Februar 2017

| Newsletter 77

Arzneimittel passgenau verschreiben – Software soll Therapie sicherer machen

Die Zahl wirksamer Arzneimitteln steigt. Gerade ältere und mehrfach erkrankte Menschen profitieren davon. Doch oft beeinflussen sich die Präparate in ihrer Wirkung. Ein elektronisches Informationssystem soll helfen, dies bei der Therapie zu berücksichtigen.

AiDKlinik® Header

Allein ein Blick auf den Beipackzettel verrät: Nicht jeder Mensch braucht die gleiche Menge eines Medikamentes. Es kommt auf die richtige Dosierung an, welche patientenindividuelle Faktoren und mögliche Wechselwirkungen umfassend berücksichtigen muss. Hinzu kommt, dass nicht alle Präparate gleichermaßen teilbar sind oder sich in ihrer Löslichkeit unterscheiden. Oft ist es nötig, spezielle Präparate des gleichen Wirkstoffes auszuwählen, die im Einzelfall geteilt oder suspendiert werden können.
 

Viele Wirkstoffe können sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen. Deshalb muss schon bei der Verordnung die richtige Dosis im Einzelfall berechnet werden.

Viele Wirkstoffe können sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen. Deshalb muss schon bei der Verordnung die richtige Dosis im Einzelfall berechnet werden.

DLR PT/BMBF

Insgesamt kann eine Arzneimitteltherapie sehr komplex sein. Wichtig ist dabei, dass alle am Medikationsprozess Beteiligten ihre Aufgabe kompetent und vorausschauend erfüllen, um Missverständnisse und Medikationsfehler zu vermeiden. Nicht zuletzt gilt es auch, die Patientinnen und Patienten zu unterstützen. Denn anders als im Krankenhaus sind sie im ambulanten Bereich für die Anwendung oder Einnahme der Arzneimittel oft allein zuständig. „Hierfür brauchen wir maßgeschneiderte Informationen“, erklärt Professor Walter E. Haefeli. Er leitet die Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Natürlich sind eine Reihe von Wechselwirkungen heute schon bekannt. Und diese Informationen sind auch für Ärzte und Apotheker verfügbar – die Herausforderung ist jedoch, zum Zeitpunkt einer klinischen Entscheidung die aktuell relevante Information so aufzubereiten, dass sie in einem hektischen Arbeitsalltag mit Zeitnot leichter zugänglich ist.“

Sichere Arzneimitteltherapie bei Nierenkranken

Haefeli und sein Team wollen diese Herausforderungen in der Arzneimitteltherapie identifizieren und Lösungsansätze für den klinischen Alltag entwickeln.

Die Grundlage für jede klinische Entscheidung sollten dabei evidenzbasierte, also wissenschaftlich gesicherte Daten sein. Mit der Aufarbeitung und Strukturierung dieser Daten begannen Haefeli und sein Team 1999. In dieser Anfangszeit wurden sie die ersten vier Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Ziel dieser ersten Projekte war es beispielsweise die Medikation bei nierenkranken Personen zu verbessern oder Arzneimittelwechselwirkungen hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz zu beurteilen. Bereits früh arbeiteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einer elektronischen Darstellung der erarbeiteten Informationen, denn sie waren überzeugt, dass nur so das Wissen in die Fläche gelangen konnte. Sie nannten das System AiDKlinik®, wobei AiD für Arzneimittel-Informations-Dienste steht. Diese Software unterstützt die Anwender vom ersten Schritt der Rezeptschreibung, warnt vor Risikokonstellationen und bewertet Arzneimittelinteraktionen oder gibt Hinweise zur Dosisanpassung an die Nierenfunktion. Denn Blutwerte, Geschlecht und Gewicht des Patienten werden automatisch einbezogen und berücksichtigt. AiDKlinik® hat sich daraufhin in einer Pilotphase am Heidelberger Universitätsklinikum erfolgreich etabliert. „Unsere Analyse hat gezeigt, dass bei den Rezepten, die mithilfe der Software erstellt wurden, riskante Medikamentenkombinationen weitestgehend vermieden werden konnten“, so Haefeli.

