Februar 2018

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Denksport - Aktiv gegen das Vergessen

Trotz intensiver Forschung sind Demenz-Erkrankungen bis heute nicht heilbar. Eine regelmäßige körperliche Betätigung kann aber dazu beitragen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen - und mildert sogar erste Symptome.

Seniorinnen machen gemeinsam Dehnübungen.

Regelmäßige sportliche Aktivitäten können das Fortschreiten einer beginnenden Demenz bremsen.

Thomas_EyeDesign/iStock

Wer in jüngeren Jahren aktiv lebt, verringert sein Risiko, im Alter an einer Demenz zu erkranken. Das legen wissenschaftliche Studien aus den vergangenen Jahren nahe. „ Wir haben uns aber gefragt: Was ist mit den Menschen, die nie viel Sport getrieben haben? Können sie das Versäumte aufholen? Und das selbst dann noch, wenn sie bereits merken, dass sie vergesslich werden?“, erläutert Professor Stefan Schneider die Zielsetzung seines durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes DENKSPORT. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, kooperieren Kölner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln mit Forschungsgruppen aus den Niederlanden und Irland. Gemeinsam rekrutierten sie rund 250 bislang unsportliche Menschen, die bereits unter leichten kognitiven Beeinträchtigungen litten und bereit waren, über ein Jahr regelmäßig zu trainieren.

Erste Ergebnisse des Kölner Projektes belegen, dass regelmäßige sportliche Aktivitäten bei einer beginnenden Demenz das Fortschreiten der Erkrankung bremsen können. Und nicht nur das: Innerhalb eines Jahres verbesserten sich die kognitiven Leistungen der Teilnehmenden wieder. „Das war mehr als wir uns erhofft hatten. Spannend wird es jetzt zu sehen, ob die Daten aus den Niederlanden und Irland diese erste Auswertung bestätigen“, so Schneider. Denn im Gegensatz zur Kölner Sporthochschule, die alle sportlichen Aktivitäten selbst anbietet, kooperieren die niederländischen und irischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Vereinen oder setzen darauf, dass die Probanden selbstständig trainieren.

Drei Gruppen mit unterschiedlichem Ansatz

Ob sich die kognitiven Leistungen verbessern, hängt wesentlich von dem Trainingsfortschritt ab. Auch das zeigen die Kölner Ergebnisse. Dafür teilten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Teilnehmenden in drei Gruppen auf. Eine der Gruppen diente als Kontrollgruppe, hier wurden keine sportlichen Aktivitäten durchgeführt. Die Probandinnen und Probanden der beiden anderen Gruppen wurden entweder einer Gruppe „Ausdauersport“ oder einer Gruppe „Kräftigungs- und Dehnübungen/kleine Spiele“ zugeordnet. Alle Teilnehmenden wurden während der Studiendauer von einem Jahr begleitet und ihre kognitiven Leistungen sowie ihre körperliche Fitness umfangreich erfasst. Die statistische Auswertung der Daten zeigte, dass sich die kognitiven Leistungen der Probandinnen und Probanden insbesondere dann verbesserten, wenn sie Trainingsfortschritte erzielten. Welche Sportart sie dabei ausübten, war nebensächlich. „Unsere Daten zeigen, dass die Verbesserung der körperlichen Fitness mit der Verbesserung der kognitiven Leistungen korreliert. Und die körperliche Fitness steigt wiederum mit der Trainingshäufigkeit“, fasst Schneider die Ergebnisse zusammen.

Inwieweit auch der soziale Kontakt der Sporttreibenden einen Einfluss auf die Verbesserung der kognitiven Leistungen ausübt, soll in zukünftigen Studien untersucht werden. Denn auch ein gutes soziales Netzwerk gilt als ein wichtiger Schutzfaktor für das Gehirn. „Ein sozialer Einfluss besteht allerdings nicht nur beim Training selbst. Es ist auch durchaus denkbar, dass - bedingt durch die Steigerung der körperlichen Fitness – die Teilnehmer mehr Selbstvertrauen und Lebensfreude entwickelt haben und wieder vermehrt am sozialen Leben teilgenommen haben“, so Schneider.

Sportprogramm mit inklusivem Charakter

Das umfangreiche Sportprogramm des Kölner Forschungsprojektes umfasst 15 bis 20 Kurse pro Woche. Diese richten sich nicht nur an Menschen mit einer beginnenden Demenz. Die Kurse sind auch offen für gesunde Menschen. „In unseren Kursen treffen sich Menschen mit und ohne kognitive Beeinträchtigungen. Sie helfen sich untereinander und entwickeln ein Gespür für die Krankheit und die damit verbundenen Einschränkungen. Unter den Teilnehmenden sind Freundschaften entstanden – wir haben es geschafft, Menschen durch den Sport zusammenzuführen“, betont der Kölner Wissenschaftler den inklusiven Erfolg des Projektes.

Die Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung wird das Projekt zukünftig weiter unterstützen, sodass auch andere Trainingsformen in ihrer Wirksamkeit überprüft werden können. Das Geld für diese Unterstützung spendete der FC Bayern München in Gedenken an Udo Lattek*, der in seinen letzten Lebensjahren an Demenz erkrankt war.

*Der deutsche Fußballspieler Udo Lattek (1935-2015) trainierte unter anderem den FC Bayern München und die Borussia Mönchengladbach. Während dieser Zeit gewannen seine Mannschaften achtmal den Deutschen Meistertitel. Er gilt als einer der erfolgreichsten Fußballtrainer Deutschlands.

Forschung zu neurodegenerativen Erkrankungen

Das Projekt DENKSPORT ist der deutsche Beitrag zum internationalen Forschungsverbund NEUROEXERCISE. Dieser ist Teil des „EU Joint Programme – Neurodegenerative Disease Research“ (JPND), welches der europaweiten Bündelung und Stärkung der Forschung im Bereich neurodegenerativer Erkrankungen dient. JPND verfolgt das Ziel, durch verbesserte Koordination der länderübergreifenden Forschungsanstrengungen die Erkrankungsursachen schneller zu verstehen, Therapien zu entwickeln und bessere Versorgungsansätze für Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen zu identifizieren. Das BMBF ist seit 2009 aktiv an JPND beteiligt. Für die insgesamt neun Bekanntmachungen hat es rund 26 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Schneider
Deutsche Sporthochschule Köln
Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
schneider@dshs-koeln.de