Mit dem bloßen Auge sind ihre Forschungsobjekte nicht auszumachen – um krank machende Bakterien und Viren zu entdecken, braucht es schon etwas mehr. Prof. Dr. Simone Scheithauer kommt Erregern mit einem elektronischen Frühwarnsystem auf die Spur.
Dingen auf den Grund gehen wollen, eine wirklich zufriedenstellende Antwort nach dem „Warum“ finden – das begleitet Simone Scheithauer seit ihrer Kindheit und ihr Weg in die Welt der Wissenschaft scheint da nur folgerichtig. Seit 2018 ist die Professorin Direktorin des Institutes für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Universitätsmedizin Göttingen und vertritt ein Fachgebiet der Gesundheitsforschung, das in der Corona-Pandemie an Schub gewonnen hat wie kaum ein anderes. „Nahezu unsere gesamte Forschungsaktivität und -kapazität adressiert aktuell Fragen rund um SARS-CoV-2“, berichtet die 47-Jährige. Gemeinsam mit Professor Dr. Gerd Fätkenheuer, Professor für Innere Medizin / Klinische Infektiologie an der Universitätsklinik Köln, koordiniert Scheithauer beispielsweise das Verbundprojekt „B-FAST“ des Netzwerks Universitätsmedizin. Gemeinsam mit Prof. Jochen Schmitt vom Universitätsklinikum Dresden wurde sie jüngst zum Sprecherduo für das Nachfolgeprojekt zur Pandemic Preparedness gewählt.
B-FAST, Heads-App und SmICS – intelligente Software zur Eindämmung von Infektionen
In B-FAST kommen Experten und Expertinnen aus den Gebieten der Bioinformatik, Statistik, Virologie, Immunologie, Krankenhaushygiene, Infektiologie, Medizininformatik, Strömungsphysik und der Gesundheitswissenschaft zusammen, um durch eine bestmögliche Test- und Surveillance-Strategie die Corona-Pandemie besser steuern und eindämmen zu können.
Ein sichtbarer Projekterfolg ist die kostenlose Web-App „Heads“, die in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation entwickelt wurde. Mit ihr lässt sich für Innenräume berechnen, wie hoch das von Aerosolen ausgehende Infektionsrisiko für die sich darin aufhaltenden Personen ist. Dazu müssen Nutzerinnen und Nutzer lediglich ein paar Parameter in die App eingegeben, so etwa Raumgröße, Anzahl der anwesenden Personen und ob diese atmen, laut sprechen oder vielleicht singen. Nachgefragt wird die Web-App vor allem von Schulen, Kitas und Unternehmen; im nächsten Schritt könnte sie zu einer Smartphone-tauglichen Anwendung weiterentwickelt werden.
Prof. Dr. Simone Scheithauer ist seit 2018 Direktorin des Institutes für Krankenhaushygiene und Infektiologie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). 2007 erwarb sie ihren Titel als Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, 2010 den Facharzttitel für Hygiene und Umweltmedizin. 2011 kam ein Zertifikat als Infektiologin hinzu. Ihr Spezialgebiet ist die Infektionsprävention und Antibiotikaresistenz in der Krankenhaushygiene. Seit 2019 ist Scheithauer Mitglied der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut.
Infektionskontrolle ist Scheithauers Spezialgebiet, und eben weil die Forschungsobjekte in der Infektiologie und in der Mikrobiologie so unfassbar klein sind, bedarf es dort besonders ausgefeilter Messmethoden und Software. Angepasst an SARS-CoV-2 kommt zum Beispiel das „Smart Infection Control System“ (kurz: SmICS) zum Einsatz, eine Software, die im Rahmen der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durch das HiGHmed-Konsortium entwickelt wurde. Sie hilft, Infektionen in Krankenhäusern, Seniorenheimen oder anderen Gesundheitseinrichtungen schnell zu erkennen und weitere Ansteckungen möglichst zu verhindern.
Gefragte Expertin für Krankenhaushygiene
Die Göttinger Professorin ist aber nicht erst seit dem Auftreten des neuen Coronavirus eine gefragte Expertin, die sich in zahlreichen Kommissionen, Beiräten, Stiftungen und Fachgremien engagiert. Seit mehr als zehn Jahren bestimmen nosokomiale Infektionen ihren Arbeitsalltag, Erreger also, mit denen sich Patientinnen und Patienten bei einem Krankhausaufenthalt infizieren. In Deutschland sind jedes Jahr zwischen 400.000 und 600.000 Menschen von einer solchen Infektion betroffen; 10.000 bis 20.000 dieser Infektionen enden tödlich.
