In Deutschland leiden 400.000 Menschen an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Sie werden bei schwerem Verlauf mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelt. Diese erhöhen das Infektionsrisiko. Forschende arbeiten an einem Wirkstoff ohne diese Nebenwirkung.
Es sind Krankheiten, über die die Betroffenen nicht gerne sprechen. Bei einem Schub leiden sie unter blutigem Durchfall, krampfartigen Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit und Übelkeit. Je länger die chronische Entzündung anhält, desto schwächer und müder fühlen sich die Patientinnen und Patienten. Denn Mangelerscheinungen und Blutarmut sind oftmals die Folge. Hinzu kommt, dass die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nicht heilbar sind und langfristig das Darmkrebsrisiko deutlich erhöhen.
Welche Faktoren diese Krankheiten auslösen, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht, dass es bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems kommt. Normalerweise erkennt das Abwehrsystem körpereigene Zellen. Gelingt es schädlichen Bakterien oder Viren, in den Körper einzudringen, wird das Immunsystem aktiv. Eine Entzündung entsteht. In der Regel kommt das Immunsystem nach erfolgreicher Abwehr wieder zur Ruhe. Dabei spielen bestimmte Botenstoffe eine wichtige Rolle. Bei chronisch entzündlichen Erkrankungen ist dieses komplizierte System gestört. Abwehrzellen und Botenstoffe reagieren über. Gesundes Gewebe wird beschädigt, und die betroffenen Areale sind permanent entzündet.
Erhöhtes Infektionsrisiko mindern
Das Immunsystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen ist Ziel von Therapien bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Dabei kommen Wirkstoffe zum Einsatz, die entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukin 6 oder TNFα blockieren und somit die überschießende Abwehr wieder unter Kontrolle bringen. Doch diese Therapien haben bislang einen gravierenden Nachteil. „Neben der Entzündung wird auch der Immunschutz der Patienten gedämpft“, erklärt Stefan Rose-John vom Biochemischen Institut der Universität Kiel. „Das heißt, die Betroffenen haben ein erhöhtes Risiko, an gefährlichen Infektionen zu erkranken.“ Bei einer solchen Immuntherapie können etwa latente Infektionen wie Tuberkulose oder Hepatitis B ausbrechen.
Das will ein Team von Expertinnen und Experten der Universitäten Kiel, Magdeburg und Düsseldorf ändern. Sie haben den Botenstoff Interleukin 6 näher untersucht, um zu verstehen, wie dieses Protein funktioniert und welche molekularen Prozesse hinter seiner Wirkung stehen. „Wir haben herausgefunden, dass der Botenstoff an zwei Signalwegen beteiligt ist, wovon der eine positive und der andere negative Auswirkungen für den Körper haben kann“, sagt Rose-John. „Diesen Unterschied haben wir ausgenutzt und einen Wirkstoff entwickelt, der den krankheitsfördernden Signalweg blockiert, ohne die schützenden Eigenschaften von Interleukin 6 zu hemmen.“ Das bedeutet für die Betroffenen, dass die Entzündung gemildert wird, ohne das Infektionsrisiko zu erhöhen.
Studie mit Betroffenen angelaufen
Derzeit wird der neue Wirkstoff bereits in einer klinischen Studie am Universitätsklinikum Kiel bei Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmkrankheiten eingesetzt. Bei den vorangegangenen Phase-I-Studien konnten die Forscherinnen und Forscher keine gravierenden Nebenwirkungen feststellen. Wenn die Tests erfolgreich sind, könnte der neue Wirkstoff in einigen Jahren auf dem Markt sein. Das Wissenschaftsteam kooperiert bereits mit einer größeren Pharmafirma.
Doch damit ist die Arbeit noch nicht beendet. „Unser Ziel ist es letztendlich, eine personalisierte Antientzündungstherapie zu entwickeln“, sagt Rose-John. „Denn je nach genetischer Veranlagung benötigen die Patientinnen und Patienten verschiedene Dosierungen.“ Potenzial hat die Neuentwicklung zudem für an-dere Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis.
In der Systembiologie entschlüsseln Forscherinnen und Forscher komplexe biologische Vorgänge durch eine Kombination aus Experimenten und mathematischen Modellen. Dafür arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen wie Biologie, Medizin, Physik und Mathematik zusammen. Im Innovationswettbewerb Systembiologie wird ein breites Spektrum von Themen gefördert: von der Gesundheitsforschung über Welternährung bis hin zur Energieversorgung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Weiterentwicklung der Ergebnisse aus der Grundlagenforschung für die Anwendung.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Rose-John
Biochemisches Institut
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Olshausenstraße 40
24098 Kiel
0431 880-3336
0431 880-5007
rosejohn@biochem.uni-kiel.de