Den Wettlauf gegen die Bakterien gewinnen

Für Mediziner und Mikrobiologen sind sie ein Albtraum: Bakterien, die gegen alle bekannten Antibiotika unempfindlich sind. Große Sorge bereitet zum Beispiel der Erreger Staphylococcus aureus, denn er "trickst" Antibiotika und körpereigene Abwehr aus. Im Leitprojekt "Validierte Lead-Target-Systeme" gehen jetzt Wissenschaft und Industrie gemeinsam neue Wege im Kampf gegen die Keime. Mithilfe modernster mikrobiologischer Verfahren analysieren sie Schwachstellen der Bakterien und testen neue Arzneistoffe.

Die Entdeckung des Penicillins war ein Segen für die Menschheit. Bakterielle Krankheiten, die oft mit dem Tod endeten, schienen besiegt. Aber leider hatte man einige Erreger unterschätzt. Sie entwickelten neue Eigenschaften und sprachen auf Penicillin nicht mehr an. Die Bakterien waren resistent geworden. Seitdem ist ein Wettlauf in Gange: Wissenschaftler entwickeln Antibiotika - die Keime passen sich an und es werden immer neue Mittel notwendig. Vor allem in Krankenhäusern kommen so genannte multiresistente Bakterien vor, denen die meisten Antibiotika nichts mehr anhaben können.

Resistenzübertragung von einem Bakterium zum anderen
Das Bakterium Staphylococcus aureus (S. aureus) ist häufig gegen Antibiotika unempfindlich und stellt die Mediziner deshalb vor besondere Herausforderungen. Es verursacht in erster Linie eitrige Hauterkrankungen, kann aber auch der Erreger von Lungenentzündungen, Harnwegsinfekten und anderen Infektionskrankheiten sein. Das Reservemedikament, auf das Ärzte bei multiresistenten Arten von S. aureus zurückgreifen konnten, war lange Zeit Vancomycin. Doch die Angst vor Vancomycin resistentem Staphylococcus aureus (VRSA) ging schon seit einiger Zeit um. Bei einer VRSA-bedingten Infektion stehen die Ärzte nämlich mit leeren Händen da. Anfang 2002 war es dann passiert: Mehreren Patienten erkrankten an einer Infektion durch einen S. aureus Stamm, der hochgradig resistent gegen Vancomycin war. Ursache: Bakterien können Gene auf andere Bakterien übertragen. Die jetzt beobachtete Form der Vancomycin-Resistenz ist darauf zurückzuführen, dass Vancomycin-Resistenzgene vom Bakterium Enterococcus faecalis auf S. aureus übergegangen sind.

Zielstrukturen für neue Medikamente
Es ist also dringend notwendig, neue Hemmstoffe gegen S. aureus zu finden. Der Tübinger Professor Friedrich Götz und die Hamburger Firma EVOTEC OAI verfolgen genau dieses Ziel. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt "Validierung therapeutischer Targets bei Staphylococcus aureus" untersuchen sie, wo S. aureus seine Schwachstellen hat. Denn dort könnten neue Medikamente ansetzen. Hierbei unterscheiden Mediziner zwischen Antibiotika und Antiinfektiva. Während man unter einem Antibiotikum eine Substanz versteht, die verhindert, dass die Erreger sich vermehren, so schließt der Begriff Antiinfektivum auch Stoffe ein, die nur die Aggressivität der Krankheitskeime herabsetzen. "Inwieweit sich Antiinfektiva in der Praxis bewähren, ist noch nicht untersucht. Angesichts der bedrohlichen Situation müssen wir aber auch diese Strategie ausloten", so Götz. Etwa 20 Gene, die bei S. aureus unter anderem die Zellwandstruktur beeinflussen oder für den Erhalt der Zelle verantwortlich sind, wurden im Rahmen des Projektes bereits charakterisiert. Die Wissenschaftler konnten außerdem die Proteine, die von diesen Genen codiert werden, mithilfe moderner biotechnologischer Verfahren isolieren.

Den Aufbau der Zellwand stören
Ausgewählte Proteine stehen derzeit im Mittelpunkt des Projektes. Dabei handelt es sich um Enzyme, so genannte Transpeptidasen, die eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Zellwand von S. aureus spielen. Sie sorgen dort für die Quervernetzung eines wichtigen Bausteins, des Mureins. Ziel ist es nun, Substanzen zu finden, die Transpeptidasen hemmen und dadurch den Aufbau der Zellwand stören. Ohne intakte Zellwände sind Bakterien im Wachstum massiv beeinträchtigt. Einen ähnlichen Ansatzpunkt hat auch Penizillin. Wegen der Resistenzproblematik sollen die neuen Medikament aber einer ganz anderen Stoffgruppe als Penizillin angehören. Die Arbeitsgruppe um Götz will nun zunächst einen Test für den Nachweis der Aktivität dieser Enzyme entwickeln. Anschließend wird die Firma EVOTEC OAI zahlreiche Substanzen auf die Fähigkeit hin untersuchen, die Enzyme zu hemmen. "Ob diese Substanz am Ende ein Antibiotikum oder ein Antiinfektivum sein wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen", erklärt Götz. Nach dem Auslaufen der BMBF-Förderung Ende 2002 wird er die Arbeit gemeinsam mit EVOTEC OAI sowie den neu gegründeten Firmen Dr. Petry Genmedics GmbH und Vmax weiterführen. Die Unterstützung des BMBF konnte also einer erfolgreichen Kooperation zwischen Forschung und Industrie den Weg bereiten.

Erste Hemmstoffe in ein bis zwei Jahren?
Die Suche nach Antiinfektiva gegen Bakterien stellt hohe wissenschaftliche Ansprüche an die Forscher. "Wir hoffen, in den nächsten ein bis zwei Jahren mit einer Auswahl an Hemmstoffen aufwarten zu können. Dann allerdings beginnt die Testung, ob die Substanzen für den Menschen ungefährlich sind, die Überprüfung im Tierversuch und letztlich die Testung am Menschen", beschreibt Götz die Perspektive. Nach jedem dieser Schritte können Stoffe, die anfangs als viel versprechend und hoch wirksam galten, ausgemustert werden. Letztlich bleiben - wenn überhaupt - nur wenige Substanzen übrig. Schließlich stellt sich dann noch die Frage, ob sie den auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln überlegen sind. Der Weg, bis ein Antibiotikum marktreif ist, ist also dornig.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Friedrich Götz
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Mikrobielle Genetik
Waldhäuser Straße 70/8
72076 Tübingen
Tel.: 07071/29-7 46 36 oder -7 46 35
Fax: 07071/29-59 37
E-Mail: friedrich.goetz@uni-tuebingen.de

BMBF-Förderung:
Leitprojekt Molekulare Medizin
Verbund "Validierte-Lead-Target-Systeme"
Laufzeit: 1998-2002
Fördersumme: 8,8 Mio. Euro
Teilprojekt "Validierung therapeutischer Targets bei Staphylococcus aureus:
Analyse von Funktion und infektionsbiologischer Relevanz"
Laufzeit: 1998-2002
Fördersumme: 0,9 Mio. Euro