Innovative Formen der Zusammenarbeit bringen frischen Wind in die Entwicklung von Medikamenten gegen vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten. Produktentwicklungspartnerschaften sollen die Lücken zwischen Forschung und Entwicklung schließen.
Kabo, Zentralafrikanische Republik – die zwölfjährige Jala kämpft noch mit den Auswirkungen der letzten Woche. Ihre Haut juckt, und ihre Lymphknoten sind noch immer leicht angeschwollen. Aber immerhin ist sie das Fieber und den Schüttelfrost los. Jala möchte gerne wieder zur Schule gehen, muss sich aber wohl noch etwas gedulden. Das Mädchen hat sich mit der Schlafkrankheit infiziert. In ihrer Heimat wird sie von den dort allgegenwärtigen Tsetse-Fliegen übertragen. Dabei hatte Jala Glück: Die Krankheit wurde bei ihr früh, im ersten von zwei Krankheitsstadien, diagnostiziert und mit einer neuen Medikamentenkombination behandelt. Damit bleibt ihr höchstwahrscheinlich das zweite Krankheitsstadium erspart. Die zweite Phase tritt gewöhnlich erst später auf und äußert sich in Verwirrtheit, Koordinations- und Schlafstörungen sowie Krampfanfällen. Sie kann dann in einen dauerhaften schläfrigen Dämmerzustand übergehen, von dem sich der Name „Schlafkrankheit“ ableitet.
Neue Wege in der Medikamentenentwicklung
Die Schlafkrankheit gehört zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten. Sie kommt in 36 afrikanischen Ländern südlich der Sahara vor, überwiegend in ländlichen Regionen. Insgesamt benennt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 17 vernachlässigte Tropenkrankheiten als besondere Bedrohung für die Weltgesundheit – die Schlafkrankheit ist eine davon. Hinzu kommen weitere armutsassoziierte Krankheiten, zu denen auch weit bekanntere Vertreter wie Malaria, HIV/Aids und Tuberkulose zählen. Letztere können hierzulande meist mit modernen Medikamenten geheilt oder zumindest behandelt werden. Für andere Erkrankungen sind bislang aber kaum oder keine Therapien verfügbar. „Hinzu kommt, dass die entsprechenden Medikamente, wenn es welche gibt, oftmals sehr teuer und damit für viele Betroffene unerschwinglich sind. Oder die Therapie ist aufwendig und kann nur in größeren Krankenhäusern oder Spezialkliniken erfolgen. Somit kommt die medizinisch notwendige Hilfe leider häufig nicht bei den Menschen vor Ort an“, erklärt Nina Holzhauer. Sie ist Teil des Teams einer sogenannten Produktentwicklungspartnerschaft, die sich ‚Drugs for Neglected Diseases initiative‘, kurz DNDi, nennt. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) unterstützt gezielt Forschungsprojekte von DNDi (siehe Infobox). Holzhauer skizziert das Forschungsprojekt: „Wir testen gerade zwei neue Wirkstoffe, um die Erkrankung einfacher, effizienter und kostengünstiger behandeln zu können als bislang.“
Rückwärts denken – vorwärts handeln
Die Frage, ob eine neue Therapie wirklich einen bedeutenden Nutzen für die Patientinnen und Patienten hat, ist dabei die konstante und treibende Kraft der Arbeit von DNDi. Dieser patientenzentrierte Ansatz ist kein leeres Motto. Es handelt sich vielmehr um einen fundamentalen Bestandteil der täglichen Arbeit der Forscherinnen und Forscher, der ausschlaggebend für ihre Motivation ist. „Wir arbeiten mit sogenannten krankheitsspezifischen Zielprodukt-Profilen. In diesen Profilen beschreiben wir sowohl die medizinischen Anforderungen an ein Medikament als auch die spezifischen Gegebenheiten des Gesundheitssystems vor Ort. Hieraus leiten wir dann alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ab. Wir denken die Entwicklung eines Medikaments also quasi rückwärts“, erläutert Holzhauer. So soll beispielsweise ein neues Medikament als Tablette verabreicht werden können und nicht kühl gelagert werden müssen.
