Stefanie Houwaart ist Koordinatorin des Wissenschaftlichen Beirats des BRCA-Netzwerks e. V. Wirkungsvolle Patientenbeteiligung in der Krebsforschung bedeutet für sie, Patientinnen und Patienten in allen Forschungsphasen und -fragen einzubinden.
Frau Dr. Houwaart, was bedeutet gute Patientenbeteiligung für Sie?
Gute Patientenbeteiligung bedeutet für mich, dass diese bereits gemeinsam geplant wird. Es wird also im Vorfeld bereits besprochen und zusammen abgestimmt, wie intensiv die Beteiligung sein kann und wer in welcher Rolle und mit welchen Aufgaben beteiligt wird. Auch sollte geklärt werden, wie konkret die Mitbestimmung aussieht. Wo nehmen die Beteiligten einen konkreten Einfluss, wo stimmen sie mit ab, wo wird gegebenenfalls nur informiert oder beraten? Das muss für alle Beteiligten stimmig sein. Insgesamt erfordert eine gute Patientenbeteiligung von allen eine gegenseitige Wertschätzung, Offenheit für die Perspektive der anderen, gegenseitige Transparenz über das Vorgehen sowie ein häufiges gemeinsames Reflektieren über den partizipativen Prozess.
In welchen Bereichen der Krebsforschung wird Patientenbeteiligung bereits gut umgesetzt, in welchen ist das Thema besonders unterrepräsentiert?
Klassischerweise ist die Beteiligung im Feld der Versorgungsforschung schon eher etabliert. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass wir häufig als Patientenvertretende in wissenschaftliche Projekte eingebunden waren, ohne dass wir damals schon selbst von Patientenbeteiligung gesprochen haben. Und nun dehnt sich die Patientenbeteiligung doch in viele Richtungen aus: in die biomedizinische Forschung, die Psychoonkologie, die Chirurgie, die onkologische Trainings- und Bewegungstherapie und auch die Forschung zu finanziellen Folgen von Krebserkrankungen. Da kann ich gar nicht festmachen, wo Patientenbeteiligung besonders unterrepräsentiert ist. Im Vergleich zu den eben genannten Bereichen gibt es allerdings Forschungsfelder, die weniger stark gefördert werden, beispielsweise die Palliativmedizin. Das bedingt dann natürlich auch, dass die Patientenbeteiligung dort vergleichsweise weniger stark etabliert ist.
Was muss getan werden, um auch in diesen Bereichen Patientenbeteiligung zu ermöglichen?
Ich würde diesbezüglich im Forschungsprozess einen Schritt zurückgehen wollen und sagen, dass Patientenvertretende noch mehr in die Identifizierung von Forschungsbedarfen einbezogen werden sollten. Da sind wir bereits auf einem sehr guten Weg. So gestalten wir Patientenvertretende in den Arbeitsgruppen der Nationalen Dekade gegen Krebs und auch in anderen Förderorganisationen die Förderausschreibungen mit. Durch die Strukturen und Prozesse der Themenfindung sind diese allerdings inhaltlich bereits oft eingegrenzt. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Hier bräuchten wir eventuell zusätzliche themenoffene Formate, die ebenfalls Forschungsbedarfe identifizieren und von Patientenvertretenden geleitet werden.
Sie engagieren sich in der AG „Große ungelöste Fragen der Krebsforschung“ der Nationalen Dekade gegen Krebs. Welche Rolle kann Patientenbeteiligung bereits in der Grundlagenforschung spielen?
Die Grundlagenforschung ist ein breites Feld mit vielen unterschiedlichen Themen. Auch wenn da nicht direkt mit Menschen geforscht wird, so doch häufig an menschlichen Bioproben, beispielsweise an Gewebe, sowie an menschlichen Daten, etwa der DNA-Sequenz. Da entstehen sehr schnell Fragen, die eine hohe Patientenrelevanz haben: Wie erklären wir das konkrete Forschungsvorhaben allgemein verständlich und motivieren Patientinnen und Patienten, ihre Proben und Daten für die Forschung bereitzustellen? Wo, wann und wie bittet man am besten um eine Probe? Für welche Fragestellungen verwenden wir diese kostbaren Proben? Und gibt es strukturelle Umstände, unter denen Patientinnen und Patienten ihre Proben und Daten nicht herausgeben möchten? Hinzu kommt eine Reihe inhaltlicher Fragestellungen, sei es pflegerisch, medizinisch, bioinformatisch, pharmazeutisch oder informationstechnisch, zu denen die Patientenvertretenden aufgrund ihres oft über Jahre gesammelten Erfahrungswissens beitragen können. Patientenvertretende verfügen zudem über verschiedenste Berufserfahrungen. Oftmals passt die berufliche Sachkunde ganz hervorragend zu bestimmten Forschungsfragen, an deren Beantwortung sich Patientenvertretende beteiligen.
Die Nationale Dekade gegen Krebs hat das Thema Survivorship als einen weiteren Schwerpunkt definiert. Welche Forschungsfragen stellen sich aus Ihrer Sicht besonders?
Das Thema Survivorship, das Langzeitüberleben bei einer Tumorerkrankung, ist ebenfalls ein ungemein großes Feld und aus unserer Patientensicht so vielfältig wie das Leben. Wir müssen uns daher auf bestimmte Forschungsfragen konzentrieren. Da denke ich zum Beispiel an die unterschiedlichsten medizinischen Langzeitfolgen der verschiedenen Krebstherapien: Was sind deren ganz konkrete Ursachen? Gibt es Möglichkeiten, bestimmte Langzeitfolgen zu verhindern? Auch das Thema der Komorbiditäten finde ich wichtig, das heißt, wenn zu einer Krebserkrankung im Laufe des Lebens eine andere Erkrankung hinzukommt. Gerade in der fortgeschrittenen Erkrankungssituation, in der häufig eine dauerhafte Krebstherapie stattfindet, ist es wichtig, gegenseitige Beeinflussungen gut zu erforschen. Generell finde ich es beim Thema Survivorship essenziell, dass die Lebensqualität bei jeder Forschungsfrage mit untersucht wird.
Vielen Dank für das Gespräch!