April 2016

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Diabetes-Therapien für den Kopf - Das Gehirn als Mastermind des Stoffwechsels

Heute wissen wir, dass unser Gehirn eine Schlüsselrolle bei Übergewicht und Diabetes spielt. Dieses Wissen eröffnet neue Therapieoptionen. Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung geben einen Überblick über aktuelle Ergebnisse.

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Eine Reihe verschiedener Prozesse ist an der Entstehung von Typ-2-Diabetes beteiligt, an deren Beginn Übergewicht und Bewegungsmangel stehen: Die Organe sprechen nicht mehr ausreichend auf das Hormon Insulin an, während gleichzeitig die Insulinproduktion abnimmt. Aktuelle Forschung zeigt auf, dass diese Liste noch lange nicht vollständig ist.

Professor Dr. Dr. h.c. Hans-Ulrich Häring von der Universität Tübingen und weitere Kolleginnen und Kollegen vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung widmen sich seit einigen Jahren einem in der Diabetesforschung zuvor eher vernachlässigten Organ, dem Gehirn.

Um die Prozesse im Gehirn zu verstehen, ist es wichtig, die typische Wirkung von Insulin in den anderen Geweben zu kennen. Das Hormon wird nach der Nahrungsaufnahme ins Blut abgegeben und zu den Organen transportiert. Hier dockt es an Zellrezeptoren an und ermöglicht so den Eintritt von aus der Nahrung gewonnener Glukose in das Zellinnere. Dort wird der Einfachzucker Glukose in Energie umgewandelt, woraufhin sich der Blutzuckerspiegel wieder normalisiert. Bereits bevor ein Patient die Symptome eines Typ-2-Diabetes zeigt, sinkt die Insulinempfindlichkeit der Organe.

Obwohl schon länger bekannt ist, dass sich auch in vielen Gehirngebieten Insulinrezeptoren befinden, ist das Gehirn erst vor kurzem mit der Entstehung des Typ-2-Diabetes in Zusammenhang gebracht worden. Das lag unter anderem daran, dass die Glukoseaufnahme in die Zellen des Gehirns im Gegensatz zu anderen Körpergeweben nicht vom „Türöffner“ Insulin abhängt. Daher galt es als unwahrscheinlich, dass Insulin im Gehirn eine für den Körperstoffwechsel bedeutsame Wirkung entfaltet.

Deutsches Zentrum für Diabetesforschung

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Ländern gefördert werden. Es bündelt deutschlandweit Expertise auf dem Gebiet der Diabetesforschung mit dem Ziel, individualisierte Präventions- und Therapiekonzepte zu entwickeln. Ende 2014 wurde der nationale Forschungsverbund von einem internationalen Begutachtungsgremium als exzellent bewertet.Mitglieder des DZD sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

Entscheidende Erkenntnisse

Wie trügerisch diese Annahme war, deckte ein wichtiges Experiment im Jahr 2000 auf. Professor Dr. Jens Brüning, heute Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung und assoziierter Partner des DZD, schaltete die Insulinrezeptoren im Gehirn von Mäusen aus. Daraufhin legten die Tiere rasant an Gewicht zu und entwickelten nicht nur im Gehirn, sondern im ganzen Körper eine Insulinresistenz und eine Fettstoffwechselstörung.

Was macht nun das Insulin im Gehirn? Eine Insulin-Infusion, das ergaben Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren, unter anderem an der Universität Tübingen, führt zu Veränderungen der Gehirnaktivität. Diese beschränken sich nicht nur auf Hirnstrukturen, die für das Stoffwechselgleichgewicht im Körper wichtig sind. Sie umfassen auch Gebiete, die an höheren kognitiven Leistungen beteiligt sind. Allerdings hatten die Forscherinnen und Forscher in diesen Experimenten Insulin in den Blutkreislauf eingebracht und konnten daher nicht unterscheiden, ob die Insulinwirkung im Gehirn tatsächlich vom Insulin selbst stammte oder indirekt von anderen insulinempfindlichen Organen im restlichen Körper ausging.

