November 2016

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Das gute Gedächtnis unserer Immunzellen therapeutisch nutzen

Ein komplexes Immunsystem schützt den Menschen von Geburt an vor Krankheiten. Spezialisten dieses Systems, die T-Gedächtniszellen, wollen Medizinerinnen und Mediziner nun nutzen, um Menschen mit einem geschwächten Immunsystem zu schützen.

DZIF

Mit der laufenden Studie können darüber hinaus Erkenntnisse gewonnen werden, ob das Verfahren auch bei Krebs und anderen Krankheiten anwendbar sein könnte. „In dieser Studie geht es zuallererst darum, den Menschen zu helfen, die an schwerer Leukämie erkrankt sind und nur durch eine Knochenmarktransplantation geheilt werden können“, erklärt Dr. Michael Neuenhahn von der TU München. Gemeinsam mit Professor Dirk Busch, ebenfalls TU München, leitet er die klinische Studie, die vor wenigen Monaten angelaufen ist. Normalerweise sind die Patientinnen und Patienten nach einer Knochenmarktransplantation in großer Gefahr: Ihr Immunsystem, das zuvor gemeinsam mit den kranken Zellen ausgeschaltet wurde, muss sich erst wieder neu aufbauen. Dieser Vorgang kann bis zu ein Jahr und länger dauern. Infektionserreger können diese Immunschwäche ausnutzen und schwere Krankheiten auslösen. Beispiele sind Herpesviren wie das Zytomegalie- oder das Epstein-Barr-Virus. Um diese Komplikationen zu vermeiden, verabreichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung nun prophylaktisch speziell aufbereitete T-Gedächtniszellen in geringer Menge. Sie können die häufig auftretenden Infektionserreger erkennen und abwehren.

Ausgangszellen mit großem Potenzial
 

Die Zellprodukte werden im Reinraum unter sterilen Bedingungen hergestellt.

Die Zellprodukte werden im Reinraum unter sterilen Bedingungen hergestellt.

TUM/Michael Neuenhahn

„Die speziell aufgereinigten T-Gedächtniszellen, Untergruppen der T-Lymphozyten, werden in der aktuellen Studie weltweit erstmals in dieser Form verabreicht“, erklärt Dirk Busch. Gemeinsam mit der Firma JUNO hat der Wissenschaftler in den letzten Jahren ein innovatives Zellaufreinigungsverfahren entwickelt, mit dem die gewünschten Zellen ganz gezielt aus dem Blut eines gesunden Spenders isoliert werden können. In vielen Vorversuchen konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass vor allem diese Zellen schon in geringster, gut verträglicher Dosierung Schutz vor Infektionen bieten. „Im Tierversuch haben wir sogar mit einer einzigen T-Zelle eine therapeutische Immunantwort aufbauen können“, berichtet Neuenhahn. Ein großer Vorteil, denn T-Zellen können Segen und Fluch sein. Gibt man sie in zu großer Menge ungefiltert an Erkrankte weiter, kann es zu Abstoßungsreaktionen kommen, bei denen die T-Zellen auch die gesunden Zellen angreifen. Sind sie allerdings unzureichend vorhanden, vermehren sich die gefürchteten Infektionserreger.

„Unser Ziel ist es, das Infektionsrisiko zu verringern, ohne Abstoßungsreaktionen zu riskieren“, erklärt Neuenhahn und ist nach allen Vorversuchen zuversichtlich, dass es funktioniert. 30 Leukämiepatientinnen und -patienten sollen im Laufe eines Jahres prophylaktisch die T-Zellen erhalten. Die Dosierung wird jeweils langsam gesteigert, um die optimale Dosis zu ermitteln. Die Erkrankten werden in kurzen Zeitabständen auf Infektionen untersucht. Die Aufreinigung der Zellen findet unter Reinraumbedingungen in der vor einigen Jahren errichteten GMP-Anlage TUMCells in München statt. Nach Einschluss durch den klinischen Prüfleiter PD Dr. Götz Ulrich Grigoleit (Universitätsklinikum Würzburg) können die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer in Würzburg sowie an den DZIF-Standorten Tübingen und Hannover behandelt werden.
 

Professor Dr. Dirk Busch von der Technischen Universität München ist ein Leiter der Studie.

Professor Dr. Dirk Busch von der Technischen Universität München ist ein Leiter der Studie.     

DZIF/scienceRELATIONS

„Wir sind sehr überzeugt von diesen T-Gedächtniszellen“, so Dirk Busch. Sie schützen vor Infektionen mit einer ganzen Reihe von Erregern. Darüber hinaus ist Busch überzeugt, dass eine erfolgreiche Studie einen „Proof of Concept“, einen klinischen Machbarkeitsnachweis, darstellt. Damit könnte das Verfahren für den breiten klinischen Einsatz geöffnet werden. Zum einen könnte das Verfahren als Infektionsprophylaxe auch bei anderen Organtransplantationen und Situationen, in denen das Immunsystem des Menschen geschwächt ist, angewendet werden. Zum anderen kann die Technologie es aber auch möglich machen, die Zellen in der Zukunft so zu manipulieren, dass sie Krebszellen gezielt angreifen können.

