„Alzheimer-Früherkennung ist heute schon sinnvoll“

Interview mit Professor Dr. Jens Wiltfang, Vorstandsmitglied im Kompetenznetz Demenzen

Herr Professor Wiltfang, was sind die ersten Zeichen dafür, dass jemand an Alzheimer leidet?
Morbus Alzheimer beginnt meistens mit Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Sie können sich zum Beispiel darin äußern, dass jemand wiederholt auf dem Parkplatz sein Auto nicht findet oder immer wieder wichtige Dinge wie den Haustürschlüssel verlegt. Betroffenen Menschen fällt es außerdem schwerer als zuvor, Neues zu lernen. Häufig haben sie auch auf einmal Schwierigkeiten, eigentlich banale Gegenstände wie einen Aschenbecher zu benennen. Zusätzlich sind viele Betroffene reizbarer und weniger belastbar als zuvor. Oft werden sie depressiv. All das deutet aber nicht zwangsläufig auf Alzheimer oder eine andere Form von Demenz hin. Wenn man über einen längeren Zeitraum Stress hat und überfordert ist oder an einer Altersdepression leidet, kann man ganz ähnliche Probleme haben.


Wie wird Alzheimer bisher diagnostiziert?
Zunächst muss der Arzt sorgfältig die Krankengeschichte erheben und dabei am besten nahe Angehörige und den Hausarzt einbeziehen. Nicht nur der aktuelle Zustand ist wichtig, sondern auch der Vergleich mit der Vergangenheit. Auch wenn jemand geistig noch genauso leistungsfähig ist wie viele andere Menschen, spricht das nicht gegen Alzheimer. Es kann ja sein, dass er von einem sehr hohen Niveau kommt. Dann bemerken zunächst nur der Betroffene selbst oder nahe Verwandte, dass etwas nicht stimmt. Natürlich muss man die Patienten neurologisch untersuchen, denn auch Erkrankungen wie eine Schilddrüsen-Unterfunktion oder Durchblutungsstörungen des Gehirns können die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Zusätzlich stehen spezielle Tests zur Verfügung, zum Beispiel in Form von Fragebögen. Nach Möglichkeit sollten auch eine Computer- oder besser eine Kernspintomographie des Kopfes und eine Liquor-Untersuchung erfolgen.

Warum brauchen wir neue Diagnosemethoden?
Wir wollen unter den Patienten, deren intellektuelle Fähigkeiten offensichtlich nachlassen, die etwa 25 Prozent erkennen, bei denen später eine Alzheimer-Demenz droht. Dafür fehlt uns eine unkomplizierte Untersuchungsmethode. Im Blut können wir bisher nur erste Hinweise auf andere Ursachen verminderter geistiger Leistungsfähigkeit feststellen, zum Beispiel Schilddrüsenkrankheiten. Auf herkömmlichen Computer- und Kernspintomographie-Bildern erkennt man zwar, dass sich die Hirnmasse vermindert, allerdings erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Außerdem ergeben sich bei einigen anderen Hirnerkrankungen ganz ähnliche Bilder. Durch die neurochemische Demenzdiagnostik im Liquor ist eine Alzheimer-Diagnostik im Frühstadium der Erkrankung zwar möglich. Eine spezielle Blutuntersuchung oder neuere bildgestütze Untersuchungsverfahren des Gehirns wären als Routineuntersuchung aber besser geeignet.

Alzheimer ist nicht heilbar. Welchen Sinn hat es dann, die Krankheit früh zu erkennen?
Ich gehe davon aus, dass wir Alzheimer in zehn bis 15 Jahren heilen können. Dann brauchen wir eine zuverlässige Methode, um die Krankheit zu diagnostizieren, bevor das Gehirn stark geschädigt ist. Aber auch heute schon ist eine Früherkennung sinnvoll. Wir wissen, dass körperliche Aktivität und Gedächtnistraining die Alzheimer-Erkrankung verlangsamen können, allerdings nur in Frühstadien. Außerdem stehen uns Medikamente zur Verfügung, die den Krankheitsprozess verzögern. Offensichtlich wirken sie umso effektiver, je eher sie eingenommen werden. Um den Patienten durch Lebensstiländerungen, geistiges Training und Medikamente lange eine gute Lebensqualität zu sichern, muss man die Krankheit also möglichst früh diagnostizieren.

