August 2021

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Diabetesforschung: Mini-Labor auf dem Chip

Gerade fünf Zentimeter klein ist ein Mini-Labor, auf dem große Hoffnungen der Diabetesforschung liegen: Im Pankreas-Chip wachsen insulinproduzierende Zellen, die von Typ-1-Diabetikerinnen und -Diabetikern für eine Zellersatztherapie benötigt werden.

Schematische Darstellung des Chips.

Der PancChip verbindet Mikrofluidik und Stammzelltechnologien auf einer Plattform. Er ist ein Mini-Labor, in dem dreidimensionale Zellkulturen gezüchtet und kontrolliert werden können (hier vergrößert als lila Sphäroide dargestellt). Im Chip können z. B. insulinproduzierende Zellen angereichert werden.

M. Meier, Helmholtz Pioneer Campus (HPC)

Diabetes mellitus ist zwar gut behandelbar, eine Heilung ist aber bis heute nicht möglich. Betroffene müssen häufig mit Insulin behandelt werden, was jedoch Nebenwirkungen haben kann. Ist die Ursache des Diabetes, dass die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) zerstört wurden, kann eine Transplantation dieser Zellen helfen. Hier setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 1,6 Millionen Euro geförderte Konsortium „PancChip“ an: Forschende aus München entwickelten ein Mini-Labor, in dem genau diese fehlenden Zellen, sogenannte Betazellen, aus patienteneigenen Stammzellen gezüchtet werden können. Mit Hilfe des Chips können zudem weitere wichtige Fragen zu Entstehung und Therapie der Diabetes-Erkrankung erforscht werden.

Auch heute ist bereits eine Transplantation von insulinproduzierenden Betazellen möglich – allerdings werden diese Zellen bislang aus Organspenden Verstorbener gewonnen und sind daher knapp. „Für die Betroffenen ist es eine vielversprechende Alternative, diese lebenswichtigen Zellen aus Stammzellen zu gewinnen. Mit einer Zellersatztherapie haben wir eine Chance auf Heilung von Diabetes Typ 1, anstatt wie bisher die Symptome zu behandeln“, fasst Professor Dr. Heiko Lickert zusammen, Direktor des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung (IDR) am Helmholtz Zentrum München und Inhaber des Lehrstuhls für Betazellbiologie an der Technischen Universität München (TUM). Er leitete das Projekt gemeinsam mit Bioingenieur Dr. Matthias Meier, Teamleiter am Münchner Helmholtz Pioneer Campus (HPC).

Volkskrankheit Diabetes

Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist ein Überbegriff für verschiedene Störungen des Stoffwechsels. Allen gemeinsam ist, dass sie zu erhöhten Blutzuckerwerten führen, weil die Patientinnen und Patienten an einem Mangel an dem Hormon Insulin leiden oder die Insulinwirkung vermindert ist. Medizinisch unterscheidet man verschiedene Diabetes-Formen, die Hauptformen sind der Typ-1- und der Typ-2-Diabetes mellitus. Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse verloren gehen. Typ-2-Diabetes entsteht durch eine verminderte Empfindlichkeit der Körperzellen für Insulin (Insulinresistenz) sowie durch eine „Erschöpfung“ der insulinproduzierenden Zellen. In Deutschland leiden circa 7,2 Prozent der Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren an Diabetes mellitus.

Lesen Sie mehr in unserem Dossier „Diabetes mellitus“.

Der Chip ermöglicht es, Abschnitte der frühen Embryonalentwicklung im Labor zu simulieren

Die Abläufe während der Embryonalphase des menschlichen Körpers sind komplex. Dementsprechend lang ist der Weg von einer pluripotenten Stammzelle, die sich in alle Zellen des menschlichen Körpers verwandeln kann, hin zur spezialisierten Betazelle, die Insulin produziert. Die Stammzellen benötigen rund 20 verschiedene Signalproteine, die zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Konzentration verabreicht werden müssen, um zu einer funktionierenden, insulinproduzierenden Zelle zu reifen – ein Prozess, der mit bisherigen Labortechniken länger als vier Wochen dauerte und dennoch oft keine befriedigenden Ergebnisse brachte. Häufig entwickelten sich die Stammzellen nicht zu den gewünschten Betazellen, sondern schlugen andere Entwicklungswege ein, was zu gemischten Zellpopulationen oder nicht voll funktionsfähigen Zellen führte.

„Unser Ziel war es, die bekannten Stammzelltechnologien mit Mikrofluidik-Chip-Technologien zu verbinden, um im Labor die Signalwege der Embryonalentwicklung so gut wie möglich zu simulieren. So können wir die Qualität der aus Stammzellen gewonnenen Betazellen verbessern“, erklärt Meier. Als Ergebnis der über dreijährigen Forschungsarbeiten steht nun der PancChip bereit. Diese Plattform ermöglicht die Nachbildung eines dreidimensionalen menschlichen Zellsystems, das von den Expertinnen und Experten als Organoid bezeichnet wird. Auf der Chip-Plattform werden hunderte von winzigen Zellkulturkammern durch hauchdünne Flüssigkeitskanäle versorgt sowie überwacht und können deshalb ein physiologisches System nachbilden. „Durch die Miniaturisierung des Zellkultursystems können zugleich Dutzende von chemischen Komponenten, die wichtig für die Reifung der Zellen sind, kostengünstig getestet werden“, so Meier. Als Ausgangszellen werden sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) genutzt, die durch künstliche Reprogrammierung körpereigener Zellen entstanden und daher für die Patientinnen und Patienten individuell gut verträglich sind.

