Die schnelle Bereitstellung von Impfstoffen ermöglicht mehr Freiheitsgrade im Alltag. Doch die aktuelle Infektionswelle macht deutlich wie dringend weitere Ansätze sind, um mit dem Virus langfristig umgehen zu können.
Dank der engagierten Arbeit von internationalen und nationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern konnten innerhalb kürzester Zeit mehrere Impfstoffe erfolgreich entwickelt und zugelassen werden. Die im Frühjahr gestartete Impfstrategie verhieß eine Rückkehr zur Normalität. Eine Vielzahl an Lockerungen wurden umgesetzt: Kontaktbeschränkungen wurden aufgehoben, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hatten wieder die Option im Büro zu arbeiten, Reisen im In- und Ausland waren unter bestimmten Auflagen denkbar und Freizeitaktivitäten wie der Besuch in Museen, Cafés und Fitnessstudios waren nahezu ohne Beschränkungen möglich.
Doch diese Normalität ist aufgrund der aktuell steigenden Infektionszahlen und einer besorgniserregenden neuen Mutation stark gefährdet. Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 liegen die Inzidenzwerte in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Es ist unverkennbar, dass trotz der Bereitstellung von aussichtsreichen Impfstoffen sichere und wirksame Arzneimittel gegen das Virus entscheidend sind, um Patientinnen und Patienten wirksam und nachhaltig helfen zu können. Denn nicht alle in Deutschland lebenden Personen können geimpft werden, etwa aufgrund von Altersbeschränkungen oder Vorerkrankungen.
Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erfolgreiche Ansätze in der Medikamentenforschung gegen COVID-19. Hierzu veröffentlichte das BMBF am 06.01.2021 die Fördermaßnahme „Richtlinie zur Förderung von Forschung und Entwicklung dringend benötigter Therapeutika gegen SARS-CoV-2“. Die ausgewählten Projekte laufen seit Mai/Juni 2021. So sollen präklinisch erfolgreich getestete Kandidaten für neue Therapeutika schnellstmöglich bei den Patientinnen und Patienten ankommen und das Behandlungsrepertoire gegen COVID-19 bedarfsgerecht erweitert werden. Dabei handelt es sich um Vorhaben aus Pharma- und Biotechnologieunternehmen sowie wissenschaftliche Verbünde unter industrieller Koordination.
Die Aptarion Biotech AG verfolgt einen neuartigen Ansatz zur Behandlung von schweren COVID-19-Verläufen. Der Fokus liegt dabei auf biostabilen L-RNA-Aptameren, die als “chemische Antikörper” bezeichnet werden. Der L-RNA-Wirkstoff AON-D21 blockiert den Entzündungsbotenstoff C5a und greift damit an einem zentralen Punkt der Regulation körpereigener Abwehrmechanismen an.
„Eine der Hauptursachen für schwere COVID-19 Verläufe ist eine übersteigerte Immunreaktion infolge der Coronavirus-Infektion. Um diese Immunreaktion zu normalisieren, hat Aptarion Biotech AG einen neuen RNA-basierten Wirkstoff entwickelt, durch den ein zentraler Botenstoff im Entzündungsgeschehen blockiert wird. Damit wollen wir schwere Verläufe der Erkrankung verhindern und zu einer schnelleren Genesung der Patienten beitragen. Die erste klinische Studie, mit der zunächst die Sicherheit des Wirkstoffs geprüft wird, beginnt in diesen Tagen."
Im Verbundvorhaben unter der Federführung der Bayer AG wird ein Arzneimittel im Rahmen einer klinischen Phase-II-Studie getestet, welches das Immunsystem regulieren soll. Dies geschieht durch die Blockade des Chemokinrezeptors 1 (CCR1). Dadurch wird die Aktivierung der Signalproteine, die bei schweren Infekten verstärkt in den Atemwegen wirken, präventiv verringert. Dadurch kann die Genesung von Patientinnen und Patienten beschleunigt und schwere Komplikationen vermieden werden.
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des BIH (Berlin Institute of Health) haben herausgefunden, dass eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 häufig dann schwer verläuft, wenn das Immunsystem mit einer überschießenden Immunantwort reagiert. Dabei haben sie ein interessantes Zielmolekül auf Immunzellen entdeckt, gegen das Forscher der Bayer AG vor einigen Jahren eine Substanz entwickelt hatten. In verschiedenen chronischen Krankheitsbildern wurde die Substanz bereits umfangreich getestet.
