Frühgeborene Kinder entwickeln oft eine chronische Lungenerkrankung, die sich jedoch erst spät und nur schwer diagnostizieren lässt. Münchner Forscherinnen und Forscher haben ein Verfahren entwickelt, um gefährdete Frühgeborene besser zu identifizieren.
Zwischen 15 bis 30 Prozent aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1000 Gramm oder einem Geburtstermin vor der 32. Schwangerschaftswoche entwickeln eine bronchopulmonale Dysplasie (BPD). Die Ursachen sind verschiedene Risikofaktoren, zu denen entzündliche Prozesse, Mikroverletzungen durch die lebensnotwendige Beatmungstherapie und die Toxizität von Sauerstoffradikalen gehören. Sie alle schädigen das unreife Lungengewebe. Langfristig geht damit Gewebe, das für die lebenslange Sauerstoffzufuhr wichtig ist, zugrunde und kann vernarben. Je nach Schweregrad führt die Erkrankung zu Lungenfunktionsstörungen, die bis in das Erwachsenenalter reichen und in einigen Fällen lebensbedrohlich sind. Am Standort München des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) haben Forscherinnen und Forscher nun ein neues Protokoll entwickelt, um per Magnetresonanztomografie (MRT) Frühgeborene mit der Erkrankung zu identifizieren.
Frühe Diagnose schafft bessere Behandlungsmöglichkeiten
„Bis jetzt kann nur sehr spät und wenig differenziert diagnostiziert werden, welches Baby die Lungenerkrankung entwickelt und welches nicht“, berichtet Privatdozentin Dr. Anne Hilgendorff. Sie leitet die Arbeitsgruppe „Mechanismen der chronischen Lungenerkrankung bei Neugeborenen“ am Institut für Lungenbiologie (ILBD) und dem Comprehensive Pneumology Center (CPC) des Helmholtz Zentrums München. Außerdem ist sie Direktorin des Zentrums zur Nachsorge von Früh- und Risikoneugeborenen am Klinikum der Universität München. Die Diagnosestellung der chronischen Lungenerkrankung bei Frühgeborenen basiert bisher ausschließlich auf klinischen Kriterien, wie der Abhängigkeit von einer zusätzlichen Sauerstoffzufuhr bzw. künstlicher Beatmung. „Spezifische Möglichkeiten zur Beurteilung struktureller Veränderungen der Lungen unter Vermeidung schädlicher Strahlung fehlten bislang, was die individualisierte Behandlung und Nachbeobachtung erschwert“, so Hilgendorff. Da es sich bei MRT-Untersuchungen um eine nicht invasive und strahlungsfreie Untersuchungsmethode handelt, ist diese besonders gut für Untersuchungen von Neugeborenen geeignet. Ein neues MRT-Protokoll könnte somit die Diagnoselücke schließen.
Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL e. V.)
Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL e. V.) ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Zusammenschluss aus 29 führenden universitären und außeruniversitären Einrichtungen, die sich der Erforschung von Atemwegserkrankungen widmen. Im DZL wird die grundlagen-, krankheits- und patientenorientierte Forschung auf dem Gebiet der Lungenerkrankungen koordiniert und auf internationalem Spitzenniveau durchgeführt, um so die Translation grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in neue klinische Konzepte zur Verbesserung der Patientenversorgung zu beschleunigen.
Mehr Informationen: www.dzl.de
Studie mit 61 Frühgeborenen zeigt deutliche Ergebnisse
In der AIRR-Studie (Attention to Infants at Respiratory Risks) wurden prospektiv Frühgeborene mit und ohne die spätere Diagnose einer BPD rekrutiert, um mithilfe der strahlungsfreien MRT-Untersuchung eine Methode zur detaillierteren Charakterisierung der BPD zu entwickeln. Dabei konnten bestimmte Bildgebungsmarker mit einer hohen Sensitivität für eine BPD identifiziert werden. „Wir haben mit unserem Wissenschaftsteam in engster Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Perinatalzentrum der LMU sowie der Klinik für Radiologie die Untersuchungen von 61 Frühgeborenen ausgewertet“, berichtet Dr. Kai Förster aus Hilgendorffs Arbeitsgruppe. Alle waren vor der 32. Schwangerschaftswoche auf die Welt gekommen. Sie atmeten während der Untersuchung, die nahe am Geburtstermin stattfand, bereits selbst und konnten im Spontanschlaf im MRT untersucht werden.
Die statistische Auswertung der Bildgebungsdaten zusammen mit dem Institut für Computational Biology (ICB) am Helmholtz Zentrum München gab Hinweise auf das Vorliegen einer bronchopulmonalen Dysplasie. Herangezogen wurden dafür die sogenannten T1- und T2-Relaxationszeiten während der MRT-Untersuchungen (siehe Infobox MRT). Je nachdem wie lange diese Zeiten dauern und wie sehr sie sich unterscheiden, kann auf die Eigenschaft und Beschaffenheit des Gewebes geschlossen werden – zum Beispiel ob es vernarbt ist oder nicht. „Unsere Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt in Richtung einer verbesserten, bildgebenden Phänotypisierung von Säuglingen mit Krankheitsrisiko“, kommentiert Hilgendorff. „Damit werden in Zukunft hoffentlich individuelle Behandlungs- und Überwachungsstrategien möglich.“ Sie betont, es sei nun wichtig, dass große Perinatalzentren diese Methode einsetzten und gemeinsam auswerteten, um mögliche Subtypen der BPD zu identifizieren.
Magnetresonanztomograf (MRT)
Magnetresonanztomografen arbeiten nach folgendem Prinzip: Wasserstoffatome sind mit kleinen Magneten vergleichbar. In einem starken äußeren Magnetfeld orientieren sie sich entlang dieses Magnetfeldes. Führt man kurzzeitig Energie als Energiepuls zu, lenkt man die Ausrichtung der Wasserstoffatome aus dieser Orientierung ab − wie bei einem sich schnell drehenden Kreisel, den man antippt. Nach Abschaltung der Energiezufuhr gleicht sich die Ausrichtung der Wasserstoffatome wieder an die Feldlinien des äußeren Magnetfeldes an − der Kreisel richtet sich quasi wieder auf. Zwei unabhängige Vorgänge, nämlich die T1- und die T2-Relaxation, beschreiben diesen Vorgang. Röntgenstrahlung wird beim MRT nicht eingesetzt.
Ansprechpartnerin:
PD Dr. Anne Hilgendorff
Helmholtz Zentrum München − Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Lungenbiologie & Comprehensive Pneumology Center
a.Hilgendorff@med.uni-muenchen.de
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