16.05.2024

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CLINSPECT-M: „Eine der großen Stärken der Massenspektrometrie ist deren Fähigkeit, viele Proteine gleichzeitig zu messen“

Das im Verbundprojekt CLINSPECT-M forschende Team hat im Großraum München einen lokalen Forschungskern für Massenspektrometrie in der Systemmedizin aufgebaut.

Massenspektrometer in Nahaufnahme mit blauem Licht

Prof. Dr. Bernhard Küster und sein Team wollen zeigen, dass mithilfe der Massenspektrometrie klinisch verwertbare Protein-Biomarker entdeckt werden können, die sich sowohl zur Diagnose, zur Prognose als auch zur Kontrolle des Therapieansprechens eignen.

Adobe Stock/ Intothelight Photo

Während der ersten Förderphase hat das Forschungsteam neue Methoden entwickelt, mit denen sich Rückenmarksflüssigkeit und Blut von Patientinnen und Patienten analysieren sowie Tumorproben untersuchen lassen. In der zweiten Förderphase sollen die entwickelten Verfahren genutzt werden, um Biomarker für verschiedene neuronale Erkrankungen zu identifizieren.

Prof. Dr. Küster, 2020 startete der Forschungsverbund CLINSPECT-M mit dem übergeordneten Ziel, die Massenspektrometrie in der Systemmedizin in München zu etablieren und in der Klinik anzuwenden.  Wie sehr sind Sie diesem Ziel schon nähergekommen? Gibt es bereits Anwendungen bzw. eine Nutzung im klinischen Kontext?

Die Massenspektrometrie wird in der Klinik schon lange eingesetzt, um zum Beispiel Störungen im Eiweißstoffwechsel bei Babys zu diagnostizieren. Proteine steuern alle Lebensvorgänge im Körper und beinahe jede Krankheit wird direkt oder indirekt durch fehlgesteuerte Proteine ausgelöst. Ziel des aktuellen Projektes ist es, die vielen Tausend verschiedenen Eiweiße des Körpers direkt zur Diagnose schwerer Erkrankungen und als Gradmesser für das Therapieansprechen einzusetzen. Unsere Forschungsteams arbeiten mit Hochdruck daran, diese Idee in die Praxis zu bringen. In der Breite kommen diese neuen Verfahren heute noch nicht zur Anwendung. Aber einige werden derzeit schon im Rahmen von klinischen Studien erprobt.

Sie und ihr Team verfolgen das Ziel, schwere neurologische Erkrankungen zu erkennen, deren Ursachen zu verstehen und die Behandlung und den Therapieverlauf besser zu überwachen. Können Sie uns einen Einblick in ihren Forschungsalltag geben?

In unserem Projekt arbeiten Expertinnen und Experten aus den Disziplinen Medizin, Naturwissenschaften und Bioinformatik Hand in Hand. Unsere medizinischen Kolleginnen und Kollegen bauen Biobanken auf, in denen Material wie Krebsgewebe, Blut oder Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit gesammelt und mit klinischen Verläufen beschrieben wird. Die beteiligten Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler untersuchen diese Bioproben auf ihre Protein-Zusammensetzung. Die Aufgabe der Bioinformatik ist es, aus den vielen hundert bis tausend gemessenen Proteinen diejenigen herauszufiltern, die Aufschluss über die jeweilige Fragestellung geben können. Solche Proteine können dann als sogenannte Biomarker den Start für die Entwicklung von Tests markieren, die in der Klinik eingesetzt werden können.

Portrait von Prof. Dr. Bernhard Küster

Prof. Dr. Bernhard Küster ist Professor für Proteomik und Bioanalytik an der TUM School of Life Sciences und Direktor des Bayerischen Biomolekularen Massenspektrometrie-zentrums. Darüber hinaus ist er Mitbegründer der Biotech-Unternehmen OmicScouts und MSAID.

Privat

Warum ist die massenspektrometrische Protein-Analytik für die Entdeckung von verwertbaren Biomarkern besonders gut geeignet?

Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens: Die Proteinzusammensetzung von Geweben und Körperflüssigkeiten ist extrem komplex. Dort finden sich hunderte bis tausende verschiedener Proteine in sehr unterschiedlich hoher Konzentration. Eine der großen Stärken der Massenspektrometrie ist deren Fähigkeit, viele Proteine gleichzeitig zu messen. Zweitens: Die Methode ist quantitativ und erlaubt eine sehr genaue Messung der Biomarkerkonzentration. Beides zusammen bietet viele mögliche Anwendungsgebiete, da für die meisten komplexen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Alzheimer, Schlaganfall oder Krebs die Messung eines einzelnen Biomarkers nicht ausreicht.

Sie bearbeiten als Verbundvorhaben vier Anwendungsbereiche: Multiple Sklerose, Alzheimer, Schlaganfall und Hirntumore. Welche Erfolge konnten Sie in den jeweiligen Bereichen erzielen und wo stoßen Sie auf Herausforderungen oder gar Grenzen?

Bei Multipler Sklerose und Schlaganfall lassen die Proteinprofile bereits verschiedene Subtypen bzw. Stadien der Erkrankung erkennen. Wir können Rückschlüsse darauf ziehen, ob bestimmte Alzheimer-Medikamente im Hirn die gewünschte Zielstruktur gefunden haben oder nicht. Und schließlich können wir bei manchen Patientinnen und Patienten messen, wie aktiv deren Hirntumor ist. Es gibt in Forschungsvorhaben, die sich an der Grenze des Machbaren bewegen, immer viele technische und wissenschaftliche Herausforderungen. Gelingt es, ein robustes Testsystem aufzubauen? Welches sind die wirklich wichtigen Proteine? Können wir diese ursächlich mit der Krankheit verknüpfen? Was bedeuten die Ergebnisse für die Patientinnen und Patienten?

Wie sehen die nächsten Schritte aus? Insbesondere im Hinblick auf die klinische Anwendung.

Die nächsten Schritte hängen stark von der jeweils untersuchten Erkrankung ab. Die vier von uns bearbeiteten Themenfelder sind unterschiedlich weit entwickelt. Ihnen ist jedoch gemein, dass wir überall die klinische Relevanz der von uns gefundenen Biomarker beweisen wollen. Wir fragen uns zum Beispiel, was die therapeutische Konsequenz eines einfachen oder komplexen Biomarkers ist. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zum einen Testsysteme entwickeln, die diese neuen Biomarker robust und quantitativ in einem klinischen Alltag messen können. Zum anderen müssen wir die neuen Biomarker in gut kontrollierten klinischen Studien mit ausreichend hoher Teilnehmendenzahl erproben. Beides wird uns die nächsten Jahre noch intensiv beschäftigen.

Das Verbundvorhaben CLINSPECT-M wird im Rahmen der BMBF-Förderrichtlinie „Forschungskerne für die Massenspektrometrie in der Systemmedizin“ gefördert, um das große Potenzial der Massenspektrometrie für die Systemmedizin nutzbar zu machen. Massenspektrometrie kann zur Identifizierung, Charakterisierung und Quantifizierung einer Vielzahl von Biomolekülen wie Proteinen, Stoffwechselprodukten, Zuckern oder Fetten eingesetzt werden. Die Systemmedizin nutzt solche Daten, um das Zusammenspiel krankheitsrelevanter Zellkomponenten besser zu verstehen und medizinisch zu nutzen. CLINSPECT-M startete im März 2020 in die 1. Phase der Förderung und befindet sich nach deren erfolgreichen Verlauf seit März 2023 in der 2. Förderphase, die 2026 abgeschlossen sein wird.