Das Nationale Register für angeborene Herzfehler ist heute eine der größten Forschungsdatenbanken in Europa. Sie hilft dabei, Diagnostik und Therapie von angeborenen und erworbenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern.
Der einjährige Jonas aus Leipzig ist das 50.000ste registrierte Mitglied im Nationalen Register für angeborene Herzfehler. Als Jonas operiert wurde, war sein Herz so groß wie eine Mandarine. Ohne den Eingriff am Kinderherzzentrum Leipzig hätte das Kleinkind nicht überlebt. Jahr für Jahr kommen in Deutschland rund 7.000 Kinder mit angeborenem Herzfehler zur Welt. Jonas ist eines von ihnen. Er wurde mit einer sogenannten Transposition der großen Arterien, kurz TGA, geboren. Bei diesem angeborenen Fehler sind Körper- und Lungenschlagader falsch an das Herz angeschlossen. Die Folge: Der Organismus des Neugeborenen wird nur unzureichend mit Sauerstoff versorgt. Dieser Herzfehler tritt hierzulande jährlich bei etwa 300 bis 600 Kindern auf. Erst seit Mitte der 70er-Jahre sorgt ein operativer Eingriff dafür, dass mehr als 90 Prozent der Kinder überleben. Kinderherzchirurgen korrigieren die Anschlüsse der großen Arterien und stellen so den überlebenswichtigen Körper- und Lungenkreislauf her.
Jeder angeborene Herzfehler ist individuell
Dennoch ist eine TGA wie jeder angeborene Herzfehler eine große Herausforderung für die Kinder und ihre Familien. „Jeder Herzfehler ist individuell. Viele Patientinnen und Patienten müssen ein Leben lang beobachtet und regelmäßig untersucht werden, um weitere notwendige Eingriffe rechtzeitig durchführen zu können“, sagt Professor Boulos Asfour, Chefarzt am Deutschen Kinderherzzentrum Sankt Augustin und Vorstandsmitglied des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler. Das trifft besonders dann zu, wenn ein Herzfehler mit weiteren Fehlbildungen verbunden ist, wie bei Jonas. Seine TGA ging mit Veränderungen an den Herzklappen und Löchern zwischen den Herzkammern einher. Die notwendigen Eingriffe waren daher sehr kompliziert. Doch Jonas hat sich davon gut erholt. Umgehend entschieden sich seine Eltern für Jonas Anmeldung im Herzregister.
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Drängende Fragen
Wie sieht meine Lebenserwartung aus? Darf ich ein Kind bekommen? Darf ich Sport treiben? Kann ich einen Beruf ausüben? Über die Langzeitentwicklung von Menschen mit angeborenen Herzfehlern ist noch zu wenig bekannt, ebenso über die Ursachen dieser Fehler. In diese Forschungslücke stieß vor 16 Jahren das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Nationale Register für angeborene Herzfehler. Die zentrale Einrichtung am „Kompetenznetz Angeborene Herzfehler“ in Berlin erfasst seither systematisch Patientendaten und -proben für die Forschung. „Menschen wie Jonas leisten durch ihre Register-Mitgliedschaft einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit angeborenem Herzfehler und ihren Angehörigen“, so Registerchefin Dr. Ulrike Bauer. Die Medizinerin hatte die Datenbank als Oberärztin am Deutschen Herzzentrum Berlin im Jahr 2000 ins Leben gerufen.
Erste Antworten
Das Nationale Register will den möglichen Ursachen angeborener Herzfehler auf den Grund gehen, um eine optimale Prävention sowie eine optimale diagnostische und therapeutische Begleitung der Patienten zu gewährleisten. So mündeten im Jahr 2008 die Ergebnisse von damals 25.000 Registrierungen in erste gemeinsame Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler. Die Leitlinien stellen beispielsweise sicher, dass Folgeerkrankungen angeborener Herzfehler – etwa lebensbedrohliche Herzklappen-Veränderungen – im Erwachsenenalter heute durch eine lückenlose Diagnostik und Therapie rechtzeitig erkannt und behandelt werden.
