April 2019

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Akute lymphoblastische Leukämie: Präzisere Therapien in Sicht?

Ein internationales Forschungsteam hat einen Test entwickelt, der zukünftig die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer speziellen Form der Leukämie verbessern könnte. Dieser ermöglicht es, die Chemotherapie genauer auf die Betroffenen auszurichten.

Bei der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) entarten weiße Blutzellen (im Bild dunkel eingefärbt). Als Folge wird die gesunde Blutbildung gestört, und es kann ein Mangel an roten Blutzellen, Blutblättchen und weißen Blutzellen auftreten.

Bei der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) entarten weiße Blutzellen (im Bild dunkel eingefärbt). Als Folge wird die gesunde Blutbildung gestört, und es kann ein Mangel an roten Blutzellen, Blutblättchen und weißen Blutzellen auftreten.

Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der MHH

Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) ist eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems, die sehr schnell fortschreitet. Etwa 600 Kinder und Jugendliche erkranken in Deutschland jährlich daran, womit ALL die häufigste Krebserkrankung in dieser Altersgruppe ist. Um die Leukämiezellen im Körper zu vernichten, ist eine intensive Chemotherapie nötig. Mithilfe dieser Therapie können heute über 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen dauerhaft geheilt werden.

Durch moderne Analyseverfahren konnten in den vergangenen Jahren zahlreiche genetische Faktoren entschlüsselt werden, die den Erfolg der Chemotherapie beeinflussen. Diese sogenannten Biomarker wurden bislang aber noch nicht für die Behandlung genutzt. Unter der Leitung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun einen Test entwickelt, der verschiedene dieser neuen Biomarker zusammenführt und somit eine bessere Vorhersage zum Therapieverlauf ermöglicht. „Mithilfe dieses Tests können wir das Rückfallrisiko genauer bestimmen und die Therapie dementsprechend anpassen“, erklärt Professor Martin Stanulla von der MHH-Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. „Der Test hilft uns, die Balance zwischen einer zu geringen und einer zu hohen Medikamentendosierung zu wahren. Bei einer zu geringen Dosierung bleibt ein hohes Rückfallrisiko bestehen. Bei einer zu hohen Dosierung hingegen werden die Krebszellen zwar erfolgreich bekämpft, es können aber viele unerwünschte akute Nebenwirkungen und Spätfolgen auftreten. Bislang erhalten beispielsweise mindestens 25 Prozent der Betroffenen eine höhere Medikamentendosis als notwendig, um einen Rückfall zu vermeiden. Wir wollen für unsere Patientinnen und Patienten die Chemotherapie daher zukünftig präziser ausrichten.“

Der Test ist ein Ergebnis des Forschungsprojektes TRANSCALL. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die deutschen Forschungsgruppen des TRANSCALL-Projekts und ist Partner des ERA-NET TRANSCAN. Dies ist ein von der Europäischen Union gefördertes Programm.

Große Untersuchungsgruppe für eine eher seltene Erkrankung

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von TRANSCALL griffen für ihre Analysen auf bereits bestehende klinische Daten und Biomaterialien zurück und erstellten neue Datenprofile. Dadurch konnten sie über 1.400 Patientinnen und Patienten in ihre Untersuchungen einbeziehen. „Unsere Untersuchungsgruppe war damit groß genug, um die bereits bekannten Biomarker verlässlich einem Risikoprofil zuordnen zu können. Wir haben verschiedene Biomarker kombiniert und untersucht, ob sie sich beispielsweise gegenseitig verstärken. Dadurch haben wir ein spezifisches Muster erhalten, das mit einem sehr hohen Rückfallrisiko einhergeht“, erläutert Professor Martin Stanulla.

Mithilfe dieses Musters können die Forschenden nun Kinder und Jugendliche frühzeitig identifizieren, die trotz intensiver Chemotherapie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Rückfall erleiden werden. „Wir untersuchen aktuell, ob wir diesen Kindern und Jugendlichen mit alternativen Behandlungsansätzen wie Immuntherapien vielleicht besser helfen können. Dann könnten wir ihnen Teile der belastenden Chemotherapie zukünftig möglicherweise ersparen“, führt Professor Martin Stanulla aus. Die Erfassung des Risikomusters und eine entsprechende Therapieanpassung ist daher auch fester Bestandteil des Therapieprotokolls der größten europäischen Behandlungsstudie zur ALL im Kindes- und Jugendalter (AIEOP-BFM ALL 2017). Die Studie wird von Professor Martin Schrappe von der Universitätsklinik Kiel geleitet. In Deutschland nehmen 80 Prozent der Erkrankten an der Studie teil, etwa 50 Kliniken beteiligen sich. Hinzu kommen Partner in Italien, Österreich, der Schweiz, Australien, Tschechien, der Slowakei und Israel. Jährlich werden etwa 1.000 ALL-Patientinnen und -Patienten nach diesem Protokoll behandelt.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martin Stanulla
Medizinische Hochschule Hannover
Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
stanulla.martin@mh-hannover.de