In nahezu allen Bereichen eines Krankenhauses geht es darum, Infektionen zu verhindern –Patientinnen und Patienten vor einer Ansteckung zu schützen, Infektionen zum Beispiel nach einer Operation mit multiresistenten Bakterien zu erfassen und zu bewerten, bei der Behandlung von Infektionen zu beraten, Schulungen zu allen Aspekten der Krankenhaushygiene und Laboruntersuchungen durchzuführen sowie Forschung zu grundlegenden infektionsmedizinischen Themen zu betreiben.
Forschung nah am Patienten
Sich möglichst breit aufzustellen, um sich dann auf ein Forschungsgebiet fokussieren zu können, war der gebürtigen Rheinländerin schon immer wichtig, deshalb war sie nach ihrem Staatsexamen in Humanmedizin an der Universität Bonn zunächst in der „klassischen“ Funktion einer Medizinerin tätig. Später wechselte sie in die eher theoretische Disziplin der Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. In der Krankenhaushygiene schließlich fand sie ein Forschungsfeld, das beides vereint: theoretische Grundlagenforschung und Patientenversorgung. „Ein in früheren Jahren vergleichsweise weniger wissenschaftlich bearbeitetes Fachgebiet mit vielen offenen Fragen“, sagt Scheithauer.
In Göttingen hat die Inhaberin einer W3-Professur Zeit und Ressourcen für beides – sie forscht und ist doch ganz nah am Patienten. Und hat noch dazu die passenden Strukturen: „Die Schwarmintelligenz eines breit aufgestellten Teams zu nutzen, gemeinsam Ideen entwickeln und Projekte durchführen, bei denen alle am gleichen Strang und in die gleiche Richtung ziehen – das kann mich wirklich begeistern“, meint Scheithauer, die sich selbst als „durch und durch“ rationalen Menschen beschreibt.
Die beste aller Forscherwelten? Kollaborativ und interdisziplinär!
Hat sie einen Tipp für den Karriereweg junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler? Eher nein, denn für sich ganz persönlich hat die Mikrobiologin, die schon als Kind lieber in Zusammenhängen gedacht hat als Vokabeln zu lernen, aufgehört, langfristige Prognosen zu erstellen. Auf Nachfrage lässt sie sich aber dann doch eine Aussage entlocken: „Sicher ist es klug, nicht zu verbissen an einem Masterplan festzuhalten, sondern den Blick zu weiten und auch einmal eine Chance zu ergreifen, die vielleicht nicht ganz stromlinienförmig der eigenen vermeintlichen Agenda entspricht“, meint die 47-Jährige. „Man sollte sich erlauben ‚outside the box‘ zu denken und versuchen, sich so vernetzen, dass man nicht nur in seinem eigenen Komfortbereich bestätigt wird, sondern auch völlig andere Denkweisen, Strategien und Herangehensweisen einschließt.“
Damit kommt Scheithauer der „besten aller Forscherwelten“ doch schon ganz nah: Sie beschreibt dieses Ideal als „kollaborative Wissenschaft, in der wir uns so vernetzen, dass wir durch die faire Zusammenlegung aller relevanten Datensätze in standardisierter und interoperabler Form, durch die faire Verteilung unterschiedlicher Fragestellungen auf unterschiedliche Gruppen den bestmöglichen Erkenntnisgewinn und damit auch den bestmöglichen Mehrwert für unsere Patienten erhalten.“
Von Fehlschlägen lässt sich die 47-Jährige dabei nicht beirren, sie spricht lieber von „gelernten Lektionen“, die es anzuwenden gilt, wenn ein Experiment beim nächsten Mal in einer neuen Fassung wiederholt wird – etwas salopp formuliert nach dem Motto „Aufstehen und Krone richten“. Auch ihre aktuellen Forschungsarbeiten sieht sie in einem „kontinuierlichen Prozess, in dem es nie ein Ende der Fragestellung gibt“: „Bei jeder Beschäftigung mit einer Thematik werden Fragen beantwortet und es ergeben sich aus den jeweiligen Teilergebnissen zugleich neue Fragen“. Verlockende Aussichten für jemanden, der den Dingen gern auf den Grund geht.