Individualisierte Medizin

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte das Konsortium PancChip von 2017 bis 2020 mit rund 1,6 Millionen Euro im Rahmen der Fördermaßnahme „Innovative Stammzelltechnologien für die individualisierte Medizin“.
Weitere Informationen unter
www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/pancchip.php

Das System unterstützt auch eine Qualitätskontrolle der sich entwickelnden Zellen: „In Zusammenarbeit mit weiteren Forschenden und industriellen Partnern konnten wir im Rahmen des Projekts einen Zellmarker identifizieren, der kennzeichnend für besonders effiziente Ausgangszellen am Anfang des Differenzierungsprozesses ist“, sagt Diabetologe Lickert. „Das ermöglicht uns eine Anreicherung der Zellen, die sich im Laufe der Kultivierung zu insulinproduzierenden Zellen entwickeln, während nicht funktionsfähige Zellen aussortiert werden. Enthält eine Kultur viele Zellen, die den Marker tragen, kann die Ausbeute der besonders leistungsfähigen Betazellen gesteigert und können Verunreinigungen durch störende Zelltypen verringert werden.“

Die Zellen aus dem Labor brauchen gute Versorgung und Schutz vor dem Immunsystem

Im Rahmen des BMBF-Innovationswettbewerbs „Organersatz aus dem Labor“ werden nun weitere Forschungsarbeiten des Münchner Forschungsteams gefördert, die unter anderem Antworten auf zwei besondere Herausforderungen bei der Transplantation von Betazellen geben sollen: „Oft sterben die Zellen direkt nach der Übertragung, da sie nicht sofort an das Blutsystem angeschlossen werden. Diese Versorgungslücke möchten wir durch Arbeiten mit dem PancChip schließen. Außerdem sind die transplantierten Zellen häufig einem Angriff durch das Immunsystem ausgesetzt. Hier arbeiten wir an Konzepten, um die aus Stammzellen generierten Betazellen zu verkapseln und so vor einem Angriff zu schützen“, erklärt Meier. Auch eine Zulassung als Medizinprodukt auf europäischer Ebene ist geplant, was eine wichtige Vorbedingung für den Beginn einer klinischen Studie mit ersten Patientinnen und Patienten wäre.

Die Einsatzmöglichkeiten des Chips gehen jedoch weit über den Gewinn von leistungsfähigen Betazellen zur Transplantation hinaus: „Anhand der ,Organoide‘ im PancChip können wir generell Mechanismen für die Entstehung von Diabetes und personalisierte Ansätze für eine Therapie untersuchen und so einen Beitrag zum besseren Verständnis dieser Volkskrankheit leisten“, fasst Lickert zusammen.

Organersatz aus dem Labor

Die Bauchspeicheldrüse ist nicht das einzige menschliche Organ, von dem sich Miniaturmodelle auf einem Chip abbilden lassen. Unter anderem wird auch an winzigen Herz-, Leber- und Nierenmodellen aus patienteneigenen Zellen geforscht. Bei dem Chip handelt es sich um eine Art Nährboden, auf dem die Zellen unter Zugabe weiterer Nährstoffe zu den Miniatur-Organen heranwachsen können. In Zukunft könnten eines oder mehrere miteinander verbundene Miniatur-Organe die Medikamentenentwicklung für Menschen deutlich sicherer und personalisierter machen sowie Tierversuche ersetzen. Auch könnte ein Organersatz aus dem Labor Menschen helfen, die dringend auf ein Spenderorgan warten. Da dieses in Teilen oder gänzlich aus patienteneigenen Zellen gezüchtet wird, könnten so auch die teilweise belastenden Medikamente zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen überflüssig werden.

Originalpublikation:
Mahaddalkar P, Scheibner K, Pfluger S, et al. Generation of pancreatic – cells from CD177 + anterior definitive endoderm. Nat Biotechnol. 2020 April 27; 38: 1061–1072. doi: 10.1038/s41587-020-0492-5

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Heiko Lickert
Technische Universität München (TUM)
Helmholtz Zentrum München
Institut für Diabetes- und Regenerationsforschung (IDR)
Lehrstuhl für Betazellbiologie
heiko.lickert@helmholtz-muenchen.de
www.helmholtz-muenchen.de/idr

Dr. Matthias Meier
Pioneer Campus München
Helmholtz Zentrum München
matthias.meier@helmholtz-muenchen.de
www.pioneercampus.org