Kann eine Untersuchung zur Früherkennung auch sinnvoll sein, wenn gar keine Symptome für Alzheimer bestehen, zum Beispiel bei Verwandten von Patienten?
Alzheimer hat auch eine genetische Komponente. Trotzdem haben die Angehörigen eines Patienten nur ein gering erhöhtes Risiko, selber zu erkranken. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, sie vorsorglich auf Alzheimer zu untersuchen. Wir konzentrieren uns auf die Personen, bei denen erste Anzeichen für eine bereits eingetretene oder drohende Alzheimer-Demenz bestehen. Bei ihnen muss man die Krankheit früh von anderen Krankheiten unterscheiden, um rechtzeitig die richtige Therapie einleiten zu können. Eine Ausnahme stellen die sehr seltenen Fälle dar, bei denen es sich um genetisch-bedingte Erkrankungen im engeren Sinn, also mit einer bekannten krankmachenden Mutation, handelt. Das sind weniger als 0,05% der Alzheimer-Demenzen. Daran muss immer dann gedacht werden, wenn eine Demenzerkrankung sehr früh einsetzt, beispielsweise vor dem fünfzigstem Lebensjahr. In diesen Fällen werden den Verwandten der Patienten in aller Regel genetische Untersuchungen angeboten.

Alzheimer 1: Früherkennung durch den Nachweis gefährlicher Stoffwechselprodukte

Forscher des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetzes Demenzen haben einen neuen Bluttest für die Alzhei-mer-Erkrankung entwickelt. Mit ihm weisen sie spezielle Proteine nach – die ß-Amyloidpeptide (AßPeptide). Aß-Peptide spielen eine Schlüsselrolle für die Entstehung des Morbus Alzheimer. Typischerweise treten sie bei betroffenen Personen massenhaft in krankhaften Ablagerungen im Gehirn auf. Es gibt mehrere Unterformen der Aß-Peptide, die unterschiedlich giftig für die Nervenzellen sind. Diese Unterformen ließen sich bisher nur im Liquor detailliert aufschlüsseln

– also in der Flüssigkeit, die Rückenmark und Gehirnumfließt. Ihre exakte Analyse ermöglicht es den Medizinern, besonders die Frühformen der Alzheimer-Erkrankung besser zu diagnostizieren. Um Liquor zu gewinnen, muss der Arzt eine Rückenmarkspunktion durchführen, die relativ aufwändig ist und außerdem

Schmerzen und Komplikationen verursachen kann. Forscher suchen deshalb nach schonenderen Methoden und haben begonnen, die diagnostische Bedeutung der Aß-Peptide im Blut zu untersuchen. Dort kommen sie in sehr viel geringerer Konzentration als im Liquor vor. Professor Jens Wiltfang und seinen Mitarbeitern von der Universität Erlangen-Nürnberg ist es jetzt gelungen, ein Testverfahren zu entwickeln, das zwischen mehreren Untergruppen der Aß-Peptide im Blut unterscheidet.