Um Insulin ohne Umweg über das Blut in das Gehirn zu bringen, bedienten sich die DZD-Forscher eines Tricks. Sie sprühten das Insulin in die Nase von Versuchsteilnehmerinnen bzw. -teilnehmern. Von dort gelangt es über die Riechnerven direkt in das Gehirn.

Weniger Nahrungsaufnahme nach Insulinspray

Die Studien zeigten, dass Insulin auf den Hypothalamus wirkt, einen daumennagelgroßen Bereich im Zwischenhirn, der Körpertemperatur und Nahrungsaufnahme steuert. Auch auf eine Struktur im Schläfenlappen der Großhirnrinde nimmt Insulin Einfluss. Dieses Areal ist für die Erkennung von Objekten zuständig und dämpft beispielsweise die Reaktion auf Nahrungsreize. Im Frontallappen der Großhirnrinde reduziert Insulin ebenfalls die Aktivität. Dort wird unter anderem die Hemmung der Nahrungsaufnahme vermittelt.

Um die Beziehung zwischen Gehirn und Insulin beim Menschen zu untersuchen, hat das DZD-Team beispielsweise per Kernspintomograph gemessen, wie die Versuchsteilnehmer auf Fotos mit Essen reagieren. Nach einer Insulingabe sank die Gehirnaktivität beim Anblick dieser Fotos. Die Reaktion auf Bilder, in denen keine Nahrungsmittel zu sehen waren, blieb von der Insulingabe dagegen unbeeinflusst. Diese und weitere Erkenntnisse sind Hinweise, dass Insulin im Gehirn den Hunger nach dem Essen dämpft. In einer Studie vom Tübinger Wissenschaftler Professor Dr. Manfred Hallschmid mit Studenten senkte in die Nase gesprühtes Insulin tatsächlich die Menge an verspeisten Schokoladenkeksen nach einer Hauptmahlzeit. Männliche Studenten, die sich acht Wochen lang viermal täglich Insulin in die Nase sprühten, verloren daraufhin 1,3 Kilogramm.

Nach einer Insulingabe mittels Nasenspray sinkt die Gehirnaktivität beim Anblick von Essen.

Nach einer Insulingabe mittels Nasenspray sinkt die Gehirnaktivität beim Anblick von Essen.

Kurt Bauer, DZD

Wechselspiel zwischen Gehirn und Leber

Der Insulinspray hat noch weitere Auswirkungen auf den Körper, wie Professor Dr. Michael Roden und sein Team vom Deutschen Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf gemeinsam mit Tübinger Kollegen belegen konnten. Sie untersuchten den Einfluss auf den Stoffwechsel der Leber, der eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Typ-2-Diabetes spielt. Dabei zeigte sich, dass in die Nase gesprühtes Insulin bei gesunden Menschen den Energiestoffwechsel der Leber verbessert und die Speicherung von Fett in der Leber reduziert – und zwar unabhängig von der Insulinkonzentration im Blut. Patienten mit Typ-2-Diabetes reagieren nicht entsprechend, was auf einen Defekt der Insulinwirkung hinweist.

Insulinempfindlichkeit sagt Gewichtsverlust voraus

Es liegt nahe, diese Erkenntnisse für Programme zur Diabetesprävention zu nutzen. Die Wissenschaftler haben daher die Insulinempfindlichkeit des Gehirns von Teilnehmern eines Interventionsprogramms zur Lebensstiländerung getestet. Fällt es Menschen, deren Gehirn besonders empfindlich auf Insulin reagiert, vielleicht leichter, an Gewicht zu verlieren? Tatsächlich bestätigte die Studie diese Vermutung. Menschen mit hoher Insulinempfindlichkeit im Gehirn verloren deutlicher an Gewicht als weniger empfindliche. Vor allem das besonders schädliche Bauchfett schmolz stärker. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Insulin im Gehirn als Signal für eine Gewichtsreduktion dienen kann und vermutlich eine eher gesundheitsfördernde Fettverteilung anregt. Das steht im Gegensatz zur Insulinwirkung außerhalb des Gehirns. Hier fördert Insulin den Gewichtsanstieg“, erklärt Hans-Ulrich Häring.

