Oktober 2015

| Newsletter 75

Antikörper gegen Leukämie: Tübinger Firma setzt auf das Immunsystem

Das junge Unternehmen „Synimmune“ setzt im Kampf gegen Leukämie auf neuartige Immuntherapien, die das Abwehrsystem der Patientinnen und Patienten mobilisieren sollen. Das Bundesforschungsministerium unterstützt die Firma im Rahmen der „Gründungsoffensive GO-Bio“.

Als Martina Hausmann* in die Universitätsklinik Tübingen kam, gab es für sie kaum noch Hoffnung auf Heilung. Die Leukämie-Patientin galt als „austherapiert“. Das bedeutet, dass die Möglichkeiten der Behandlung eigentlich ausgeschöpft sind. Im Fall von Frau Hausmann konnten Chemotherapie und Knochenmarktransplantation die fortschreitende Leukämie nicht stoppen. Doch eine Chance gab es noch für sie: Die Krebskranke willigte ein, an einem sogenannten individuellen Heilversuch teilzunehmen, dem Test eines Medikaments, das jedoch noch nicht zugelassen ist.

In der Universitätsklinik bekam Martina Hausmann unter strengen Sicherheitsvorkehrungen Infusionen mit speziellen Antikörpern. Sie sollten ihrem Immunsystem im Kampf gegen die Tumorzellen auf die Sprünge helfen. Das war vor mehr als drei Jahren. „Heute berichtet die Patientin in Medizin-Vorlesungen von ihren Erfahrungen mit der Antikörper-Therapie. Sie schreibt dem Ärzteteam Postkarten aus dem Urlaub und hat ihre Wohnung noch einmal komplett neu eingerichtet“, erzählt Dr. Ludger Große-Hovest. Für den Biologen ist dies nicht nur eine Geschichte der Hoffnung, sondern auch der beste Beweis dafür, dass die Arbeit seines Teams bei der Firma Synimmune erfolgreich war.

Immunzellen (blau) greifen eine Tumorzelle an. Diesen Mechanismus wollen Forscherinnen und Forscher für neuartige Krebstherapien nutzen.

Immunzellen (blau) greifen eine Tumorzelle an. Diesen Mechanismus wollen Forscherinnen und Forscher für neuartige Krebstherapien nutzen.

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Antikörper enttarnen Krebszellen

Krebsforscherinnen und -forscher setzen im Kampf gegen Tumore verstärkt auf Immuntherapien. Dafür mobilisieren sie das körpereigene Abwehrsystem der Patientinnen und Patienten. Synimmune entwickelt hierfür spezielle mono- und bispezifische Antikörper. Sie werden den Betroffenen gespritzt und ermöglichen dem Körper eine Art Hilfe zur Selbsthilfe: Die Antikörper machen die entarteten Krebszellen für das Immunsystem sichtbar, sodass dieses den Tumor effektiv bekämpfen kann. Diese Strategie ist zwar nicht neu, wurde mit den neuartigen Antikörpern jedoch optimiert.

Antikörper haben eine Y-Form. Der obere Teil des Ypsilons erkennt hoch-spezifisch Strukturen auf der Oberfläche von Tumorzellen und dockt daran an. Der untere Teil des Antikörpers, der sogenannte Fc-Teil, bindet wiederum an die natürlichen Killerzellen des Immunsystems, die NK-Zellen. Dadurch werden diese aktiviert und zerstören die Tumorzellen. „Allerdings ist die Wirkung einer Antikörperbehandlung oft begrenzt und hält nur kurz an. Synimmune hat durch Optimierung der Fc-Teile die Effizienz und Wirksamkeit dieser Antikörper deutlich gesteigert“, sagt Große-Hovest, wissenschaftlicher Leiter von Synimmune, einer Ausgründung der Universität Tübingen. Diese bessere Wirksamkeit konnten die Forscherinnen und Forscher bereits im Rahmen individueller Heilversuche bei mehreren Patientinnen und Patienten nachweisen.