Mit der Analyse der sechs Unterformen im Blut verfolgen die Wissenschaftler mehrere Ziele: Sie wollen Alzheimer-Patienten sehr früh erkennen, das heißt zu einem Zeitpunkt, an dem erst minimale Defizite der geistigen Leistungsfähigkeit bestehen. Von einer frühen Diagnose profitieren die Betroffenen, denn inzwischen stehen Medikamente zur Verfügung, die den Krankheitsverlauf verlangsamen. Die Mittel müssen rechtzeitig eingenommen werden, um den Betroffenen möglichst lange zu einem normalen Leben zu verhelfen. Darüber hinaus soll die Analyse der Aß-Peptide helfen, die Alzheimer-Erkrankung von anderen Arten der Demenz zu unterscheiden, die etwa bei Durchblutungsstörungen des Gehirns auftreten können. Denn jede der Demenz-Formen erfordert eine andere Behandlung. Schließlich erhoffen sich die Forscher auch zusätzliche Erkenntnisse darüber, welche Rolle Aß-Peptide genau bei der Entstehung des Morbus Alzheimer spielen. Daraus könnten sich neue Therapien ergeben, die den Aß-Peptid-Stoffwechsel beeinflussen.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jens Wiltfang
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Labor für Molekulare Neurobiologie und
Neurochemische Demenzdiagnostik
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Schwabachanlage 6
91054 Erlangen
Tel.: 09131 / 85-3 42 62 
Fax: 09131 / 85-3 60 02
E-Mail: jens.wiltfang@psych.imed.uni-erlangen.de

 

Alzheimer 2: Früherkennung durch neues Verfahren in der Kernspintomographie

Einige wissenschaftliche Arbeitsgruppen setzen auf spezielle Blutuntersuchungen, um einen Morbus Alzheimer möglichst früh zu erkennen. Dr. Harald Hampel von der Psychiatrischen Klinik und Dr. Stefan Schönberg von der Radiologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeiten im Kompetenznetz Demenzen mit. Sie beschreiten einen anderen viel versprechenden Weg: Die Forscher haben die Kernspintomographie so weiterentwickelt, dass sie bereits kleinste, für die Alzheimer-Erkrankung typische Veränderungen des Gehirns entdecken können. Die von ihnen angewendete Untersuchungstechnik, das so genannte Diffusion Tensor Imaging (DTI), macht auf Schnittbildern des Gehirns den Untergang von Nervenfasern sichtbar. DTI registriert die Beweglichkeit von Wassermolekülen im Gewebe. In Hirnregionen mit zugrunde gegangenen Nervenzellen bewegen sich die Moleküle anders als in gesundem Gewebe.

Das Forscherteam, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziell unterstützt wird, untersuchte mithilfe von DTI die Gehirne von neun Patienten, die an einer leichten Form des Morbus Alzheimer litten. Die Wissenschaftler verglichen die Ergebnisse mit DTI-Hirn-Bildern zehn gesunder Personen. Insbesondere im so genannten Corpus callosum, das die rechte mit der linken Hirnhälfte verbindet, beobachteten sie zwischen den beiden Gruppen auffällige Unterschiede: Bei den Alzheimer-Patienten war ein Teil der Nervenfasern in dieser Hirnregion zugrunde gegangen. In anderen Arealen bestanden dagegen keine Differenzen. Die Ergebnisse der Münchener Forscher deuten darauf hin, dass beim Morbus Alzheimer im Corpus callosum das Nervengewebe besonders früh abstirbt. In späteren Krankheitsphasen lässt sich auch in vielen anderen Arealen nachweisen, wie sich die Hirnmasse reduziert. Als Folge dieses Abbauprozesses verlieren Alzheimer-Patienten kontinuierlich ihre geistige Leistungsfähigkeit.

Die Wissenschaftler schließen aus ihren Experimenten, dass sich durch DTI bereits frühe Formen des Morbus Alzheimer feststellen lassen. Sie hoffen, mithilfe der neuen Technik unter anderem den Verlauf der Erkrankung bei einzelnen Patienten beobachten und schneller beurteilen zu können, ob eine Therapie bei ihnen anschlägt.

Ansprechpartner:
PD Dr. Harald Hampel
Alzheimer-Gedächtniszentrum
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ludwig-Maximilians-Universität
Nussbaumstraße 7
80336 München
Tel.: 089 / 51 60-58 77
Fax: 089 / 51 60-58 65
E-Mail: hampel@psy.med.uni-muenchen.de