Zunehmende Vergesslichkeit ist ein Phänomen, das bei alten Menschen häufig auftritt. Wird die Vergesslichkeit zur Krankheit, sprechen Ärzte von Demenz. Derzeit leben in Deutschland rund 1,3 Millionen Frauen und Männer mit einer Demenz. Welche Krankheitskosten die krankhafte Vergesslichkeit verursacht, untersuchen Wissenschaftler des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen. Erstmals wurden hierbei auch die Kosten der unbezahlten, von der Familie geleisteten Pflege berücksichtigt. (Newsletter 63 / August 2013)
Demenz ist eine Erkrankung, die stärker als jede andere Erkrankung mit dem Lebensalter korreliert. Etwa ein Prozent der 65- bis 69-jährigen Menschen in Deutschland leiden unter einer Demenz. Bei den 75- bis 79-jährigen sind es schon 6 Prozent und bei den 85- bis 89-jährigen 24 Prozent. Weil die Zahl der hochbetagten Menschen in Zukunft stark ansteigen wird, rechnen Experten auch mit einer Zunahme der Demenzhäufigkeit. „Bei gleichbleibenden Vorbeugemöglichkeiten und Behandlungsbedingungen wird sich die Zahl der Betroffenen innerhalb der nächsten 30 Jahre voraussichtlich verdoppeln“, sagt Professor Dr. Hans-Helmut König vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der Gesundheitsökonom interessiert sich besonders für die Krankheitskosten, die infolge der Demenz entstehen. „Menschen mit einer Demenzerkrankung sind bereits früh auf Unterstützung im Alltag angewiesen und werden mit Fortschreiten der Krankheit zunehmend pflegebedürftig“, so Professor König. „Den Löwenanteil der Versorgung und Pflege leisten zweifelsohne die Familien – und zwar unbezahlt.“ Interessiert man sich also für die Kosten der Demenzerkrankung, dürfen nicht nur Kosten für Medikamente, Krankenhausaufenthalte oder stationäre Pflege berücksichtigt werden. „Wir müssen auch die Kosten der unbezahlten, von der Familie geleisteten Pflege einbeziehen“, erklärt der Gesundheitsökonom. In bisherigen Rechnungen war das meist nicht der Fall.
Mehr als 40.000 Euro pro Jahr
Die Mehrheit der Menschen mit Demenz wird zu Hause von Familienmitgliedern gepflegt.Gesagt, getan. In einem Teilprojekt der „German Study on Ageing, Cognition and Dementia“ − kurz „AgeCoDe-Studie“ − des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen wurden mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Krankheitskosten der Demenzerkrankung für verschiedene Krankheitsstadien berechnet. Um ausschließlich die von der Demenzerkrankung verursachten Kosten zu schätzen, wurden die Kosten von 176 Demenzpatienten und 173 nicht von Demenz betroffenen Vergleichspersonen gemessen. Eingeflossen sind hierbei sowohl die Kosten für stationäre Behandlungen im Krankenhaus, Aufenthalte im Pflegeheim, ambulante Behandlung und Pflege, medizinische Hilfsmittel und Medikamente als auch die Kosten der unbezahlten, von Angehörigen geleisteten Pflege. „Durch den Vergleich mit gleichaltrigen Studienteilnehmern ohne Demenz wurden erstmals in einer deutschen Studie die ausschließlich durch die Demenzerkrankung verursachten Kosten geschätzt“, beschreibt Professor König.
Das Ergebnis: Die durchschnittlichen Kosten von Demenz liegen im leichten Krankheitsstadium bei etwa 15.000 Euro jährlich und steigen bei schwerer Demenz auf rund 42.000 Euro jährlich. „Grund dieser Kostensteigerung ist in erster Linie der steigende Pflegebedarf bei fortgeschrittener Demenz“, so Professor König. „Das betrifft sowohl die ambulanten und stationären Pflegeleistungen als auch die Familienpflege.“ Dabei kann die informelle Pflege – so nennen Fachleute die von den Angehörigen geleistete Pflege – im Einzelfall deutlich mehr als die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen. „Die oft diskutierten Ausgaben für Medikamente verursachen dagegen deutlich weniger als fünf Prozent der Kosten.“ Die Kosten der informellen Pflege haben die Wissenschaftler nach dem sogenannten Substitutionskostenansatz berechnet, das heißt, es wurden die Lohnkosten einer professionellen Pflegekraft zugrunde gelegt.
Neue Pflegestrukturen notwendig
Klar ist: Die ökonomische Relevanz der Demenz ist enorm. Welchen Schluss ziehen die Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen? „Unsere Resultate verdeutlichen, dass es dringend nötig ist, neue Strukturen für die Pflege von Demenzpatienten zu entwickeln, die Ersatz für den bisher hohen Anteil an informeller Pflege schaffen können“, appelliert Professor König. Die Mehrheit der Menschen mit Demenz wird in Europa heute in der eigenen oder der Wohnung von Familienmitgliedern betreut. „Schon aus demografischen Gründen wird sich diese Situation in Zukunft ändern. In den nachfolgenden Generationen wird die Verfügbarkeit der Familienpflege abnehmen. Dies wird ein Umdenken in der Organisation der Pflege erforderlich machen.“