Begleiten und respektieren - Patientenwünsche am Lebensende

Vielen Menschen ist es ein großes Anliegen, dass ihre Wünsche zum Einsatz lebensverlängernder Maßnahmen im Krankheitsfall beachtet werden. Auch dann, wenn sie diese Entscheidungen nicht mehr selbst treffen können. Doch eine aussagekräftige und präzise Patientenverfügung zu formulieren, die im Notfall auch respektiert wird, ist nicht einfach. Gespräche mit speziell ausgebildeten Beratern und eine regionale Initiative können hierbei helfen. (Newsletter Nr. 51 / Mai 2011)

Wie sollen meine Angehörigen, Pfleger und Ärzte im Notfall entscheiden? Möchte ich bei Bedarf reanimiert werden? Soll ich ins Krankenhaus gebracht werden? Stimme ich einer künstlichen Ernährung zu? Diese und weitere Fragen können in einer Patientenverfügung festgelegt werden.
Mit dem Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahr 2009 wurden die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und stellvertretende Entscheidungen von Bevollmächtigten in Deutschland unterstrichen. „Dennoch kann eine gesetzliche Verankerung von Patientenverfügungen allein nicht gewährleisten, dass alle Patientenwünsche am Lebensende respektiert werden“, sagt Dr. Jürgen in der Schmitten vom Universitätsklinikum Düsseldorf. Denn sowohl bei der Erstellung als auch bei der Umsetzung von Patientenverfügungen gibt es zahlreiche Hürden.

„Vielfach werden Patientenverfügungen ohne kompetente Beratung verfasst, was dazu führen kann, dass die Verfügungen ungenau und wenig aussagekräftig formuliert sind“, so Dr. in der Schmitten. Die Konsequenz: Viele Patientenverfügungen sind im Notfall kaum brauchbar. Vielfach ist fraglich, ob die festgelegten Wünsche tatsächlich mit dem Willen des Betroffenen übereinstimmen. Auch sind Angehörige häufig mit ihrer Aufgabe als Vertreter überfordert oder die Dokumente sind im akuten Krankheitsfall nicht auffindbar. „Diese Situation lässt sich dadurch verbessern, wenn wir Betroffene – also zum Beispiel Bewohner eines Seniorenheims – informieren, beim Schreiben ihrer Patientenverfügung begleiten und gleichzeitig aktiv dafür Sorge tragen, dass diese Verfügung dann auch von Pflegekräften und Ärzten respektiert und umgesetzt wird “, erklärt Dr. in der Schmitten.

Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „RESPEKT – Respekt für vorausverfügte Entscheidungen und Präferenzen für den Fall von Krankheit und Tod“ haben Mediziner, Medizinethiker und Juristen nun ein in Deutschland einmaliges Programm entwickelt, um sicherzustellen, dass im Voraus verfügte Behandlungswünsche respektiert werden. Das Programm heißt „beizeiten begleiten“ und wird seit 2008 in drei der vier dazu eingeladenen Seniorenheime in der Stadt Grevenbroich angeboten. „Uns geht es nicht darum, dass mehr Menschen ihren Patientenwillen niederlegen. Vielmehr möchten wir diejenigen, die wollen, dass ihre Wünsche zu lebensverlängernden Maßnahmen beachtet werden, dabei unterstützen, diese unmissverständlich und präzise festzulegen“, erklärt Dr. in der Schmitten, Koordinator des Forschungsverbundes. Die eigentliche Patientenverfügung ist deshalb nur einer von zahlreichen Bausteinen des aus den USA stammenden Konzeptes Advance Care Planning. „In Deutschland nennen wir dieses Konzept gesundheitliche Vorsorgeplanung in der Region.“