Nach Auswahl der Medikamente zeigt die Software AiDKlinik® alle bekannten Wechselwirkungen der Medikamente auf einen Blick. Die Farbe der Verbindungslinien zeigt dabei an, inwieweit eine gleichzeitige Einnahme kritisch ist.

Nach Auswahl der Medikamente zeigt die Software AiDKlinik® alle bekannten Wechselwirkungen der Medikamente auf einen Blick. Die Farbe der Verbindungslinien zeigt dabei an, inwieweit eine gleichzeitige Einnahme kritisch ist.

AiDKlinik®

Erfolgreiche Weiterentwicklung

Die flächendeckende Anwendung von AiDKlinik® am Universitätsklinikum Heidelberg ab 2003 zeigte auch, dass sich die Software gut in die ärztlichen Arbeitsabläufe integrieren ließ. Haefeli und sein Team sahen deshalb gute Chancen, AiDKlinik® bald auch in anderen Kliniken oder Arztpraxen einzusetzen und als Entscheidungsunterstützung auch für weitere Fragestellungen anzubieten. Er gründete 2006 die Dosing GmbH als Spin-off des Universitätsklinikums Heidelberg mit dem Ziel, das System externen Interessenten verfügbar zu machen und in die jeweils vorhandene Informationstechnologie zu integrieren. Kontinuierlich wurden weitere Funktionen zu AiDKlinik® hinzugefügt, in klinischen Studien untersucht und die Resultate publiziert. „Mittlerweile adressiert das System Risikosituationen im klinischen Alltag sehr umfassend und soll so Ärzte, Apotheker, aber auch Pflegekräfte bestmöglich bei medizinischen Entscheidungen unterstützen“, so Haefeli. Über die Jahre kamen so neue Schwerpunkte wie die Warnung bei Gegenanzeigen, Fehldosierungen, Allergien, aber auch die Unterstützung der Arzneimittelanwendung durch Pflegekräfte oder den Patienten selbst mit hinzu. So kann die Medikation heute nicht mehr nur in den Arztbrief übernommen, sondern auch als mehrsprachiger Medikationsplan für den Patienten ausgedruckt werden. Auf diesen Plänen werden dann auch gleich automatisch Anwendungshinweise ergänzt, die den Patienten in seiner Therapie unterstützen sollen.

Falls der Name vergessen wurde: Eine Funktion bei AiDKlinik® ermöglicht die Suche der Medikamente dem Aussehen nach.

Falls der Name vergessen wurde: Eine Funktion bei AiDKlinik® ermöglicht die Suche der Medikamente dem Aussehen nach.

AiDKlinik®

„AiDKlinik® ist ein Erfolgsbeispiel für die Nachhaltigkeit von Fördergeldern“, sagt Haefeli. Angestoßen wurde das Projekt durch eine Bekanntmachung des BMBF. „In unseren Projekten konnten wir damals die wissenschaftliche Basis für die Software liefern, die seitdem kontinuierlich ergänzt und erweitert wurde. Mittlerweile wird AiDKlinik® von Krankenkassen, pharmazeutischen Unternehmen, Kassenärztlichen Vereinigungen und zahlreichen Krankenhäusern lizenziert und versorgt so mehr als jedes achte Krankenhausbett in Deutschland.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Walter E. Haefeli
Universitätsklinikum Heidelberg
Medizinische Klinik
Abteilung Klinische Pharmakologie
und Pharmakoepidemiologie
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
06221 56-8722
06221 56-4642
Walter.Emil.Haefeli@med.uni-heidelberg.de
www.klinikum.uni-heidelberg.de/klinpharm
www.aidklinik.de