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Wertvolle Basis für die internationale Forschung
Seit 2010 sammelt das Herzregister in einer Biodatenbank auch Blut- und Gewebeproben für die genetische Forschung. Nicht zuletzt auf dieser Grundlage hat unlängst ein internationales Wissenschaftlerteam drei neue Gene identifizieren können, die an der Entstehung von angeborenen Herzfehlern beteiligt sind. Das Konsortium unter Federführung des international renommierten Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge gewann außerdem Erkenntnisse darüber, welche Arten von Herzfehlern vererbt und welche durch neu auftretende Genveränderungen verursacht werden. Die im August 2016 publizierten Ergebnisse helfen, die genetische Beratung von betroffenen Familien zu verbessern.
Das breite Spektrum der personenbezogenen Daten macht das Herzregister weltweit einzigartig. Es ermöglicht den Forschern die präzise, auf eine bestimmte Forschungsfrage zugeschnittene Datenauswahl. So standen dem Wissenschaftlerteam um das Wellcome Trust Sanger Institute differenzierte Daten zu den Begleiterkrankungen zur Verfügung. Dadurch konnten die Forschenden herausfinden, dass angeborene Herzfehler ohne zusätzliche Krankheitsmerkmale häufiger erblich bedingt sind als bislang gedacht, während angeborene Herzfehler mit zusätzlichen Fehlbildungen meist neu entstehen. Alle Daten des Herzregisters werden unter Einhaltung eines Datenschutzkonzeptes gespeichert, das die Datenschutzbeauftragten aller Bundesländer geprüft haben.
Mit dem Ziel, die Versorgung von Menschen mit angeborenem Herzfehler (AHF) bis ins hohe Alter zu verbessern, wurde 2003 im Rahmen der Initiative „Kompetenznetze in der Medizin“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung das „Kompetenznetz Angeborene Herzfehler“ gegründet. Dessen Kernprojekt ist das Nationale Register für angeborene Herzfehler. In dem interdisziplinären Forschungsverbund kooperieren bundesweit Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als dreißig Kliniken und Herzzentren sowie Reha-Zentren und Praxen.Die interdisziplinäre Struktur schafft eine wichtige Voraussetzung für die multizentrische Forschung sowie für klinische Studien zu angeborenen Herzfehlern. Das Kompetenznetz arbeitet dabei mit den AHF-Patientenorganisationen in Deutschland zusammen. Das bis 2014 durch den Bund finanzierte Kompetenznetz wird seit 2015 maßgeblich durch das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) unterstützt.
Wissenstransfer für erworbene Herz-Kreislauf-Erkrankungen
„Die Ergebnisse kommen in erster Linie Menschen mit angeborenen Herzfehlern zugute. Darüber hinaus können sie aber auch wichtige Hinweise für die Verbesserung der Vorbeugung, Diagnostik und Therapie von erworbenen Herzfehlern liefern“, sagt Professor Hashim Abdul-Khaliq, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes und Vorstandsvorsitzender des Kompetenznetz Angeborene Herzfehler.
Schon heute profitieren Patientinnen und Patienten etwa beim kathetergestützten Austausch einer defekten Aortenklappe am Erwachsenenherz von Ergebnissen und Know-how aus der kinderkardiologischen Forschung. Denn das minimalinvasive Verfahren beruht auf der Methode eines Herzklappen-ersatzes bei Kindern. Es erspart den Betroffenen die offene Operation mit Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine.
Ein solcher Wissenstransfer könnte sich auch aus dem jüngsten Projekt des Kompetenznetzes ergeben. In einer Langzeitstudie sollen die Folgen der langfristigen Einnahme verschiedener Gerinnungshemmer untersucht werden – sowohl aus Sicht der Fachleute als auch der Betroffenen ein dringliches Thema. Das hatte eine Umfrage des Herzregisters unter rund 600 Patientinnen und Patienten und 75 Fachärztinnen und -ärzten ergeben.
Weitere Informationen zum Nationalen Register und zu Jonas finden Sie hier.
Ansprechpartnerin:
Dr. med. Ulrike Bauer
Kompetenznetz Angeborene Herzfehler e. V.
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