Für die Schlafkrankheit werden derartige Ansätze dringend benötigt. Bis vor wenigen Jahren wurde die Erkrankung – mangels wirksamer Alternativen – mit einem arsenhaltigen Medikament behandelt. Dieses Medikament verursacht viele Nebenwirkungen und kann sogar zum Tod des Patienten führen. „Wir mussten oft mitansehen, wie Erkrankte an der Behandlung gestorben sind. Für uns Ärzte war es unerträglich, dies den Familien der Verstorbenen erklären zu müssen“, erzählt Dr. Nganzobo Pathou, Klinikleiter in Bandundu, einer Provinz der Demokratischen Republik Kongo. Alternativen zu der riskanten Behandlung gab es damals allerdings nicht.
Therapie vor Ort
Seit 2010 gibt es einen neuen Wirkstoff gegen die Schlafkrankheit, der auch in späteren Krankheitsstadien eingesetzt werden kann. „Diese Nifurtimox-Eflornithin Kombinationstherapie, kurz NECT, wurde von DNDi mit Partnern entwickelt. Sie ist ein enormer Fortschritt. Aber die Betroffenen müssen noch immer in Kliniken behandelt werden, so wie im Fall von Jala. Denn es werden immer noch Infusionen benötigt“, erklärt Holzhauer. Deswegen testet DNDi derzeit, mit Unterstützung des BMBF, zwei neue Wirkstoffe. Sie könnten als Tablette verabreicht werden, wenn sie die klinischen Prüfungen erfolgreich durchlaufen haben. Erste klinische Studien sollen Ende 2015 abgeschlossen sein. „Ein daraus hervorgehendes neues Medikament könnte auch in dörflichen Gesundheitsprogrammen verabreicht werden. Das wäre ein wirklich großer Schritt dahin, die Schlafkrankheit komplett auszurotten“, blickt Holzhauer in die Zukunft. Bis es so weit ist, wird sich Jala hoffentlich schon lange wieder von der Behandlung erholt haben. Für viele andere Betroffene könnte die neue Therapie aber zukünftig deutlich einfacher werden.
Produktentwicklungspartnerschaften (Product Development Partnerships, PDPs) sind Non-profit-Forschungskooperationen von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Sie erforschen und entwickeln neue Diagnose-, Präventions- und Therapiemöglichkeiten, um Krankheiten zu bekämpfen, die besonders Menschen in ärmeren Regionen der Welt betreffen. Dabei tragen die Industrienationen eine besondere Verantwortung. In diesem Bewusstsein hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2011 das Förderkonzept „Vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten“ entwickelt. Mit diesem Konzept, das demnächst in aktualisierter und weiterentwickelter Form veröffentlicht wird, soll zur schnellen Entwicklung dringend benötigter Therapien, Impfstoffe und Diagnostika beigetragen werden. So fördert das BMBF beispielsweise die „Drugs for Neglected Diseases initiative“ (DNDi). Im Jahr 2003 von privaten und öffentlichen Institutionen gegründet, bringt DNDi viele Akteure zusammen, um Forschung und Entwicklung für vernachlässigte Krankheiten voranzutreiben – öffentliche Forschungseinrichtungen, Pharmafirmen und Ministerien, aber auch lokale Gesundheitssysteme und Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“. Die Arbeiten konzentrieren sich derzeit unter anderem auf die vernachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten Leishmaniose, Schlafkrankheit, die Chagas-Krankheit und spezielle Wurmerkrankungen sowie HIV/Aids bei Kindern.
In der G7-Spezialausgabe des Newsletters können Sie mehr über die Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten lesen. Vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten waren ein wichtiges Thema der deutschen G7-Präsidentschaft in 2015 und des G7-Wissenschaftsministertreffens in Berlin.
Ansprechpartnerin:
Nina Holzhauer
Drugs for Neglected Diseases initiative
15 Chemin Louis-Dunant
1202 Genf
Schweiz
030 664 011-69 (in Deutschland)
nholzhauer@dndi.org