Dezember 2020

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Alzheimer und Entzündungsprozesse: fataler Staffellauf

Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben neue Erkenntnisse darüber gewonnen, welche wichtige Rolle Entzündungsprozesse bei der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung spielen.

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Trotz unterschiedlicher Symptome haben einige Demenzerkrankungen auf molekularer Ebene eines gemeinsam: auffällige Tau-Proteine. „Diese Proteine haften normalerweise an Verstrebungen und Transportbahnen im Inneren von Nervenzellen und stabilisieren sie. Doch bei Alzheimer und einigen anderen Hirnerkrankungen werden die Tau-Proteine chemisch verändert. Infolgedessen lösen sie sich vom Zellskelett und verkleben“, erläutert Professor Dr. Michael Heneka, Arbeitsgruppenleiter am DZNE und Direktor der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am Universitätsklinikum Bonn. „Das beeinträchtigt wichtige Abläufe in der Nervenzelle. Letztlich geht sie daran zugrunde.“

Pfleger reicht älterem Herrn in Pflegeeinrichtung ein Glas Wasser

Demenzerkrankungen können sich unterschiedlich äußern, auf molekularer Ebene haben sie jedoch manches gemeinsam.
 

DLR Projektträger/BMBF

Molekularer Schalter

Ein Forscherteam um Heneka konnte aufklären, wie es zur Veränderung der Tau-Proteine kommt. Die Befunde beruhen auf der Analyse von Hirngewebe verstorbener Menschen mit Demenz und auf Laboruntersuchungen an Mäusen. Das renommierte Wissenschaftsjournal „Nature“ kürte die Studie zur Titelgeschichte. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei das NLRP3 Inflammasom. Mit diesem Proteinkomplex, der in den Immunzellen des Gehirns angesiedelt ist, befassen sich die Forschenden schon länger. Sein Name leitet sich ab von „Inflammation“, dem Fachbegriff für Entzündung. Es handelt sich um einen molekularen Schalter, der – wird er aktiviert – die Freisetzung entzündungsfördernder Substanzen (sogenannter Zytokine) bewirken kann.

„Unsere Untersuchungen weisen darauf hin, dass das vom Inflammasom ausgelöste Entzündungsgeschehen für die Tau-Pathologie eine wichtige Rolle spielt“, sagt Heneka. Seine Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass ein bestimmtes Zytokin, dessen Freisetzung vom Inflammasom vermittelt wird, an einen Rezeptor auf der Oberfläche von Nervenzellen bindet. Das wiederum löst eine Kaskade von Ereignissen aus, die letztendlich dazu führt, dass die Tau-Proteine chemisch verändert werden. Diese Veränderung bewirke, dass sich die Proteine vom Zellgerüst abtrennen und verklumpen, so der Bonner Forscher. „Offenbar sind vom Inflammasom vermittelte Entzündungsvorgänge für die meisten – wenn nicht für alle – neurodegenerativen Erkrankungen mit Tau-Pathologie von zentraler Bedeutung.“

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) 

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) erforscht neurodegenerative Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS), um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene.

Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und gehört zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtet wurden, um Maßnahmen gegen die wichtigsten Volkskrankheiten zu entwickeln. Es wird vom BMBF und den Bundesländern gefördert, in denen die Standorte des DZNE angesiedelt sind.

Weitere Informationen im Internet unter www.dzne.de sowie auf Facebook unter www.dzne.de/facebook

Bindeglied zwischen Amyloid und Tau

Zu diesen Erkrankungen zählt auch Alzheimer. Hier kommt allerdings ein weiterer Akteur ins Spiel: Amyloid-Beta. Auch dieser Eiweißstoff sammelt sich bei der Alzheimer-Erkrankung im Gehirn an, woraus die berüchtigten Plaques hervorgehen. Anders als bei den Tau-Proteinen geschieht dies jedoch nicht innerhalb, sondern zwischen den Nervenzellen. Außerdem beginnt die Ablagerung von Amyloid schon in einer frühen Phase der Erkrankung, während die Aggregate aus Tau-Proteinen erst später auftreten. Das Inflammasom ist hier ebenfalls beteiligt. In früheren Studien hatte die Forschungsgruppe um Heneka bereits festgestellt, dass dieser Immunschalter einerseits durch Amyloid-Ablagerungen aktiviert wird und andererseits die Entstehung weiterer Ablagerungen fördern kann.

„Es stellt sich die Frage, wie Amyloid- und Tau-Pathologie zusammenhängen“, sagt Heneka. „Wenn man unsere neueren Ergebnisse und ältere insgesamt betrachtet, dann stützen sie die Amyloid-Kaskaden-Hypothese für die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung. Das bedeutet, dass das Amyloid sozusagen am Anfang der Erkrankung steht und letztlich zur Entstehung der Tau-Pathologie führt.“

Vielleicht sei die Wirkung des Amyloids auf das Gehirn aber gar nicht so schwerwiegend, so Heneka weiter: „Allerdings ist das Amyloid ein Immunstimulator. Es wirkt auf das Inflammasom und stößt wahrscheinlich auch diverse andere Entzündungsprozesse an, die letztlich die Nervenzellen schädigen. Der entscheidende Mechanismus zwischen Amyloid-Ablagerung, die ja sehr früh stattfindet, und dem Zelltod durch Tau, der möglicherweise erst Jahrzehnte später geschieht, ist demnach die inflammatorische Komponente der Erkrankung. Das Inflammasom ist das Bindeglied zwischen Amyloid- und Tau-Pathologie. Es reicht gewissermaßen den Staffelstab weiter.“

Ansatzpunkte für die Therapieforschung

Entzündungsprozesse treiben demnach die Erkrankung voran, denn sie befeuern die Entwicklung der Amyloid- und der Tau-Pathologie. „Das Inflammasom hat bei Alzheimer und anderen Hirnerkrankungen eine Schlüsselstellung“, so Heneka. Er sieht darin Ansatzpunkte für neue Behandlungsoptionen. „Die Idee, den Krankheitsverlauf über das Immunsystem zu beeinflussen, ist naheliegend. Daran wird geforscht. Allerdings sind alle diese Ansätze derzeit noch weit weg von der klinischen Erprobung. Da muss man einen langen Atem haben und erst einmal nach und nach die relevanten Mechanismen entschlüsseln. Unsere Forschung ist ein Beitrag dazu.“

Originalpublikationen:
Ising C, Venegas C, Zhang S, et al. NLRP3 inflammasome activation drives tau pathology. Nature 2019, Nov 20, 75(7784): 669-673. doi: 10.1038/s41586-019-1769-z

Venegas C, Kumar S, Franklin BS, et al. Microglia-derived ASC specks cross-seed ß-amyloid in Alzheimer’s disease. Nature 2017 Dec 20, 552(7685):355-361. doi: 10.1038/nature25158

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Heneka
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative
Erkrankungen (DZNE) &
Universitätsklinikum Bonn, Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie
Venusberg-Campus 1
53127 Bonn
michael.heneka@dzne.de

Pressekontakt:
Dr. Marcus Neitzert
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative
Erkrankungen (DZNE)
Stabsstelle Kommunikation
Venusberg-Campus 1, Gebäude 99
53127 Bonn
marcus.neitzert@dzne.de