Aktivierung weiterer Immunzellen

Neben den Fc-optimierten, monospezifischen Antikörpern, die auf eine bestimmte Struktur von Tumorzellen spezialisiert sind, entwickelt Synimmune sogenannte bispezifische Antikörper. „Durch die bispezifischen Antikörper wird es vor allem möglich – zusätzlich zu den natürlichen Killerzellen –, weitere Immunzellen, wie zum Bespiel die hoch-effektiven T-Zellen, an den Tumor zu binden“, erklärt Große-Hovest. Diese T-Zellen heizen das Immunsystem an. „Durch die Rekrutierung von T-Zellen und deren Aktivierung kommt es gleichzeitig zu einer Vervielfältigung der natürlichen Killerzellen, so wie es auch bei einer normalen Infektion der Fall ist“, erklärt Große-Hovest. Das erste bispezifische Molekül hat Synimmune bereits so weit entwickelt, dass die Planung einer ersten klinischen Studie bevorsteht.
 

Mitarbeiterinnen der Tübinger Firma Synimmune bei der Produktion der Antikörper. Sie werden in einem sogenannten GMP-Labor unter strengen Reinheitsvorschriften produziert.

Mitarbeiterinnen der Tübinger Firma Synimmune bei der Produktion der Antikörper. Sie werden in einem sogenannten GMP-Labor unter strengen Reinheitsvorschriften produziert.

Synimmune GmbH

Enge Verknüpfung von Forschung und Klinik

Immuntherapien mit Antikörpern gehören bei der Behandlung vereinzelter Krebsarten inzwischen zum Standard. So wird der Antikörper Herceptin erfolgreich für die Therapie bestimmter Brust- und Magenkrebserkrankungen eingesetzt. Die Pharmaforschung hat bereits zahlreiche weitere Antikörper im Visier. „Bislang dauert die Entwicklung eines marktreifen Wirkstoffs jedoch viel zu lange“, sagt Große-Hovest. „Unser Ziel ist es, innovative Krebsmedikamente effizienter und schneller vom Labor zum Patienten zu bringen.“ Synimmune kommt dabei die enge Anbindung an die Universitätsklinik Tübingen zugute. Die Ärztinnen und Ärzte haben den direkten Kontakt zu den Krebskranken. Zusammen mit der Firma bereiten sie die klinischen Studien vor.

Doch die „Wunderwaffe“ gegen Krebs hat auch ihre Grenzen. Bei einer Immuntherapie werden im Idealfall nur Krebszellen angegriffen und gesunde Zellen verschont. Der Eingriff in das körpereigene Abwehrsystem kann dieses jedoch auch aus dem Gleichgewicht bringen. Dann wird auch gesundes Gewebe bekämpft. Im Tübinger Fall ist die Antikörper-Therapie jedoch ohne Komplikationen verlaufen. „Unser Wirkstoff hat bislang keine Nebenwirkungen gezeigt“, sagt Große-Hovest. „Nach der kräftezehrenden Chemotherapie war dies eine große Erleichterung für die Patientin.“

*) Name von der Redaktion geändert

Der Wettbewerb GO-Bio – Starthilfe für Firmengründungen

Eine gute Idee ist noch kein marktreifes Produkt und ein hervorragender Wissenschaftler noch kein erfolgreicher Firmenchef. Um die Finanzierungslücke zwischen öffentlicher Forschung und privater Firmenfinanzierung zu schließen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Wettbewerb „Gründungsoffensive Biotechnologie − GO-Bio“ ins Leben gerufen. Die geförderten Arbeitsgruppen sollen neue Forschungsansätze in den Lebenswissenschaften verfolgen und deren kommerzielle Verwertung zielgerichtet vorbereiten. Firmengründungen werden somit erleichtert. Seit 2005 hat das Ministerium im Rahmen von sechs Auswahlrunden 45 Projekte unterstützt, aus denen bereits 22 Unternehmensgründungen hervorgegangen sind. Eine siebte GO-Bio-Auswahlrunde wird derzeit umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie hier.


Ansprechpartner:
Dr. Ludger Große-Hovest
SYNIMMUNE GmbH
Auf der Morgenstelle 15
72076 Tübingen
07071 2978820
grosse-hovest@synimmune.de
www.synimmune.de