Impfungen haben sich im Kampf gegen Krankheiten bewährt. Doch gegen viele gefährliche Erreger gibt es noch keinen effektiven und sicheren Impfschutz. Ein Berliner Forschungsteam arbeitet an modernen Kombinationsimpfstoffen.
Die Erfolgsgeschichte des Impfens hat im 18. Jahrhundert begonnen. Damals waren die Pocken eine weit verbreitete und gefürchtete Krankheit, die bei jedem dritten Infizierten zum Tod führte. Noch im 20. Jahrhundert starben weltweit mehr als 400 Millionen Menschen an der Seuche. Seit den 1980er-Jahren gelten die Pocken als ausgerottet. Dies ist vor allem der Entdeckung des englischen Landarztes Edward Jenner zu verdanken. Er hatte beobachtet, dass Landarbeiter und Milchmägde, die sich zuvor mit den harmlosen Kuhpocken angesteckt hatten, von den gefährlichen Menschenpocken verschont blieben. Im Jahr 1798 impfte er erstmals einen Menschen mit intakten Kuhpocken-Viren erfolgreich gegen Menschenpocken – und schrieb damit Medizingeschichte.
Es sollte noch lange dauern, bis man verstanden hat, wie das menschliche Immunsystem und damit auch der Impfschutz funktioniert. Doch das Prinzip der Impfung hat sich seitdem im Kampf gegen zahlreiche tödliche Krankheiten erfolgreich durchgesetzt. „Dennoch gibt es bislang gegen viele gefährliche Erreger keine sicheren und effektiven Impfstoffe“, sagt Leif Erik Sander, Professor an der Charité Berlin. Er leitet ein internationales Team, das vom Bundesforschungsministerium unterstützt wird und sich zum Ziel gesetzt hat, neuartige Impfungen zu entwickeln, die zugleich wirksamer und sicherer sind. Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem bakterielle Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung und multiresistente Krankenhauskeime im Blick. Gerade bei Letzteren wären Impfungen eine echte Alternative zu Antibiotika, mit denen sich die Erreger oftmals nicht mehr in Schach halten lassen.
Lebendimpfstoffe fast immer effizienter
Bei Impfungen unterscheidet man zwischen Lebend- und Totimpfstoffen. Gegen Masern und Röteln etwa werden Lebendimpfstoffe eingesetzt, die noch vermehrungsfähige Erreger enthalten, allerdings in abgeschwächter oder veränderter Form. Totimpfstoffe bestehen dagegen lediglich aus toten Mikroben oder einzelnen Bruchstücken des Erregers. Sie kommen etwa bei Hepatitis- oder Tetanus-Impfungen zum Einsatz. „Lebendimpfstoffe sind häufig viel effizienter“, erklärt Sander. „Da reicht in der Regel eine einzige Injektion, um den Großteil aller Impflinge ein Leben lang zu schützen.“ Dennoch haben sie auch Nachteile. „Die Produktion ist wesentlich aufwendiger, und es bleibt ein gewisses Restrisiko, da die verwendeten Erreger dem Krankheitserreger sehr ähnlich sind“, so Sander.
Die Berliner Forscherinnen und Forscher wollen daher die Vorteile beider Impfvarianten miteinander kombinieren. „Wir haben zunächst untersucht, warum Lebendimpfstoffe einen besseren Impfschutz bieten“, sagt Sander. „Obwohl sie schon vor Hunderten Jahren entwickelt wurden, wissen wir bislang erstaunlich wenig darüber.“ Die erste Erkenntnis der Forscher war, dass das Immunsystem zwischen einem toten und einem lebenden Bakterium unterscheiden kann. „So wird bei einer abklingenden Infektion nicht mehr die gleiche Entzündungsreaktion hervorgerufen wie bei einer starken Vermehrung der Erreger zu Beginn der Krankheit“, sagt Sander.
Lebende Bakterien betreiben aktiven Stoffwechsel, bei dem RNA-Moleküle erzeugt werden. Diese Moleküle docken an bestimmte Rezeptoren der Immunzellen an. Diese Bindung löst wiederum eine molekulare Kettenreaktion aus, an deren Ende eine starke Antikörperbildung gegen den Erreger steht und ein langlebiges Immungedächtnis gebildet wird. Wenn der Impfstoff jedoch nur Bruchteile des Bakteriums, aber keine RNA enthält, wird der Rezeptor nicht aktiviert, und die Abwehr fällt vergleichsweise schwächer aus. Das Immunsystem erinnert sich irgendwann nicht mehr daran, dass es den Erreger schon einmal kennengelernt hat.
„Viele Todesfälle wären vermeidbar“
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wollen die Forscherinnen und Forscher neuartige Kombinationsimpfstoffe entwickeln. „Diese sollen idealerweise so sicher sein wie moderne Totimpfstoffe und so effektiv wie die alten Lebendimpfstoffe“, sagt Sander. Der Ansatz ist, Totimpfstoffe so zu verändern, dass sie beim Immunsystem dieselbe Reaktion auslösen wie Lebendimpfstoffe. Hierfür werden die Totimpfstoffe mit Hilfsstoffen ergänzt, die den entscheidenden Rezeptor in den Immunzellen aktivieren, so die stärkere Immunantwort auslösen und somit zu einem lebenslangen Immungedächtnis führen.
Aktuell arbeitet Sanders Team an Impfungen gegen Pneumokokken, die Lungen-, Mittelohr- oder Hirnhautentzündungen auslösen können, teils mit tödlichem Verlauf. Jedes Jahr sterben mehr als 1,6 Millionen Menschen weltweit an Pneumokokken-Erkrankungen, vor allem Kleinkinder. Besonders häufig kommen diese Infektionen in armen Ländern Südasiens oder Afrikas vor. „Bisherige Impfungen schützen nur in 40 Prozent der Fälle gegen Lungenentzündung, und die Schutzwirkung hält lediglich ein paar Jahre“, erklärt Sander. „Viele Todesfälle wären vermeidbar, wenn es moderne kostengünstige Impfstoffe mit möglichst lebenslanger Schutzwirkung geben würde.“
"Recognition of microbial viability via TLR8 drives TFH cell differentiation and vaccine responses" Ugolini et al. Nat Immunol. 2018 Apr;19(4):386-396. doi: 10.1038/s41590-018-0068-4.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Leif Erik Sander
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Augustenburger Platz 1/Südring 2
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E-Mail: leif-erik.sander@charite.de
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