Versorgungsforschung

Gesundheitsforschung ist vielschichtig. Neben der biomedizinischen Grundlagenforschung auf der Ebene von Zellen und Geweben und der krankheitsorientierten Forschung im Labor gibt es die klinische Forschung, die die Wirksamkeit neuer Behandlungen bei ausgewählten Patientinnen und Patienten überprüft. Oft unterschätzt wird der vierte Pfeiler, die Versorgungsforschung. Sie interessiert sich für die Wirksamkeit von Therapien unter Alltagsbedingungen und fragt zusätzlich, wie die Versorgung konkret verbessert werden kann.

Was ist Versorgungsforschung?

Die Gesundheitsversorgung in einem modernen Industriestaat hat den Anspruch, allen Menschen Zugang zu einer bestmöglichen medizinischen Versorgung zu verschaffen. Gerade in einem sehr dynamischen Feld wie der Medizin beinhaltet dieser Anspruch auch, dass neue Therapieverfahren und Versorgungskonzepte, deren Nutzen belegt ist, den Patientinnen und Patienten rasch und flächendeckend zugänglich gemacht werden.

Das ist aber kein Selbstläufer. Zwar gibt es mittlerweile zu den meisten Erkrankungen wissenschaftlich fundierte Behandlungsempfehlungen, beispielsweise wissenschaftliche Leitlinien. Es hängt aber auch noch von vielen anderen Faktoren ab, ob und wie schnell sich bestimmte Standards durchsetzen, sei es bei der pharmakologischen Behandlung, bei der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln oder bei der Organisation der medizinischen Versorgung. Zu diesen Faktoren gehören natürlich die Kosten der jeweiligen Verfahren, aber auch die Aus- und Weiterbildung, die Art und Intensität der Kooperation zwischen medizinischen und anderen sozialen Einrichtungen. Außerdem spielen Patientenfaktoren wie die Therapietreue und die jeweilige Lebenswelt des Patienten eine große Rolle.

Versorgungsforschung untersucht genau diese „Wirklichkeit“ der medizinischen Versorgung. Sie liefert Informationen über Einsatz, Erfolg und Risiken von diagnostischen und therapeutischen Verfahren sowie Versorgungskonzepte unter Alltagsbedingungen. Damit beantwortet Versorgungsforschung Fragen, die weder die biomedizinische Grundlagenforschung noch die klassische klinische Forschung beantworten können.

Warum brauchen wir Versorgungsforschung?

Schön und gut, ließe sich einwenden, aber wozu das alles? Genauso wie die Grundlagenforschung ist natürlich auch die Versorgungsforschung nicht Forschung um der Forschung Willen. Mit Hilfe der Versorgungsforschung können vielmehr ganz konkret Defizite identifiziert werden. Als zweiter und genauso wichtiger Schritt lassen sich dann auf Basis dieser Analyse Veränderungen vornehmen, die die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern.

Wenn beispielsweise durch die Auswertung von Routinedaten der Krankenhäuser oder Krankenversicherungen festgestellt wird, dass in einer Region die Versorgung von Menschen mit Zuckerkrankheit nicht optimal ist, dann ist das Versorgungsforschung. Wenn dann in dieser Region ein strukturiertes Versorgungskonzept unter Einbeziehung unterschiedlicher Partner aufgebaut wird, um die Diabetesversorgung zu verbessern, ist es wiederum Aufgabe der Versorgungsforschung, zu evaluieren, ob das auch wie geplant funktioniert.

Auch die Kosten im Blick

Versorgungsforschung hat viel mit der Analyse von Versorgungsqualität zu tun. Kommen bestimmte Therapien bei den Patienten an, und wenn nein, warum nicht? Sind bestimmte Medikamente im Alltag genauso sicher wie in klinischen Studien? Oder treten unerwartete Probleme auf, wenn sie Patienten verschrieben werden, die noch andere Krankheiten oder Einschränkungen haben, die in der klinischen Studie nicht explizit berücksichtigt wurden?

Ein weiterer Aspekt von Versorgungsforschung ist die Kostenseite. Wir alle freuen uns, dass immer mehr innovative medizinische Behandlungen zur Verfügung stehen. Klar ist aber auch, dass die Kosten dabei nicht aus dem Blick geraten dürfen, um unser solidarisch finanziertes Gesundheitswesen, um das uns die ganze Welt beneidet, auf Dauer nicht aus den Angeln zu heben. Die gesundheitsökonomische Forschung ist deswegen ein zunehmend wichtiger Bestandteil der Versorgungsforschung. In Deutschland wurde in den letzten Jahren an vielen Stellen gesundheitsökonomische Kompetenz aufgebaut, um bei diesem wichtigen Thema nicht aus dem Bauch heraus argumentieren zu müssen.