Interview mit Dr. Christian G. Schütz, Psychiater an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn
Herr Dr. Schütz, ab wann sprechen Sie von einer Abhängigkeit?
Die Diagnose wird anhand von Verhaltens, psychischen und körperlichen Merkmalen gestellt, die mit wiederholtem Suchtmittelgebrauch einhergehen. Zum einen handelt es sich um süchtiges Verhalten, also psychische Abhängigkeitssymptome. Dazu gehören der starke Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren und ein anhaltender Substanzkonsum trotz schädlicher Folgen. Der Substanzgebrauch ist wichtiger als alle anderen Aktivitäten und Verpflichtungen. Zum anderen können sich auch körperliche Abhängigkeitszeichen entwickeln, vor allem eine Toleranzerhöhung, also dass man immer größere Mengen der Substanz benötigt, und ein körperliches Entzugssyndrom. Diese Aufteilung in psychische und körperliche Abhängigkeitssymptome findet in der Forschung wieder zunehmend Beachtung, wobei süchtiges Verhalten und nicht die körperlichen Abhängigkeitszeichen den Kern der Erkrankung ausmachen.
Kann Cannabis überhaupt abhängig machen?
Das Suchtpotenzial von Cannabis wurde bisher unterschätzt, da man vor allem auf körperliche Entzugserscheinungen geachtet hat. Diese treten bei CannabisKonsumenten höchstens in sehr milder Form auf, zum Beispiel Schlafstörungen oder Unruhe. Studien zeigen aber, dass fünf bis zehn Prozent der CannabisKonsumenten die Kriterien der Abhängigkeit erfüllen, wenn man auch die psychischen Symptome berücksichtigt. Allerdings sind sie seltener abhängig als etwa Nikotin, Heroin oder KokainKonsumenten.
Ab wann beeinträchtigt der Konsum von Cannabis die Gedächtnisleistung?
Wir haben in unseren Studien keinen Schwellenwert gefunden. Es gibt deutliche individuelle Unterschiede bezüglich der Menge, ab der sich erste Auswirkungen auf das Gedächtnis zeigen. Allgemein lässt sich aber sagen, dass das Erinnerungsvermögen mit steigender Konsummenge immer schlechter wird. Diese verminderten Gedächtnisleistungen lassen sich Tage bis Wochen nach dem Konsum und zum Teil sogar noch länger nachweisen. Allerdings handelt es sich dabei oft um eher dezente Befunde, die der Einzelne im Alltag nicht notwendigerweise bemerkt. Ob Cannabis zu kognitiven Langzeitschäden führt, ist nicht geklärt und nach unseren jetzigen Ergebnissen auch eher fraglich.
Wie hoch ist der Anteil Jugendlicher in Deutschland, die regelmäßig Ecstasy, Cannabis oder Alkohol zu sich nehmen?
Laut dem WHO Jugendgesundheitssurvey von 2003 geben zwei bis drei Prozent der Jugendlichen in Deutschland an, in den letzten zwölf Monaten Ecstasy oder Amphetamine genommen zu haben. Für Amphetamine ist die Rate damit etwa so groß wie in der vorherigen Untersuchung von 1998, der EcstasyKonsum ist eher zurückgegangen. Stark angestiegen ist aber der CannabisKonsum. 28 Prozent der 15jährigen Jungen und 20 Prozent der 15jährigen Mädchen berichten, mindestens einmal Cannabis geraucht zu haben. Innerhalb dieser Altersgruppe findet man neben Probierkonsumenten einen erstaunlich hohen Anteil an Gelegenheitskonsumenten (8 Prozent) und regelmäßigen extensiven Konsumenten (2,9 Prozent). Mengenmäßig sind allerdings Alkohol und Nikotin weiterhin die wichtigsten Suchtmittel im Jugendlichenalter. Dabei scheinen in den letzten Jahren immer mehr Jugendliche Alkohol zu trinken. Das Durchschnittsalter des ersten AlkoholKonsums lag in Deutschland zuletzt bei zirka 12,8 Jahren, das des ersten Alkoholrausches bei etwa 13,8 Jahren.
Wo können Jugendliche, die etwas gegen ihre Abhängigkeit oder ihren Substanzmissbrauch unternehmen wollen, Informationen und Hilfe bekommen?
Wenn Jugendliche und junge Erwachsene sich nach Hilfe umschauen, ist der erste wesentliche Schritt schon getan. Denn dann besteht ein grundsätzliches Problembewusstsein und eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten. Jugendliche informieren sich zunehmend im Internet. Hier gibt es neben einer Fülle von Missinformationen auch gute Informationsangebote (etwa www.drugcom.de, www.partypack.de, www.dhs.de). Wir selbst bieten gemeinsam mit der Uni Essen den Cannabis Checkup an.