In der geplanten multi-zentrischen CATCOVID-Studie, an der neben der Charité die Universitätskliniken Leipzig und Würzburg sowie das BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin als Prüfzentren beteiligt sind, erhält der Wirkstoff nun eine zweite Chance: Aufgrund der bereits vorliegenden Studiendaten zur Behandlung mit dem Wirkstoff bei anderen Krankheitsbildern und dessen allgemein guter Verträglichkeit, können die Wissenschaftler direkt mit der Phase II beginnen. Dieses Vorgehen bietet einen enormen zeitlichen Vorsprung und ermöglicht einen zeitnahen Start der Testung der Wirksamkeit des Wirkstoffs zur Reduktion des Risikos eines schweren bis kritischen COVID-19 Krankheitsverlaufs.“
Stefan Jaroch, Head of Open Innov. Public Priv. Partner
Das Unternehmen CORAT Therapeutics GmbH hat einen neutralisierenden Antikörper (COR-101) für die Patientengruppe entwickelt, die moderate bis schwere Erkrankungen vorweisen. Die Form dieses Medikaments erlaubt es, Patientinnen und Patienten mit hoher Viruslast zu behandeln, ohne das Risiko überschießende Entzündungsreaktionen zu verursachen oder Infektionen zu verstärken. Das Ziel des Vorhabens ist es den neutralisierenden Antikörper (COR-101) weiterzuentwickeln, um unter anderem eine intravenöse und somit effektivere und schnellere Behandlung zu ermöglichen.
„Wir freuen uns über die Unterstützung bei unserer Entwicklung eines Medikaments gegen das SARS-CoV-2 Virus. Medikamente stellen eine weitere Grundlage zur erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie dar, um auch diejenigen zu schützen, bei denen eine Immunisierung nicht hilft, der Impfschutz nicht mehr wirkt, oder die sich nicht impfen lassen können. Aktuell befindet sich COR-101 in der klinischen Testung. Darüber hinaus arbeiten wir bereits an der nächsten Generation von Wirkstoffen gegen Coronaviren."
Das Tübinger Unternehmen Atriva Therapeutics GmbH untersucht einen Wirkstoffkandidaten, der zwei Eigenschaften aufweist: Er hemmt die Vermehrung des Virus und wirkt gleichzeitig entzündungshemmend. Der Wirkstoff hat somit das Potenzial, sowohl in der frühen Infektionsphase zu wirken als auch in der späten Phase das Überschießen der Immunreaktion zu verhindern. Ziel des Vorhabens ist es, die stationäre Aufenthaltsdauer deutlich zu verkürzen und die Zahl der Menschen zu verringern, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen.
„Im Projekt MEK-I-COV untersuchen wir den Wirkstoffkandidaten ATR-002. Dieser wirkt auf zweifache Weise, denn er hemmt nicht nur die Vermehrung des Virus, sondern verhindert gleichzeitig auch das Überschießen der Immunreaktion. Somit könnte ATR-002 die Aufenthaltsdauer von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus deutlich verkürzen und die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Patienten, reduzieren. Eine erste klinische Phase I Studie, in der der Wirkstoff auf seine Verträglichkeit an gesunden Personen getestet wird, hat ATR-002 bereits durchlaufen. Im Projekt wird nun die klinische Phase II Studie durchgeführt, in der die Wirksamkeit von ATR-002 an erkrankten Personen untersucht wird. Zusätzlich führen wir eine weitere klinische Phase I Studie durch, die die Dosierung des Wirkstoffs eingehend untersucht.“
Über ein für die Virusinfektion wichtiges Oberflächen-Eiweiß gelangt der COVID-19-Erreger in die Zellen. Im Zuge dessen wird weniger Angiotensin-(1-7), ein körpereigenes Eiweiß, gebildet. In der Lunge übt Angiotensin-(1-7) schützende Wirkungen auf das Lungengewebe aus. Das Fehlen dieses Eiweißes ist eventuell eine Ursache für die schweren Lungenveränderungen bei COVID-19-Erkrankten. Das Ziel des Vorhabens, unter der Federführung der Explicat Pharma GmbH, ist es, den Ersatz von Angiotensin-(1-7) durch von außen zugeführtes Angiotensin-(1-7) als Therapiemöglichkeit zu untersuchen und zu überprüfen, ob durch rechtzeitige Inhalation des kleinen Eiweißes schwere Lungenveränderungen verhindert werden können.
