Wie funktioniert das menschliche Gedächtnis? Welche Hirnfunktionen sind bei Alzheimer-Patienten gestört? Wo entstehen Kopfschmerzen? Dass diese Fragen heute erforscht werden können, verdanken wir den Fortschritten in der Gesundheitsforschung, wie sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert. Insbesondere das Feld des Neuroimaging bietet durch die Betrachtung von Strukturen und Aktivitäten im Gehirn immer neue Ansätze, um Krankheitsbilder besser zu verstehen und zu diagnostizieren.
Einen Blick in das lebende Gehirn werfen – die Neuro-Bildgebung macht es möglich. Dabei können Wissenschaftler mit nicht-invasiven Untersuchungen sowohl etwas über die Struktur als auch über die Funktion des Gehirns lernen. „Die hohe Auflösung der Bilder erlaubt mittlerweile Aufnahmen auf 1x1x1 Millimeter Genauigkeit. Das heißt, Forscher können heute bereits kleinere Veränderungen in der Hirnaktivität anschauen“, sagt Prof. Dr. Christian Büchel vom Neuroimage Nord in Hamburg, einem der deutschen Zentren für Neuroimaging. „Das Feld der bildgebenden Verfahren hat sich in den letzten Jahren sehr schnell entwickelt.“ Auch wenn dies noch die ersten Versuche sind, in das Gehirn des Menschen hineinzuschauen, gibt es bereits wichtige Erkenntnisse.
Ein Beispiel: Bei Patienten, die nach einem Schlaganfall Lähmungserscheinungen haben, konnten Wissenschaftler nachweisen, dass bestimmte Hirnareale bereits aktiviert werden, wenn die Patienten beobachten, wie ein Gegenüber entweder Bein, Hand oder Mund bewegt. Ganz offensichtlich kann allein durch das Betrachten von Bewegungen das Wiedererlernen von verlorenen Fertigkeiten beschleunigt werden. Ersten Untersuchungen zufolge gelang es den Schlaganfallpatienten während der Rehabilitation deutlich schneller, verlernte Bewegungsmuster erneut zu erlernen, wenn sie diese bei anderen beobachten konnten und nicht ausschließlich selbst trainierten.
Von der Struktur hin zur Funktion
Eine der ersten bildgebenden Techniken zur Messung von Aktivität im Gehirn war die Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Bei dieser Methode nutzen die Forscher die Tatsache, dass der Stoffwechsel von Nervenzellen erhöht ist, wenn ein Mensch eine Tätigkeit ausübt. Prof. Dr. Büchel veranschaulicht dies an einem Beispiel: „Im Sehzentrum wird besonders viel gearbeitet, wenn wir etwas anschauen. Dann benötigen die Nervenzellen vermehrt Sauerstoff. Da der Sauerstoff über das Blut transportiert wird, steigt in der Hirnregion, die für die visuelle Wahrnehmung zuständig ist, der Blutfluss an.“ Wo der Blutfluss hoch ist, ist das Gehirn also besonders aktiv.
Woran erkennen die Wissenschaftler nun, ob eine Hirnregion einen niedrigen, einen normalen oder einen erhöhten Blutfluss aufweist? „Bei der PET funktioniert dies über radioaktive Substanzen, die in die Vene injiziert werden“, erklärt Prof. Dr. Büchel. „An blutreichen Stellen befindet sich besonders viel radioaktive Substanz, die mit Detektoren geortet werden kann.“ So können Wissenschaftler heutzutage mithilfe der PET-Untersuchung Orte neuronaler Aktivität im Gehirn identifizieren.
Der Fortschritt in der Bildgebung geht aber noch weiter: Vor etwa 20 Jahren wurde die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) entwickelt, die sogenannte Kernspin-Tomographie, die ohne Radioaktivität auskommt. Die MRT arbeitet mit einem Magnetfeld, auf das die Atome in den Körperzellen reagieren. Je nach Art des Gewebes sind die Anzahl und Zusammensetzung der Atome unterschiedlich und verschiedene Strukturen des Körpers können so detailliert dargestellt werden.
Im nächsten Schritt galt es nun, neben der Struktur auch die Funktion zu erfassen. Hier machten sich die Wissenschaftler zunutze, dass der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, seine magnetischen Eigenschaften ändert, wenn Sauerstoff transportiert wird. Das heißt, dort, wo gerade viel Sauerstoff unterwegs ist, erscheint das MRT-Bild nun beispielsweise heller. So wird statt eines externen Kontrastmittels das Blut selbst als Kontrastmittel genutzt, um aktive Bereiche im Gehirn zu visualisieren. Damit war die funktionelle MRT, kurz fMRT, geboren.
Erste Erfolge in der Diagnose
Besonders bei der Erforschung von psychiatrischen, neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen, wie Morbus Alzheimer, ist der Einsatz der funktionellen Bildgebung fortgeschritten. „Zunächst wird immer untersucht, was das gesunde Gehirn bei welcher Aktivität macht“, so Prof. Dr. Büchel. „Zum Beispiel ist die Voraussetzung für die Forschung an der Alzheimer-Demenz, dass wir überhaupt verstehen, wie Gedächtnisprozesse funktionieren und welche Hirnareale daran beteiligt sind.“ Denn sind Stoffwechselprozesse in bestimmten Hirnregionen gestört, kann dies dank der funktionellen Bildgebung erfasst und anschließend mit einer bestimmten Krankheit in Verbindung gebracht werden. Mit einem hochauflösenden Gerät lassen sich selbst kleinste Veränderungen erkennen. So geben Abweichungen in der Vernetzung von Nerven zum Beispiel wichtige Hinweise auf eine mögliche Alzheimer-Erkrankung.
