Der Tumor beeinflusst seine Umgebung

Interview mit dem Biochemiker Privatdozent Dr. Holger Sültmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg über einen Gentest zur Erkennung von Prostatakrebs

Herr Dr. Sültmann, wie kann es sein, dass Sie in normalen Prostatazellen Genveränderungen finden, die auf einen Tumor hindeuten können?
Unsere Vermutung ist, dass der sogenannte Field-Effekt auch in der Prostata vorliegt. Die Theorie des Field-Effekts besagt, dass genetische Veränderungen auch in der Umgebung eines Tumorherdes vorliegen können und dass der Tumor die Zellen des ganzen Organs so beeinflusst, dass sie sich anders verhalten als normale Zellen in einem gesunden Organ. Wie das genau funktioniert, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur vermutet werden. Eine Möglichkeit ist, dass die Tumorzellen Botenstoffe abgeben und so auf weit entfernte gesunde Zellen einwirken und sie verändern.


Wenn ein Test negativ ausfällt, heißt das dann, der Patient hat keinen Tumor?
Innerhalb der von uns festgelegten Signifikanzwerte können wir den Tumor sicher erkennen. Die Signifikanzgrenze liegt jetzt bei zehn Prozent. Das bedeutet: In jedem zehnten Fall ist die Diagnose nicht richtig. Das ist noch längst nicht zufriedenstellend. Daher suchen wir noch nach weiteren Genen, um die Erkennungsrate zu verbessern.

Die Konzentration des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blut dient gegenwärtig als Frühwarnsignal für Prostatakrebs. Ein Ansteigen der PSA-Konzentration ist meist der Grund für eine Biopsie. Wird der PSAWert in dieser Funktion schon bald ausgedient haben, weil er von gentechnischen Methoden abgelöst wird?
Im Moment ist das PSA in der Klinik der erste Parameter, der bestimmt wird. Unsere Hoffnung ist, dass wir noch mehr als die jetzt beschriebenen fünf Gene finden. Und vielleicht sind einige dabei, mit denen Prostatakrebs noch früher als mit PSA erkannt werden kann. So weit sind wir aber noch lange nicht.

Wann werden Patienten flächendeckend von der von Ihnen und Ihren Partnern entwickelten Nachweismethode profitieren können?
Der nächste Schritt, den wir jetzt angehen, ist eine klinische Studie. In den nächsten drei Jahren sind Untersuchungen an knapp 2.000 Patienten geplant. Wenn sich unsere bisherigen Resultate dadurch erhärten lassen, könnte unsere Methode in etwa vier Jahren im klinischen Alltag verfügbar sein. Wir streben eine Zulassung bei den entsprechenden europäischen und amerikanischen Behörden an.