Gedanken sortieren und eine Meinung bilden

Wie sieht das Konzept aus? Zum einen wird allen Bewohnerinnen und Bewohnern der teilnehmenden Seniorenheime angeboten, an einer umfassenden Gesprächsbegleitung teilzunehmen. Wenn gewünscht, finden anschließend stets mehrere, meist insgesamt mehrstündige Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtungen statt, die zuvor speziell für die Durchführung von derartigen Gesprächen zu „Begleitern“ geschult wurden. In diesen Gesprächen geht es ganz konkret darum, wie sich die Betroffenen ihr Lebensende vorstellen und welche lebensverlängernden Maßnahmen im Einzelfall ergriffen werden sollen. An diesen Gesprächen nehmen oftmals auch Angehörige teil. „Es liegt auf der Hand, dass eine Patientenverfügung in der Regel nur dann aussagekräftig sein kann, wenn ihr eine umfassende Gesprächsbegleitung durch qualifiziertes Personal zugrunde liegt“, beschreibt Dr. in der Schmitten. „Die Gespräche helfen den Menschen dabei, ihre Gedanken zu sortieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Ihre Behandlungswünsche können die Betroffenen natürlich jederzeit wieder revidieren.

Notfallbogen bringt Wünsche auf den Punkt

Entscheidet sich eine Bewohnerin oder ein Bewohner, eine Patientenverfügung zu verfassen, werden die Behandlungswünsche gemeinsam genau und unmissverständlich dokumentiert. Ein Teil der umfangreichen Verfügung ist auch ein eigens für das Projekt entwickelter, ärztlich verantworteter Notfallbogen, der kurz, knapp und präzise die notfallrelevanten Wünsche der Patienten zum Einsatz von lebensverlängernden Maßnahmen im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung zusammenfasst. „Denn viele Entscheidungen müssen beispielsweise von Notärzten unter enormem Zeitdruck getroffen werden. In dieser Situation ist es wichtig, den Patientenwillen auf einen Blick eindeutig erkennen und sich auf den dahinter stehenden Gesprächsprozess verlassen zu können“, so Dr. in der Schmitten.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Projektes „beizeiten begleiten“ ist, dass die Patientenverfügung von speziell fortgebildeten Hausärzten überprüft und mit unterschrieben wird. „Die Hausärzte überzeugen sich davon, ob die Wünsche korrekt wiedergegeben wurden, ob die Person tatsächlich in die Patientenverfügung einwilligt und ob sie die Verfügung und ihre Konsequenzen vollständig versteht“, erklärt Dr. in der Schmitten.

Um gewährleisten zu können, dass eine Patientenverfügung im Notfall gesehen und respektiert wird, ist es darüber hinaus nötig, alle beteiligten Personen der regionalen Gesundheitsversorgung über das Projekt zu informieren und auf die Umsetzung der Behandlungswünsche vorzubereiten, also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Seniorenheime, des Rettungsdienstes und des zuständigen Krankenhauses. Dies erfordert eine umfassende, regionale Intervention. Die Daten einer kontrollierten Studie, die diese Intervention begleitet, werden derzeit analysiert und sollen im Laufe des Jahres veröffentlicht werden.

„Tod, Sterben und das Risiko zu erkranken, sind noch immer Tabuthemen. Dennoch haben wir größtenteils positive Rückmeldungen auf unser Projekt bekommen, sowohl von den Heimbewohnern und ihren Angehörigen als auch vom Pflegepersonal und den Ärzten“, sagt Dr. in der Schmitten. Doch gab es auch kritische Stimmen: Eine Hausarztpraxis und eines der vier Seniorenheime haben das Projekt nach einigen Monaten verlassen. Offene Fragen, die es zur Umsetzung des Projektes gibt, werden derzeit diskutiert – insbesondere Fragen zu den Ressourcen für eine nachhaltige regionale Realisierung eines solchen Projektes. „Unser Ziel ist es, das Programm ‚beizeiten begleiten‘ langfristig auch in weiteren Seniorenheimen beziehungsweise Regionen anzubieten und so dazu beizutragen, dass Behandlungsentscheidungen am Lebensende im Einklang mit dem Willen des Betroffenen getroffen werden.“

Ansprechpartner:
Dr. Jürgen in der Schmitten
Abteilung für Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Düsseldorf
Postfach 10 10 01
40001 Düsseldorf
Tel.: 0211 811 6816
Fax: 0211 811-8755
E-Mail: jids@med.uni-duesseldorf.de