Eine weitere Erfolgsgeschichte der funktionellen Bildgebung ist die Diagnose von Cluster-Kopfschmerz. Bei dieser schwerwiegenden Form des Kopfschmerzes leiden die Betroffenen an einseitigen extremen Schmerzen im Bereich von Schläfe und Auge, die in Attacken auftreten. „Untersuchungen belegen, dass bei Cluster-Kopfschmerz-Patienten während einer Schmerzattacke einzelne Strukturen in einer bestimmten Hirnregion, dem Hypothalamus, besonders aktiv sind“, erklärt Prof. Dr. Büchel. „In PET-Untersuchungen von Cluster-Kopfschmerz-Patienten und Personen, bei denen ein Kopfschmerz experimentell hervorgerufen wurde, konnten Wissenschaftler zeigen, dass der Cluster-Kopfschmerz durch eine Fehlfunktion des Hypothalamus verursacht wird. Eine Untersuchung der Hirnstruktur mit MRT konnte diesen Verdacht erhärten.“ Erste Patienten profitierten bereits im Rahmen von Studien von diesen Ergebnissen: Als Therapiemethode wird derzeit die tiefe Hirnstimulation angewendet, die im Hypothalamus ansetzt. Erste Behandlungserfolge konnten bereits erzielt werden.
Interdisziplinarität wird großgeschrieben
Die Funktionsweise des menschlichen Gehirns bis ins Detail zu erforschen, ist eine wissenschaftliche Herausforderung, die in ihrer Dimension selbst die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes übertrifft. Damit dies gelingt, spielt die Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern aus verschiedenen Disziplinen eine wichtige Rolle: „Wenn wir beispielsweise den Hippocampus für eine Gedächtnisstudie mit einer sehr hohen Auflösung anschauen möchten, kann nur ein erfahrener MR-Physiker die Maschine entsprechend hoch auflösend einstellen“, betont Prof. Dr. Büchel. „Daneben liefern uns Methodiker Ansätze, wie Daten anders aus gewertet werden können.“ Initiativen, wie sie beispielsweise vom BMBF gestartet wurden, seien hierbei enorm hilfreich, denn sie führen zum Aufbau von Zentren, an denen interdisziplinär geforscht und ausgewertet wird. „Die Fördermaßnahme des BMBF war die Initialzündung, um die Zusammenarbeit unterschiedlicher Forschergruppen zu institutionalisieren und dadurch erfolgreich zu machen“, so Prof. Dr. Büchel. „Ich denke, die Zentren haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bildgebung in Deutschland mittlerweile auf einem sehr hohen internationalen Niveau agiert.“
Wie sieht die Zukunft des Neuroimaging aus? Potenzial sieht Prof. Dr. Büchel besonders in der Kooperation mit Experten aus dem Feld der Computational Neuroscience, bei der das Verhalten von Nervenzellen mithilfe von Computermodellen simuliert wird. Diese Modelle erlauben es, die Komplexität von Hirnvorgängen darzustellen und dadurch besser zu verstehen. Prof. Dr. Büchels Vision für die Zukunft des Neuroimaging ist es, nicht nur Veränderungen in der Stoffwechselaktivität im Gehirn sichtbar zu machen, sondern mit den vorhandenen Kernspin-Tomographen auch die tatsächlichen elektrischen Veränderungen im Gehirn messen zu können. „Das wäre ein fantastischer Durchbruch, nicht nur für die Forschung. Damit würden in Zukunft neue Chancen für die Diagnose und Therapie von Erkrankungen eröffnet.“
Neuroimaging
Unter Neuroimaging versteht man die Betrachtung von Strukturen und Vorgängen im menschlichen Gehirn mithilfe bildgebender Verfahren. Dabei werden zwei Bereiche unterschieden. Bei der strukturellen Bildgebung untersuchen die Wissenschaftler die Anatomie des Gehirns bis ins Detail. Bei der funktionellen Bildgebung hingegen geht es um die Physiologie des menschlichen Gehirns, das heißt darum, welche Prozesse in bestimmten Hirnregionen ablaufen. Hier erstellen Forscher innerhalb kurzer Zeit tausende Bilder des Gehirns. Einzeln sagen diese nicht viel über die Hirnfunktion aus. Betrachtet man sie aber im zeitlichen Verlauf, können Aktivitätsunterschiede erfasst werden. Denn auf den Bildern sind verschiedene Helligkeitswerte erkennbar: Eine helle Struktur ist bei einer fMRT-Untersuchung beispielsweise ein Zeichen für einen vermehrten Sauerstoffbedarf aufgrund einer erhöhten Stoffwechselaktivität in der entsprechenden Hirnregion. Dunkle Stellen hingegen bedeuten, dass in einem Hirngebiet kaum Aktivitäten ablaufen.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Büchel
Institut für Systemische Neurowissenschaften
Neurozentrum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20251 Hamburg
Tel.: 040 7410-54726
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E-Mail: buechel@uke.de