Multiresistente Erreger finden sich überall – in der Nutztierhaltung so wie in der Landwirtschaft und im menschlichen Körper. Forschende in Gießen weisen vor allem im Abwasser von Kliniken Bakterien nach, bei denen viele Antibiotika nicht mehr helfen.
Sehr vielen Bakterienstämmen können die gängigen Antibiotika nichts mehr anhaben: Immer mehr Bakterien sind multiresistent, das heißt gegen mehrere Antibiotika gleichzeitig unempfindlich. Damit werden sie zu einer immer größeren Gefahr für die menschliche Gesundheit, denn wird eine Infektion durch multiresistente Bakterien hervorgerufen, ist sie sehr viel schwieriger zu behandeln. Häufig muss dabei auf sogenannte Reserveantibiotika zurückgegriffen werden, von denen es inzwischen aber auch immer weniger gibt.
Mensch, Tier und Umwelt im Blick
Multiresistente Bakterien können überall in der Umwelt vorkommen – in der Nutztierhaltung, in landwirtschaftlich genutzten Böden, Seen und Bächen, aber auch auf der menschlichen Haut oder in der Darmflora. Besonders gefährlich sind die sogenannten ESKAPE-Bakterien; für sie ist die Entwicklung neuer Antibiotika laut Weltgesundheitsorganisation WHO besonders dringlich. Ganz weit oben auf der WHO-Prioritätenliste: Extended Spektrum Beta-Laktamase produzierende Escherichia coli (ESBL E. coli), Carbapenemase-produzierende Enterobacteriaceae (CPE), Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE), Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und Carbapenem-resistente Acinetobacter baumannii.
Wo und in welcher Form diese Bakterien in Gülleproben und im Abwasser vorkommen, untersuchte ein Team um den Mikrobiologen Professor Dr. Peter Kämpfer am Institut für Angewandte Mikrobiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Insbesondere ging es den Forschenden darum herauszufinden, ob aus der Landwirtschaft eingetragene, multiresistente Bakterien durch eine Behandlung der Gülle in Klär- und Biogasanlagen wirksam eliminiert werden können.
„Das ist ein Problem, das die gesamte Bevölkerung betrifft, denn resistente Bakterien aus der Landwirtschaft gelangen auch in unsere Nahrungskette“, erläutert Kämpfer. „Dabei kann es sich um selbst krankmachende Keime handeln, aber auch um Erreger, die ihre Resistenzen auf krankmachende Keime übertragen.“
Erforschung antimikrobieller Resistenzen
Bei der Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen braucht es einen ganzheitlichen Blick: Solche Resistenzen entwickeln sich nicht nur im Menschen, sondern auch in der Nutztierhaltung und in der Landwirtschaft, zum Beispiel in Abwässern. Das BMBF berücksichtigt diese Perspektive in mehreren Fördermaßnahmen zur Infektions- und zur „One Health“-Forschung, die die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als ein zusammenhängendes System betrachtet. Seit Langem unterstützt das BMBF die europäische Förderinitiative JPIAMR zu antimikrobiellen Resistenzen; aktuell wird diese zu einer europäischen Partnerschaft für One Health weiterentwickelt. Über diese Plattform sollen die europäischen Forschungsaktivitäten koordiniert und aufeinander abgestimmt werden.
JPIAMR
One Health: Mensch, Tier und Umwelt – gemeinsam gesund
Projekt ARMIS: Systematische Studie zeigt deutliche Unterschiede in der Verbreitung
Das von Kämpfer geleitete deutsche Projekt ist Teil des Vorhaben ARMIS, einem transnationalen Forschungsverbund zu antimikrobieller Resistenz, und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 300.000 Euro gefördert. Parallel zu den Untersuchungen in Deutschland werden mit identischen und zuvor abgestimmten Methoden Untersuchungen in Kanada, den Niederlanden und Rumänien vorgenommen – so sollen Fortschritte bei Prävention, Surveillance und Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen erzielt werden, die allein auf nationaler Ebene nicht zu erreichen sind.
In allen in Gießen untersuchten Gülleproben und fast allen untersuchten Gärresten konnte das Team um Kämpfer ESBL E.coli nachweisen sowie in Gülleproben VRE-Keime und vereinzelt auch MRSA-Erreger. Bakterien der Spezies Acinetobacter baumannii fanden die Forschenden in antibiotika-resistenten Varianten vor allem dort, wo Klinken ihre Abwässer ins System einleiten. Bisher war nur wenig bekannt, wie sich diese resistenten Erreger in der Umwelt verbreiten; mit ihrer systematischen Studie konnten die Gießener Mikrobiologen hier erstmals deutliche Unterschiede feststellen.
Multiresistente Bakterien können auch ohne Sauerstoff überleben
„A. baumannii-Bakterien aus der Landwirtschaft und ländlichen Kläranlagen unterscheiden sich genetisch von den Stämmen aus städtischen Kläranlagen“, nennt Kämpfer ein wichtiges Ergebnis der Studie. „Letztere waren zum Teil gleich gegen mehrere Antibiotika resistent; Stämme aus Gülleproben und Resten von Gärungsprozessen dagegen zeigten sich zumeist sensibel gegenüber einigen Antibiotika.“ Eine Erkenntnis dabei war für die Forschenden unerwartet: Die Klär- und Gärprozesse verlaufen in z.T. sauerstofffreier Umgebung, dennoch überlebten die eigentlich auf Sauerstoff angewiesenen Acinetobacter-Bakterien die Güllebehandlung – und mit ihnen die Resistenz gegen Antibiotika.
Das Bakterium Acinetobacter baumannii zählt zu den sogenannten Krankenhauskeimen, mit denen sich jedes Jahr weltweit Hundertausende Menschen bei einem Aufenthalt in einer medizinischen Einrichtung infizieren. Insbesondere bei immungeschwächten Patientinnen und Patienten können diese Erreger Infektionen verursachen, die bis hin zu einer Blutvergiftung (Sepsis), Lungenentzündung und Multiorganversagen reichen. Allein in Deutschland sind laut Robert Koch-Institut jährlich bis zu 20.000 Todesfälle auf solche nosokomialen Infektionen im Krankenhaus zurückzuführen.
Wie die Verbreitung von Resistenzen besser bekämpft werden kann, ist nun Gegenstand weiterer Studien. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden in Gießen detailliert analysieren, wie sich multiresistente Bakterien im Abwasser und in Klärschlämmen verhalten, wie der Austausch mit anderen Bakterien erfolgt und auf welchen Wegen die Bakterien in die menschliche Nahrungskette gelangen. Gegenstand weiterer Untersuchungen ist auch, welchen Effekt die seit Beginn der COVID-19-Pandemie vermehrt eingesetzten Desinfektionsmittel auf das Weitertragen resistenter Bakterien in die Umwelt haben.