Seit Jahren wird diskutiert, ob Frauen in der Akutversorgung und der Rehabilitation der koronaren Herzkrankheit anders behandelt werden als Männer. Trotzdem existierten hierzulande bisher kaum Studien, die dieser Frage nachgegangen sind. Drei deutsche Forschungsprojekte haben jetzt nach Unterschieden zwischen den Geschlechtern gesucht und interessante Fakten gefunden.
In Deutschland leiden etwa fünf Millionen Menschen an einer koronaren Herzkrankheit, d.h. einer Verkalkung und Verengung der Herzgefäße. Rund 288.000 Menschen erleiden pro Jahr einen Herzinfarkt, Hunderttausende benötigen Bypass-Operationen und Aufweitungen verengter Herzgefäße. Viele Betroffene sind dabei nicht einmal 50 Jahre alt. Das akute Ereignis reißt sie plötzlich aus ihrem Berufsalltag und sozialen Umfeld. Die kardiologische Rehabilitation soll in der Anschlussbehandlung den Patienten den Umgang mit der Erkrankung und die Rückkehr in den Alltag und den Beruf erleichtern. Allerdings wurden die Rehabilitationsprogramme in den 60er und 70er Jahren mit Blick auf jüngere, berufstätige Männer entwickelt - ob die daraus abgeleiteten Inhalte und Strukturen auch den Bedürfnissen von Frauen entsprechen, wurde bisher nicht geprüft. Drei Studien, gemeinsam gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), haben jetzt untersucht, ob in der kardiologischen Rehabilitation Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen.
Die gemeinsame Forschungsförderung durch das BMBF und dem VDR als größtem Rehabilitationsträger ist ein Novum in der Gesundheitsforschung. Von 1995 bis 2005 fließen insgesamt 40,9 Millionen Euro in die deutsche Rehabilitationsforschung, finanziert je zur Hälfte von den beiden Förderern. Die erste Phase der Förderung wird im Wesentlichen 2002 abgeschlossen sein, dann liegen von ca. 70 Forschungsprojekten die ersten Ergebnisse vor. Der wichtigste Schritt, deren Bewertung und Umsetzung in die Praxis, steht erst noch bevor - dies wird in naher Zukunft vor allem Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherungen sein. Nicht primär das Geschlecht, sondern das Alter ist ausschlaggebend für den Verlauf der Rehabilitation
Bekommen Frauen nach einem Herzinfarkt seltener Rehabilitationen verordnet? Dies ist nur eine der Fragen, mit denen sich ein Projekt des "Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbunds Rehawissenschaften" unter der Leitung von Dr. Gesine Grande an der Universität Bielefeld beschäftigt hat. Männer und Frauen, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, und ihre behandelnden Ärzte wurden dabei zum Verlauf der Erkrankung befragt. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass es weder bei der Versorgung in der Akutklinik noch in der kardiologischen Rehabilitation bedeutsame Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt", sagt Grande. Allerdings habe sich die psychosoziale Ausgangssituation der beiden Geschlechter vor der Rehabilitation deutlich unterschieden: Die untersuchten Frauen waren depressiver und ängstlicher, hatten einen niedrigeren sozialen Status (schlechtere Schulbildung, geringeres Einkommen) und waren im Durchschnitt 5 1/2 Jahre älter. Außerdem verarbeiteten sie die Erkrankung anders als Männer. "Diese Unterschiede deuten darauf hin, dass beide Geschlechter verschiedene Rehabilitationsbedürfnisse haben. So wünschten sich in unserer Studie insbesondere die Frauen mehr psychische und soziale Unterstützung, um Ängste abzubauen und ihr Selbstwertgefühl zu erhöhen", berichtet Grande. Die psychologische Betreuung von Patientinnen und Patienten trete aber bisher gegenüber körperlichen Maßnahmen deutlich in den Hintergrund - sowohl bei der Beratung und Behandlung in Akutkliniken als auch in der Rehabilitation und bei den Hausärzten. In Zukunft müsse psychosozialen Aspekten daher eine größere Bedeutung zukommen, betont die Wissenschaftlerin. Die Studie zeigte ein weiteres interessantes Ergebnis: Nicht das Geschlecht, sondern das Alter der Männer und Frauen war ausschlaggebend für den Verlauf der Rehabilitation. "Wir konnten feststellen, dass ältere Patienten nicht so viele invasive diagnostische und therapeutische Maßnahmen erhielten, weniger ärztlich beraten wurden und einzelne Angebote während der Rehabilitation seltener verordnet bekamen oder nutzten", sagt Grande. Da in Zukunft der Anteil älterer Menschen auch in der kardiologischen Rehabilitation weiter zunehmen wird, sieht die Wissenschaftlerin hier einen deutlichen Handlungsbedarf. So sollten nicht nur gruppenspezifische Rehabilitationsangebote entwickelt werden, die den unterschiedlichen Bedürfnissen von Männern und Frauen gerecht werden, sondern auch denen von Älteren und Jüngeren.