Wenn T-Zellen mitdenken

Die T-Lymphozyten, kurz T-Zellen genannt, gehören zu den weißen Blutkörperchen. Sie sind wichtige Bausteine unseres erworbenen Immunsystems, das lebenslang trainiert wird. Im Thymus werden sie dafür ausgebildet, fremd und eigen zu unterscheiden. Wie eine Polizeistreife wandern sie durch den Körper und suchen ihn nach Eindringlingen ab. Stoßen sie auf veränderte Zellen oder Viren, werden sie aktiv. Dabei gibt es unterschiedliche Spezialisten im Team. Die T-Killerzellen zum Beispiel sind für den sofortigen Einsatz zuständig: Sie durchlöchern die Hülle der befallenen Zellen und lösen sie auf. Die T-Gedächtniszellen hingegen, die Busch und sein Team verwenden, sind dafür zuständig, sich die Eigenschaften des Eindringlings zu merken und sofort Alarm zu schlagen, falls er noch einmal auftaucht. Ihr Wissen um mögliche Eindringlinge bringen sie vom Spender mit und haben oft die häufigen Viren und andere Infektionserreger bereits als feindlich abgespeichert. Sobald sie Alarm auslösen, wird die Immunabwehr angekurbelt, indem unter anderem neue Killerzellen auf den Weg gebracht werden.

Immuntherapien auch gegen Krebs?

Dr. Michael Neuenhahn von der Technischen Universität München ist ein weiterer Leiter der Studie.

Dr. Michael Neuenhahn von der Technischen Universität München ist ein weiterer Leiter der Studie.

TUM/Michael Neuenhahn

Bei Krebs versagt unser Immunsystem ganz offensichtlich. Die Abwehrzellen, die normalerweise zielsicher gegen Eindringlinge vorgehen und sie entwaffnen, werden von der Krebszelle getäuscht. Mithilfe gentechnischer Methoden wollen die Forscherinnen und Forscher T-Zellen so verändern, dass diese sich nicht täuschen lassen, sondern Krebszellen als feindlich erkennen und zerstören. Was zunächst einfach klingt, birgt eine Reihe von Gefahren. So könnten die aufgerüsteten, äußerst aktiven T-Zellen im Körper auch an gesunde Zellen binden oder eine gefährliche Entzündungsreaktion hervorrufen.

„Bei allem Forschungsbedarf, den es noch gibt, halte ich die T-Zelltherapie für eine aussichtsreiche Option im Kampf gegen verschiedene Krebserkrankungen“, meint Busch. Allerdings müsse man einheitliche und möglichst gut definierte therapeutische Zellprodukte herstellen und mit Sicherheitsmechanismen ausstatten. Bei den T-Gedächtniszellen arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits an Sicherheitsvorkehrungen, die im Falle von Neben-wirkungen dafür sorgen, dass die gentechnisch veränderten Zellen selektiv aus dem Verkehr gezogen werden können. „Wir statten die Zellen mit einem Marker aus. So können wir einen Antikörper verabreichen, der ausschließlich an diese gentechnisch veränderten Zellen bindet und sie in der Folge vernichtet“, erläutert Busch. Bei den von der Münchener Arbeitsgruppe ausgewählten T-Gedächtniszellen kommt noch ein wichtiger Vorteil hinzu: Sie haben nicht nur ein gutes Gedächtnis, sondern sie bleiben auch länger im Körper erhalten und könnten damit Krebszellen längerfristig bekämpfen.

Die Studie ist ein gutes Beispiel für erfolgreiche Translation im DZIF. Zum ersten Mal konnte eine Entwicklung von der Grundlagenforschung bis hin zum Zellprodukt verwirklicht werden, das Betroffenen schnell zugutekommt.

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit rund 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen. Das DZIF wird vom BMBF und den Ländern gefördert. Mehr Informationen finden Sie unter www.dzif.de.


Ansprechpartner:
Prof. Dirk Busch
Technische Universität München
DZIF-Schwerpunkt „Infektionen im
immungeschwächten Wirt“
089 4140-4120
dirk.busch@tum.de

Dr. med. Michael Neuenhahn
Technische Universität München
DZIF-Schwerpunkt „Infektionen im
immungeschwächten Wirt“
089 4140-7454
michael.neuenhahn@tum.de

Pressekontakt:
Karola Neubert und Janna Schmidt
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