Prof. Hagen Pfundner ist Strategiekreismitglied der Nationalen Dekade gegen Krebs. Er setzt sich dafür ein, Strukturen und Rahmenbedingungen am medizinisch-technischen Fortschritt auszurichten, damit Erkrankte davon profitieren.
Professor Pfundner, da Sie beide Seiten, die akademische und die industrielle Krebsforschung, kennen: Was sind die größten Unterschiede und wie können beide am besten zusammenarbeiten?
Hagen Pfundner: Meiner Erfahrung nach sind die „Unterschiede“ gar nicht so groß. Denn letztlich wollen wir alle noch mehr Patientinnen und Patienten, die an Krebs leiden, durch medizinische Innovationen ein Leben „zurück“ in Gesundheit ermöglichen. Es steht für mich außer Frage, dass wir dieses Ziel nur erreichen, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Dafür müssen wir noch stärker in den Austausch auf Augenhöhe gehen, Denkbarrieren überwinden und die akademische Grundlagenforschung intelligent mit der anwendungsbezogenen klinischen Forschung verzahnen.
Zur Person
Hagen Pfundner ist Vorstand der Roche Pharma AG. Er studierte Pharmazie, weil er nach der Krebserkrankung seiner Mutter etwas dafür tun wollte, dass auch Schwerstkranke eine Chance auf Heilung haben können. Seitdem treibt ihn der Wunsch an, Verbesserungen für Patientinnen und Patienten zu erreichen. Pfundner ist Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), außerdem Honorarprofessor der Universität Freiburg im Breisgau.
Was sind aktuelle Trends und Innovationen und wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Chancen in der Krebsforschung?
Gerade die Onkologie zeigt uns, dass heute schon eine moderne, auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Patientin und des einzelnen Patienten zugeschnittene Behandlung möglich ist; unabhängig vom Wohnort und ob eine Universitätsklinik in der Nähe ist. Denn wir können heute mit modernster Diagnostik die Eigenschaften eines jeden Tumors, quasi seinen Fingerabdruck, präzise entschlüsseln und Angriffspunkte für eine Therapie bestimmen. Gleichzeitig sind mit zielgerichteten Immun-, Zell- und Gentherapien immer mehr therapeutische Lösungen verfügbar, die hochpräzise in das Tumorgeschehen eingreifen und den Krebs an seiner Wurzel bekämpfen. Zu unserer Realität gehört aber auch, dass diese Spitzenmedizin in der Routineversorgung immer noch zu selten bei den Patientinnen und Patienten ankommt. Hier kann die Industrie helfen, mit ihren digitalen, diagnostischen und therapeutischen Angeboten, universitäre Spitzenzentren und onkologische Schwerpunktpraxen besser zu vernetzen und eine qualitativ hochwertige Tumordiagnostik und Therapie flächendeckend zu etablieren.
Wie müssen Grundlagen- und angewandte Forschung sowie Versorgung verschränkt werden, damit Erkrankte am meisten profitieren?
Im wahrsten Sinne des Wortes: durch digitale Vernetzung. Wir müssen Forschung und Versorgung so eng miteinander vernetzen, dass wir mit jeder Behandlung heute schon für morgen dazulernen – wir nennen das Wissen generierende Versorgung. Mithilfe digitaler Technologien und intelligenter Algorithmen könnten wir die Millionen von Daten, die täglich in der Versorgung generiert werden, anonymisiert erfassen, strukturieren und analysieren – und so für die Weiterentwicklung der Behandlung nutzbar machen. Meine Sorge allerdings ist, dass diese Chance in Deutschland durch die teilweise irrationale Diskussion um Datenschutz und Datensicherheit verspielt wird. Damit helfen wir keiner Patientin und keinem Patienten – weder heute noch in Zukunft. Was wir dringend brauchen, sind ein gemeinsamer Wille und konkrete Lösungen, die jenseits von Partikularinteressen einzig und allein den Nutzen für Erkrankte in den Mittelpunkt rücken. Dafür müssen wir offen für Veränderungen sein und bestehende Strukturen und Rahmenbedingungen flexibel am Fortschritt ausrichten.
Die Pharmaforschung hat in der Öffentlichkeit nicht nur ein positives Image – wie begegnen Sie dieser Tatsache?
Mit Offenheit, auch für Kritik. Denn wir machen uns immer dann angreifbar, wenn der Nutzen für das, was wir für die Menschen leisten, nicht verstanden wird. Deshalb liegt mir viel daran, unseren bedeutenden Beitrag zum medizinisch-technischen Fortschritt wie auch unseren Beitrag als Investor und Arbeitgeber in Deutschland herauszustellen. Wir müssen uns besser erklären. Denn es gibt kaum eine Industrie, die besser zum Zukunftsstandort Deutschland passt als die industrielle Gesundheitswirtschaft. Wir tragen dazu bei, dass wir länger in Gesundheit leben als jemals zuvor. Wir sind eine ressourcenschonende Industrie und wir beschäftigen genauso viele hoch qualifizierte Frauen wie Männer. Und ja, wir verdienen Geld mit Gesundheit – und das müssen wir auch, um Tag für Tag das finanzielle und unternehmerische Risiko eingehen zu können, die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung über die klinische Entwicklung und regulatorischen Prozesse in die Versorgung zu bringen.
Sie sehen den Umgang mit der Krankheit Krebs als gemeinschaftliche Verantwortung. Welche Rolle kommt dabei der Nationalen Dekade gegen Krebs zu?
Krebs ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit, der wir nur gemeinschaftlich begegnen können – und dafür ist die Nationale Dekade gegen Krebs eine wichtige Plattform. Nicht nur, weil sie den Austausch aller Mitspielerinnen und Mitspieler im Gesundheitssystem zusätzlich fördert, sondern vor allem auch, weil sie dem Thema Krebs die dringend notwendige Priorität einräumt und damit die Frage stellt: Wie viel ist jeder von uns bereit, für den medizinisch-technischen Fortschritt im Kampf gegen Krebserkrankungen zu tun? Für uns war von Anfang an klar, dass wir die Initiative unterstützen und uns einbringen: mit unserer Expertise in der Erforschung und Entwicklung von Lösungen gegen Krebs – und unseren Technologien und Innovationen.
Ansprechpartnerin:
Katrin Benninghoff
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Kapelle-Ufer 1
10117 Berlin
030 1857-5207
Katrin.Benninghoff@bmbf.bund.de
www.dekade-gegen-krebs.de