keine geeigneten Tiermodelle zur Verfügung standen. Daher musste man auf ähnliche Viren zurückgreifen, die natürlicherweise im Tierreich zu finden sind. Denn das humane Virus besitzt bei Tieren keinen Krankheitswert - bis auf den Schimpansen. Sowohl aus ethischen wie aus finanziellen Gründen sind die Forschungsmöglichkeiten daher sehr begrenzt. Seit wir das humane Virus in der Zellkultur testen können, haben wir die bei den Tiermodellen begonnenen Untersuchungen fortgeführt und sind auf das Peptid gestoßen.

Wie kam es zu dem Durchbruch?
Durch die Kooperation mit der Arbeitsgruppe von PD Dr. Jörg Petersen vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Die Hamburger Wissenschaftler haben sich eine clevere Lösung für dieses Problem einfallen lassen: Sie kreuzten Mäuse ohne Immunsystem mit Mäusen, bei denen aufgrund eines defekten Gens ein Leberschaden bestand. In die Nachkommen, die sowohl einen Leberschaden als auch ein defektes Immunsystem haben, spritzten die Forscher menschliche Leberzellen. Wegen des Immundefekts wurden sie nicht abgestoßen, sondern in die Mäuseleber eingebaut. Diese Mäuse besitzen also in ihrer Leber funktionsfähige Hepatozyten vom Menschen, die mit humanen Hepatitis-Viren infiziert werden können. An diesem Mausmodell haben wir unser Peptid getestet - mit Erfolg: Schon mit sehr geringen Peptiddosen konnten wir die Infektion bei den Mäusen komplett verhindern. Diese Arbeit wurde gerade im renommierten Fachmagazin „Nature Biotechnology“ publiziert.

Wie wird das Mittel angewendet?
Als Injektion alle zwei bis drei Tage unter die Haut – wie ein Diabetiker sein Insulin spritzt. Denkbar wäre auch die Anwendung als Spray, das über die Nasenschleimhaut  oder die Lunge aufgenommen wird. Eine Kombinationstherapie mit zugelassenen Medikamenten, die gegen verschiedene Schritte des Vermehrungszyklus des Virus gerichtet sind, könnte die Behandlung noch effektiver machen. Die Resistenzentwicklung ist bei den
verfügbaren Medikamenten ein großes Problem, da es sich meist um eine dauerhafte Behandlung und nicht um eine kurative Therapie handelt. Viele Patienten, die mit 18 Jahren erkrankt sind, warten bereits mit 30 auf ihre erste Lebertransplantation, weil das Virus gegen alle Wirkstoffe resistent geworden ist. Pro Tag entstehen in der Leber bis zu einer Billion neue Viren. Die Zahl der Mutationen, die letztlich zur Resistenzentwicklung führen, ist bei einem solchen „Virusumsatz“ extrem hoch. Wir kennen das Problem beim HIV. Dass ein Virus gleichzeitig gegen drei oder mehr Substanzen resistent wird, ist jedoch sehr unwahrscheinlich.

Wie viel würde die neue Therapie ungefähr kosten?
Peptide sind teuer in der Herstellung. Allerdings wird dieser Faktor bei unserer Substanz keine so große Rolle spielen. Wir gehen davon aus, dass bereits geringe Dosen von etwa 0,5 - 1 mg ausreichen, weil der Wirkstoff höchst effektiv ist und direkt in die Leber geht. Die Herstellung der Substanz für eine dreijährige Therapie würde circa 100 Euro kosten. Bleibt zu hoffen, dass die Pharmaunternehmen, welche den Wirkstoff möglicherweise verkaufen, keinen zu hohen Preis verlangen werden.

 

Hepatitis B: Hundert Mal ansteckender als HIV
Das Hepatitis-B-Virus wird über Blut und andere Körperflüssigkeiten übertragen. In den Industrieländern erfolgt die Ansteckung in mehr als 50 Prozent der Fälle durch sexuellen Kontakt mit einem Virusträger. Daher sind neben den Risikogruppen (z. B. Drogenabhängige, medizinisches Personal) insbesondere junge, sexuell aktive Menschen gefährdet. Das Virus ist etwa hundert Mal ansteckender als HIV. Bereits kleinste Mengen Blut und geringfügige Verletzungen reichen aus, da ein Milliliter Blut bis zu fünf Milliarden infektiöse Hepatitis-B-Viren enthalten kann. In Deutschland sind circa 0,6 Prozent der Bevölkerung chronische Virusträger und damit potenziell ansteckend. Besteht kein Impfschutz, ist die Ansteckungsgefahr groß.

Obwohl seit den 80er Jahren eine wirksame Impfung gegen Hepatitis-B zur Verfügung steht, stellt die Erkrankung nach wie vor ein großes Gesundheitsproblem dar. Etwa 300 bis 400 Millionen Menschen weltweit leiden unter einer chronischen Hepatitis-B-Infektion, die zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen kann. An den Folgen sterben pro Jahr bis zu eine Million Menschen. Die Wirkung der verfügbaren Medikamente ist begrenzt. Die Therapie mit dem immunstimulierenden Gewebshormon Interferon-α ist nur bei circa 30 Prozent der Patienten erfolgreich und führt zu erheblichen Nebenwirkungen. Auch die langfristige Wirksamkeit von Medikamenten, die gegen ein spezifisches Virusprotein gerichtetet sind (Reverse-Transkriptase-Inhibitoren), ist durch die häufige und oft rasche Resistenzentwicklung beschränkt. Eine Lebertransplantation ist dann die letzte therapeutische Option.