Angelika Eggert leitet die Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Berliner Charité. Sie erklärt im Interview, was sie mit ihrer Forschung und ihrem Engagement in der Nationalen Dekade gegen Krebs erreichen möchte.
Frau Professorin Eggert, Sie leiten die Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité in Berlin. Wie erklären Sie einem Kind seine Krebserkrankung?
Wir behandeln krebskranke Kinder im Alter von null bis 18 Jahren. Das ist eine große Entwicklungsspanne, und es ist wichtig, sich in der Erklärung an die jeweilige Altersstufe anzupassen. Einem Kind von etwa acht bis zwölf Jahren kann man die Erkrankung ungefähr so erklären: Unser Körper besteht aus winzigen Bausteinen, den Zellen. Normalerweise wachsen und teilen sich diese Zellen auf kontrollierte Weise, um unserem Körper zu helfen, zu wachsen und gesund zu bleiben. Aber manchmal geht mit diesen Zellen etwas schief. Sie beginnen, zu schnell und unkontrolliert zu wachsen und sich zu teilen. Diese Zellen können eine Gruppe bilden, die Tumor genannt wird. Ein bösartiger Tumor ist gefährlich, da er in benachbarte Gewebe eindringen und sich auf andere Körperteile ausbreiten kann. Wichtig ist: Auch wenn Krebs eine beängstigende Krankheit ist, gibt es viele Behandlungsmöglichkeiten, die helfen können. Wir tun alles, damit du wieder gesund wirst.
Sie und Ihr Forschungsteam beschäftigen sich mit aggressiven Formen des Neuroblastoms, eines bösartigen Tumors. Was ist die besondere Herausforderung bei dieser Krebsart?
Das Hochrisiko-Neuroblastom betrifft vor allem Kinder von null bis sechs Jahren. Es beginnt in den Nervenzellen außerhalb des Gehirns, oft in der Nebenniere, und breitet sich schnell vor allem in die Leber, die Knochen und das Knochenmark aus. Die medizinische Herausforderung besteht insbesondere in der biologischen Aggressivität, der hohen Therapieresistenz und der Metastasierung schon zum Zeitpunkt der Diagnose. Zudem weisen Neuroblastome nur sehr wenige angreifbare Mutationen auf und zeichnen sich durch eine ausgesprochen hohe intratumorale Heterogenität aus, das heißt, sie bestehen aus verschiedenen Zelltypen, die sich unter der Therapie im Sinne einer Evolution verändern und immer wieder anpassen. Das macht es schwer, alle Tumorzellen gezielt abzutöten.
Auch mit dem aktuellen umfassenden Behandlungsansatz aus Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie, Stammzelltransplantation und Immuntherapie erreichen wir nur bei weniger als 50 Prozent der Betroffenen eine langfristige Heilung. Im Vergleich zur durchschnittlichen Heilungsrate pädiatrischer Krebserkrankungen von 82 Prozent ist das sehr schlecht und muss dringend verbessert werden.
Für Ihre Forschung wurden Sie mit dem Deutschen Krebspreis 2023 ausgezeichnet. Wie verändern Ihre Forschungsergebnisse die Therapie von Neuroblastomen?
Unser Forschungsteam widmet sich seit vielen Jahren der möglichst präzisen molekularen Charakterisierung des Neuroblastoms, der verbesserten risikoadaptierten Therapiewahl und der Identifikation und Evaluation neuer Therapieangriffsziele. Dabei spannen wir den Bogen von der präklinischen bis zur klinischen Forschung in eigenen akademischen klinischen Studien. Außerdem verbessern wir die Möglichkeiten, das Therapieansprechen in sogenannten Liquid Biopsies (Blut und Urin) engmaschig zu überwachen. Der direkte Zugang zu klinischen Studien ermöglicht dabei einen schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Klinik und beschleunigt den Einsatz neuer molekular gezielter Behandlungsansätze.
Wir freuen uns, dass wir die Förderung eines neuen Sonderforschungsbereichs in Berlin zur Evolution des Neuroblastoms von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt bekommen haben. Das soll uns helfen, die Heilungschancen weiter zu verbessern.
Sie führen interdisziplinäre Teams. Welche Berufsgruppen arbeiten bei der Erforschung von Neuroblastomen zusammen?
Eine erfolgreiche Krebsforschung ist nur durch einen umfassenden, interdisziplinären und institutsübergreifenden Ansatz zu erreichen, der sich durch hohe klinische und wissenschaftliche Expertise, technologische und datenwissenschaftliche Innovation, aber auch starke strukturelle und inhaltliche Kooperationen auszeichnet. Wir brauchen also Mediziner, Naturwissenschaftler und Datenwissenschaftler.
In Berlin verfolgen wir unter Federführung von Professor Nikolaus Rajewsky, Max Delbrück Centrum, das Konzept des „Berlin Cell Hospitals“ – einer zellbasierten, systemmedizinischen Forschung aller Berliner Institutionen mit starken externen Partnern – gemeinsam und barrierefrei – zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Dieses Konzept hat auch Eingang in die Berliner Standortstrategie zum neuen Netzwerk der Nationalen Centren für Tumorerkrankungen (NCT) gefunden.
Sie engagieren sich in der Arbeitsgruppe „Große ungelöste Fragen der Krebsforschung“ der Nationalen Dekade gegen Krebs (NDK). Welche Aspekte Ihrer Arbeit fließen dort ein und was macht die Arbeit in der Dekade so einzigartig?
Diese Arbeitsgruppe ist eine wunderbare Gelegenheit, meine Expertise auf der Brücke zwischen Grundlagenforschung und Klinik einzubringen. Gemeinsam mit den beteiligten Kolleginnen und Kollegen habe ich das Ziel, die relevanten Forschungsfragen zu formulieren und geeignete Programme zu ihrer Beantwortung zu konzipieren. Wichtig ist mir dabei auch, die pädiatrische Onkologie zu vertreten, denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und leiden an ganz anderen Krebserkrankungen.
Die NDK ist essenziell, um zügig Fortschritte in der Krebsforschung zu erzielen. Alle Partner und Unterstützer stärken die wichtigen Bereiche der Prävention, Früherkennung, Diagnostik und neuen Therapien (vor allem Präzisionsonkologie und Immuntherapie) und treiben sie zielgerichtet voran. Einzigartig und wichtig ist auch die Einbindung Betroffener und ihrer Familien, um die Krebsforschung an ihren Bedürfnissen auszurichten.
Vielen Dank für das Gespräch!