Interview mit Professor Achim Göpferich von der Universität Regensburg zum Thema Tissue Engineering
Herr Professor Göpferich, in welchen Bereichen hat Tissue Engineering, also das Züchten von Gewebe und seine Übertragung auf den Menschen, bereits praktische Bedeutung?
Am weitesten ist man bei Stützund Bindegewebe, zum Beispiel bei Haut, Knorpel und Knochen. Hautersatz, den man etwa bei Verbrennungen einsetzen kann, kommt der natürlichen Haut schon sehr nahe. Und bei Knorpelschäden an Gelenken können gezüchtete Knorpelzellen ins kranke Gelenk gespritzt werden. Das sind aber noch keine Standardtherapien. Bisher bieten nur wenige Zentren die Behandlungen an.
Wo verspricht Tissue Engineering am meisten Erfolg?
Die großen Gesundheitsprobleme unserer Gesellschaft wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden wir auch mithilfe von Tissue Engineering nicht lösen. Viel realistischer ist die Anwendung in kleineren Gebieten, bei Geweben mit einfacher Struktur. Neben Haut, Knorpel und Knochen gehören dazu auch die Hornhaut und der Glaskörper des Auges.
Ist es realistisch, mithilfe von Tissue Engineering eines Tages komplexe Organe wie eine Niere züchten zu können?
Wir sollten bei unseren Zielen bescheidener werden. In der Euphorie der ersten Jahre, als sich Tissue Engineering etablierte, hieß es: „Gebt uns zehn Jahre, und wir züchten Organe.” Mittlerweile sind 15 Jahre vergangen, und diese Hoffnung hat sich zunächst zerschlagen. Wir haben noch enorme Wissenslücken und müssen deshalb wieder einen oder zwei Schritte zurückgehen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Zucht von Organen im Reagenzglas überhaupt der richtige Weg ist. Vielleicht ist es sinnvoller, stattdessen die Regeneration kranker menschlicher Organe mithilfe von Botenstoffen oder Stammzellen zu unterstützen. Eine Stammzelltherapie des Herzens, bei der die Zellen gespritzt werden, damit geschädigte Bereiche des Herzmuskels sich regenerieren, ist ein Beispiel für diesen Ansatz.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Tissue Engineering?
Das Hauptproblem besteht darin, Zellen so zu coachen, dass sie sich vermehren und gleichzeitig zu den gewünschten Gewebearten weiterentwickeln. Knorpelzellen vergessen zum Beispiel nach einigen Vermehrungsschritten, dass sie Knorpelzellen sind. Außerdem wachsen die übertragenen Zellen oft nicht gut in den Körper ein. Sie geraten plötzlich in eine völlig neue Umgebung und haben Probleme sich anzupassen. Um das Einwachsen zu verbessern, müssen wir zunächst genauer verstehen, wie Zellen untereinander kommunizieren. Erst dann lässt sich zum Beispiel die Bildung neuer Blutgefäße gezielt anregen. Wir kennen zwar mächtige körpereigene Botenstoffe, die unter anderem das Wachstum von Blutgefäßen steuern. Aber ihre Wirkungen sind so komplex, dass wir sie noch nicht kontrolliert einsetzen können.
Welche Risiken für die Patienten könnte Tissue Engineering haben?
Das ist noch nicht absehbar. Man muss immer vorsichtig sein, wenn man biologisches Material von außen in den Körper einbringt, unter anderem wegen des Infektionsrisikos. Auch die eingesetzten Botenstoffe könnten gefährlich sein. Wer möchte schon, dass sie irgendwo im Körper Zellen zum Wachstum anregen oder dass sich in der Leber auf einmal Knochen bildet? Der Organismus setzt die Botenstoffe aus gutem Grund sehr gezielt ein. Wir müssen beim Tissue Engineering dasselbe tun.