Differenzen zwischen den Frauen wesentlich größer als zwischen den Geschlechtern
Auch Dr. Oskar Mittag vom Universitätsklinikum Lübeck hält es für notwendig, Rehabilitationsprogramme spezifisch für Männer und Frauen zu entwickeln. Unter seiner Leitung wurden im Rahmen einer Studie des "Norddeutschen Verbunds für Rehabilitationsforschung" Männer und Frauen befragt, die einen ersten Herzinfarkt, eine Bypass-Operation oder eine Aufweitung der Herzgefäße hinter sich hatten. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob Frauen in der kardiologischen Rehabilitation benachteiligt werden. "Insgesamt zeigten sich deutlich weniger Unterschiede zwischen den Geschlechtern als wir erwartet hatten. Dafür fielen aber erhebliche Differenzen innerhalb der Frauengruppe auf, besonders zwischen Jüngeren und Älteren", berichtet Mittag. So waren jüngere Frauen am stärksten psychisch belastet: Sie litten mehr als ältere Frauen und Männer unter krankheitsbedingten Sorgen und gaben eine ausgeprägte körperliche Erschöpfung an. Außerdem zeigten sie häufiger eine depressive Verarbeitung der Krankheit (Grübeleien, Hadern) und Ablenkungsmechanismen wie "Galgenhumor". Der besondere Einfluss des Alters bei Frauen kann nach Ansicht von Mittag zum Beispiel auf biologische Faktoren (Hormonstatus vor und nach der Menopause) zurückgeführt werden. In Zukunft müsse die kardiologische Rehabilitation spezifischer auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten werden und insbesondere bei jüngeren Frauen mehr Gewicht auf die Bewältigung von psychischen Belastungen und krankheitsbedingten Sorgen legen, so der Wissenschaftler. Zu klären bliebe aber, ob sich durch ein frauenspezifisches Rehabilitationsprogramm bessere Ergebnisse erzielen ließen.
Deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern - auch unabhängig vom Alter
Weitere Differenzen zwischen den Geschlechtern zeigt ein noch laufendes Projekt des "Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbunds Bayern" unter der Leitung von PD Dr. Ursula Härtel von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf. Ihr Team untersucht Frauen und Männer nach einem erstem Herzinfarkt. Bisher seien in jedem Stadium der Rehabilitation erhebliche geschlechts-spezifische Unterschiede aufgefallen - auch unabhängig vom Alter der Patienten, sagt Härtel. Selbst die Infarktsymptome seien schon ganz verschieden gewesen: Frauen berichteten häufiger als Männer über vegetative Begleitsymptome (Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch) und Schmerzen außerhalb des Brustraums. Zudem leiden Frauen verglichen mit Männern gleichen Alters "bereits zu Beginn der Rehabilitation öfter unter chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Schilddrüsenerkrankungen oder Osteoporose und unter psychischen Problemen wie Angst und Depression", so die Wissenschaftlerin. Bezüglich der psychischen Probleme unterschieden sich die Geschlechter in den jüngeren Altersgruppen (unter 60 Jahre) stärker als in den älteren. Während der Rehabilitation zeigten sich dann Unterschiede in der Compliance und Zufriedenheit mit den therapeutischen Maßnahmen bei Männern und Frauen. Generell waren die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in den unteren sozialen Schichten ausgeprägter als in den höheren. Auch in der Zeit nach der Rehabilitation gab es Differenzen: "Männer und Frauen nahmen kurzfristig zwar etwa gleich häufig an einer ambulanten Herzgruppe teil, die Gründe für ihre Nicht-Teilnahme oder den Abbruch unterscheiden sich aber erheblich", berichtet Härtel. Frauen würden eher praktische Hindernisse ("Entfernung zu weit", "keine Fahrgelegenheit") nennen und fühlten sich durch die Herzgruppen häufiger überfordert als Männer. Die männlichen Patienten gäben als Hauptgrund für ihre Nicht-Teilnahme hingegen "kein Interesse" an.
Die ersten Erkenntnisse aus dem laufenden Projekt sollen jetzt in der Klinik und in der ambulanten Nachsorge getestet werden - im Rahmen einer Interventionsstudie an Frauen. In der Herz-Kreislaufklinik Höhenried werden zum Beispiel frauenspezifische Bewegungs- und Ernährungsprogramme erprobt sowie psychologische Maßnahmen, die stärker auf die Bedürfnisse der Patientinnen zugeschnitten sind. Zudem sollen Familienangehörige planmäßig in die Nachbetreuung einbezogen werden. Diese Studie könnte auch die von Mittag aufgeworfene Frage beantworten, ob ein frauenspezifisches Rehabilitations-programm zu besseren Ergebnissen führt.
Ansprechpartner:
Dr. Dipl.-Psych. Gesine Grande
Fakultät für Gesundheitswissenschaften
Universität Bielefeld
Postfach 10 01 31
33501 Bielefeld
Tel.: 0521/ 106 42 61
Fax: 0521/106 64 29
E-Mail: gesine.grande@uni-bielefeld.de
Dr. rer. nat. Oskar Mittag
Institut für Sozialmedizin
Universitätsklinikum Lübeck
Beckergrube 43-47
23552 Lübeck
Tel.: 0451/799 2512
Fax: 0451/799 2522
E-Mail: oskar.mittag@sozmed.mu-luebeck.de
PD Dr. Ursula Härtel, MPH
Humanwissenschaftliches Zentrum der LMU München
Goethestraße 31
80336 München
Tel. 089/5996 651 oder 08158/242448
Fax: 089/5996 489
E-Mail: haertel@lrz.uni-muenchen.de
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Herz-Kreislauf-Forschung