Claudia Wiesemann ist Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen, war acht Jahre Mitglied im Deutschen Ethikrat und setzt sich für die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten ein.
Wiesemann studierte Medizin, Philosophie, Neuere Geschichte und Medizingeschichte. Sie praktizierte drei Jahre als Ärztin u. a. in der Kardiologie und habilitierte sich in Geschichte und Ethik der Medizin. Seit 1998 ist sie Professorin für Medizinethik und Medizingeschichte an der Universitätsmedizin Göttingen. Sie forscht zur Ethik von Elternschaft und Familie in der Fortpflanzungsmedizin. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in Fragen der Selbstbestimmung in der medizinischen Forschung und dem Einfluss der Perspektive von Patientinnen und Patienten. Wiesemann war u. a. Mitglied und Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und von 2002 bis 2011 Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung am Robert Koch-Institut. Sie engagiert sich als Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in der AG „Embryonenschutz in Deutschland“ und bringt ihr interdisziplinäres Wissen in viele aktuelle gesellschaftliche Debatten ein, z. B. zur Organspende.
Weitere Informationen: https://egmed.uni-goettingen.de/de/prof-dr-claudia-wiesemann//
Embryonenschutz: Abschied von einer binären Logik
Die Möglichkeiten des Missbrauchs durch Dritte standen in der Frühphase der In-vitro-Fertilisation verständlicherweise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das deutsche Embryonenschutzgesetz reagierte auf solche von dystopischen Science-Fiction-Szenarien geprägten Sorgen. Es folgte dabei einer binären Unterscheidung zwischen dem Lebenserhalt einerseits und „Zweckentfremdung“ des Embryos andererseits. Dabei geriet außer Acht, dass es einen dritten Typus von Handlungen gibt, die weder das eine noch das andere bezwecken, die vielmehr der Verbesserung der IVF-Technik sowie der Gesundheit von Frau und Embryo dienen. In einer solchen für die Ethik herausfordernden Situation ist es wichtig, sich mit den relevanten Handlungskontexten vertraut zu machen und die Stimmen der unmittelbar beteiligten Personen einzubeziehen.