Die Effekte, die Insulin im Gehirn auslöst, sorgen nicht nur im Gehirn für Veränderungen, sie beeinflussen auch den Stoffwechsel im Rest des Körpers. In einer Reihe von Studien konnten der Tübinger DZD-Wissenschaftler Dr. Martin Heni und seine Kollegen zeigen, dass eine gute Insulinwirkung im menschlichen Gehirn auch den Effekt des Hormons im übrigen Körper verbessert. Dieser Mechanismus spielt wahrscheinlich nach dem Essen eine wichtige Rolle, wenn der Insulinspiegel ansteigt und Zucker in den Körper aufgenommen werden soll.

Insulinresistenz des Gehirns

Insulin beeinflusst im Gehirn aber nicht bei allen Menschen das Körpergewicht. Bei übergewichtigen Menschen scheint es nicht in vollem Maße auf Insulin anzusprechen – es ist insulinresistent. Momentan wird untersucht, wie die Insulinresistenz des Gehirns behandelt werden kann und ob dies ein neuer Ansatz für die Prävention und Behandlung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes sein könnte.

Prägung im Mutterleib

Bei Schwangerschaftsdiabetes ist die Hirnreaktion des Fötus auf präsentierte Töne nach einer Mahlzeit der Mutter verlangsamt.

Bei Schwangerschaftsdiabetes ist die Hirnreaktion des Fötus auf präsentierte Töne nach einer Mahlzeit der Mutter verlangsamt.

DZD

Wann sich die Insulinempfindlichkeit im Gehirn von Übergewichtigen verändert, ist noch unbekannt, doch möglicherweise schon früh. Kürzlich konnte ein DZD-Team erstmals nachweisen, dass das Gehirn von Föten langsamer reagiert, wenn die Schwangere eine verringerte Insulinempfindlichkeit aufweist. Das Team des DZD-Forschers Professor Dr. Andreas Fritsche von der Universität Tübingen hat dafür die Gehirn-Reaktionen von 13 Föten auf akustische Reize gemessen, nachdem die Mutter einen Zuckersaft getrunken hatte. Das Team geht davon aus, dass die verringerte Insulinempfindlichkeit der Mutter gemeinsam mit dem erhöhten Insulinspiegel des Fötus zu einer Insulinresistenz des fetalen Gehirns führt. Möglicherweise wirkt sich diese frühe metabolische Prägung des Gehirns auf das spätere Risiko für Übergewicht und Diabetes aus.

Wie lassen sich diese Erkenntnisse nun in Strategien für Patienten übersetzen? Die naheliegende Option ist, die Insulinkonzentration im Gehirn zu erhöhen. Dazu haben bereits Untersuchungen mit einem Insulin-Nachahmer stattgefunden, „Insulin detemir“ genannt. Es erreicht leichter das Gehirn und kann dort stärker als normales Insulin wirken. In Studien mit Übergewichtigen normalisierte der Wirkstoff die Insulinaktivität im Gehirn. Doch noch stehen ausführlichere Untersuchungen an, bevor dieser Ansatz in eine Therapie münden kann.

Auch eine Gewichtsreduktion fördert die erwünschte Insulinempfindlichkeit des Gehirns. Aber angesichts der oft geringen Erfolge von Programmen zur Gewichtsabnahme ist die Suche nach pharmakologischen Ansätzen eine wichtige Alternative. Denn Übergewicht, das betonen die Experten des DZD, ist keine Folge mangelnder Willensstärke, sondern Folge komplexer Prozesse, bei denen die Gene, unsere Umwelt und Stoffwechselprozesse eine Rolle spielen und dem Gehirn kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
 

Matthias Tschöp über Diabetes und Übergewicht in einem Podcast:https://resonator-podcast.de/2015/res050-diabetes-und-adipositas


Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andreas Fritsche
Innere Medizin IV
Universitätsklinikum Tübingen
Otfried Müller Straße 10
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07071 29-80590
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Andreas.Fritsche@med.uni-tuebingen.de

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