„Zusammen mit der Universität Ulm und einer weiteren Firma arbeitet Explicat Pharma GmbH an der Entwicklung eines neuen Medikaments bei mittelschweren Covid-19 Erkrankungen. Dieses soll zur Selbstinhalation eingesetzt werden, um den schweren Verlauf dieser Krankheit zu verhindern. Derzeit wird mit Hochdruck an der Entwicklung einer haltbaren und inhalierbaren Formulierung mit guter Verträglichkeit gearbeitet. Um dabei ein Höchstmaß an Qualität bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von internationalen Märkten sicher zu stellen werden alle Arbeiten in Deutschland aufgebaut.“
Das Unternehmen Eisbach Bio GmbH hat seit Februar 2020 ein neues antivirales Medikament entwickelt. Es wirkt als erstes antivirales Medikament für Erkrankte gegen alle Coronaviren - inklusive den neuen SARS-CoV-2-Mutanten. Der Wirkstoff richtet sich gegen das stark konservierte virale Enzym Nsp13 von SARS-CoV-2 und stoppt die Virusvermehrung direkt durch Blockade der viralen Replikationsstruktur. Ziel des Vorhabens ist es, eine wirksame und nachhaltige antivirale SARS-CoV-2-Therapie zu entwickeln.
„Wir brauchen Wirkstoffe, die früh während einer SARS-CoV-2 Infektion zum Einsatz kommen können und die für die gesamte Menschheit zur Verfügung stehen. Wir haben bereits ein neues antivirales Medikament entwickelt, das das Potenzial hierzu hat. Im Februar 2020 haben wir mit der Entwicklung unseres Wirkstoffes begonnen und nun einen klinischen Kandidaten identifiziert. Er wirkt als erste antivirale Abwehrlinie für Erkrankte gegen alle Coronaviren, inklusive den neuen SARS-CoV-2 Mutanten, da er die Virusreplikation direkt inhibiert. Unser Studiendesign wird es dank der Förderung durch das BMBF ermöglichen, die Wirksamkeit und Verträglichkeit schnell zu bewerten und eine Notfallzulassung zu beantragen. Eisbach Bio GmbH ist auf dem besten Weg, eine wirksame und nachhaltige antivirale SARS-CoV-2 Therapie zu entwickeln.“
Adrenomeds Wirkstoffkandidat, der monoklonale Antikörper Adrecizumab, befindet sich derzeit in der klinischen Entwicklung zur Behandlung des septischen Schocks. Über sein Zielmolekül Adrenomedullin kann Adrecizumab eine Barrierestörung der Gefäßwand, wie sie auch bei COVID-19 auftreten kann, positiv beeinflussen. Die Behandlung einer solchen endothelialen Dysfunktion soll nun in einer Studie bei Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Verlauf von COVID-19 geprüft werden. Ziel ist eine schnelle Verbesserung des klinischen Zustandes und die Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe.
„Es ist unser Ziel, stationär behandelten COVID-19 Patienten mit Adrecizumab eine neue und innovative Therapieoption anbieten zu können. Bei positiven Studienergebnissen könnte Adrecizumab so künftig zur Entlastung der Intensivstationen beitragen.“
Ziel des Forschungsvorhabens, unter der Federführung der EMC microcollections GmbH, ist es die Sicherheit, Immunogenität und Wirksamkeit der Wirkstoffkombination CoVAC-1 zur Erzeugung von SARS-CoV-2-spezifischen T-Zell-Antworten und somit zur Bekämpfung von COVID-19 bei Patientinnen und Patienten mit angeborenem oder erworbenem B-Zell-Mangel zu untersuchen.
„Eine große, sehr heterogene Patientengruppe kann keine Antikörper bilden. Daher sind die bisher zugelassenen Impfstoffe hier nicht wirksam, woraus ein hohes Risiko für schwerste Verläufe von COVID-19 folgt. Um sie trotzdem vor einer COVID-19-Erkrankung zu schützen, werden in einer klinischen Studie spezifische Peptide in Kombination mit einem optimalen Adjuvans erprobt. Sie können für Prophylaxe und Therapie eine starke zelluläre Immunantwort gegen den Erreger auslösen.“