Das Risiko-Quartett - Vier genetische Faktoren für Migräne gefunden

Ein pochender Schmerz scheint den Kopf zu zerreißen. Jeder Lichtstrahl überfordert die Augen. Der Magen spielt verrückt. Jeder Achte kennt die Symptome einer Migräne aus eigener Erfahrung. Gibt es dafür eine Veranlagung? Ja, sagen Forscher des Nationalen Genomforschungsnetzes. (Newsletter 60 / November 2012)

Logo NGFNVier neue genetische Risikofaktoren haben sie gemeinsam mit einem internationalen Team im Erbgut von Patientinnen und Patienten mit Migräne gefunden. Wer sie trägt, ist anfälliger für Migräne. Die genetischen Risikofaktoren sind variable Positionen im menschlichen Erbgut, sogenannte Polymorphismen, kurz SNP (sprich: Snip) für englisch Single Nucleotide Polymorphism. Hierbei ist stets nur ein einzelner Baustein im DNA-Strang verändert. „Im menschlichen Genom gibt es mehrere Millionen solcher variabler Positionen, die über das gesamte Genom verteilt sind“, erklärt Prof. Dr. Martin Dichgans von der Ludwig- Maximilians-Universität München. Einige dieser Varianten sind mit einem erhöhten oder erniedrigten Risiko für bestimmte Erkrankungen verbunden. In diesen Fällen liegen die SNPs meist innerhalb oder in der Nähe eines krankheitsrelevanten Gens und verändern zum Beispiel dessen Aktivität.

Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) haben Professor Dichgans und Privat-Dozent Dr. Tobias Freilinger die SNPs im Erbgut von mehr als 2.300 Migräne- Patienten und 4.500 gesunden Personen untersucht. Dabei interessierte sie, ob bestimmte dieser Polymorphismen bei Migräne- Patienten überdurchschnittlich häufig auftreten. „Ist dieser Unterschied statistisch signifikant, können wir daraus schließen, dass dieser SNP ein genetischer Risikofaktor für die Erkrankung ist“, beschreibt Professor Dichgans. Das ist die Theorie hinter einer genomweiten Assozationsstudie. Tatsächlich haben die Wissenschaftler des EMINET (Epilepsy and Migraine Integrated Network) im Nationalen Genomforschungsnetz NGFNPlus vier Risiko-Varianten gefunden, die ihre Träger anfällig für Migräne machen. Genauer gesagt für die häufigste Form der Migräne, Migräne ohne Aura. „Unter ihr leiden zwei Drittel der Patienten“, sagt Dr. Freilinger. Bei den Betroffenen treten mit den üblichen Migränesymptomen keine zusätzlichen neurologischen Symptome wie Seh- und Gleichgewichtsstörungen – genannt Aura – auf.

Vorhersage des Erkrankungsrisikos bislang nicht möglich

Typisch für eine Migräneattacke ist der pochende Kopfschmerz. Warum beeinflussen die vier SNPs die Entstehung von Migräne? Einer der Polymorphismen liegt beispielsweise in einem Gen für den Transkriptionsfaktor MEF2D. Dieser reguliert die Aktivität der neuronalen Synapsen, also der Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen im Gehirn und damit verbunden auch die Erregbarkeit des Gehirns. „Wir wissen, dass eine gesteigerte Erregbarkeit des Gehirns eine entscheidende Rolle bei Migräne spielt. Ist ein Baustein im MEF2D-Gen verändert, ist diese Feinregulation möglicherweise gestört“, spekuliert Professor Dichgans.

Patienten profitieren von diesen Ergebnissen bislang noch nicht. „Unsere Befunde eignen sich derzeit nicht für die konkrete Beratung einzelner Patientinnen und Patienten oder für die Vorhersage eines individuellen Erkrankungsrisikos“, beschreibt Dr. Freilinger. „Vielmehr helfen sie uns, die molekularen Ursachen von Migräne besser zu verstehen, und neue Ansatzpunkte für eine verbesserte Prävention, Diagnostik und Therapie zu finden.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martin Dichgans
Priv.-Doz. Dr. Tobias Freilinger
Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD)
und
Neurologische Klinik und Poliklinik
Klinikum der Universität München
Tel.: 089 7095-7801
Fax: 089 7095-3677
E-Mail: martin.dichgans@med.uni-muenchen.de