Es klingt ein wenig wie Science Fiction: Können magnetische Impulse helfen, schwere Depressionen zu lindern? Ja, meint Clinician Scientist PD Dr. Roberto Goya-Maldonado und untersuchte mit seinem Team, welche Hirnregionen auf diese Therapie ansprechen.
Wenn sich ein dunkler Schatten auf die Seele legt, können manchmal weder Psychotherapien noch Antidepressiva helfen. Die Betroffenen leiden sehr unter ihren Depressionen, und manche finden ihr Leben unerträglich. Linderung kann eine sogenannte repetitive Transkraniale Magnetstimulation (rTMS) schaffen, bei der mit Hilfe einer Spule gezielte Reize durch wechselnde elektromagnetische Felder erzeugt werden. In die Nähe bestimmter Bereiche des Kopfes gebracht, lassen sich so Hirnregionen stimulieren. „Die rTMS ist eine vielversprechende Behandlungsmethode gegen Depressionen. Wir wollten mehr über die zugrundeliegenden krankheitsspezifischen Netzwerkstörungen erfahren“, sagt Privatdozent Dr. Roberto Goya-Maldonado, Leiter des Labors für Systemische Neurowissenschaften und Bildgebung in der Psychiatrie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Schon früh war der gebürtige Brasilianer fasziniert von diesem dritten Weg – neben Antidepressiva und Psychotherapie – auf geradezu mechanische Weise gegen extreme Traurigkeit vorzugehen. „Ich habe bei meiner ersten Forschungsstelle am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München das große Leid depressiver Patientinnen und Patienten gesehen und mich gefragt, wie man diesen Menschen helfen kann, die auf so viel Lebensfreude verzichten müssen“, erinnert er sich. „Die rTMS hat mich sofort fasziniert, weil sie eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit bietet, die möglicherweise direkt an einer Ursache für Depressionen ansetzt.“ In einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie versuchten er und sein Team, die durch rTMS hervorgerufenen Veränderungen in den Hirnnetzwerken der Patienten und Patientinnen besser zu verstehen. „Wir konnten bei den mit rTMS Behandelten eine deutliche Reduktion der depressiven Symptome im Vergleich zu den Personen aus einer Kontrollgruppe feststellen. Diese wurden mit einer Placebo-Therapie behandelt. Auch die Selbstmordgefährdung bei den mit rTMS Behandelten nahm im Verlauf der Studie ab“, fasst Goya-Maldonado zusammen. In weiteren Forschungsarbeiten wollen er und sein Team sich weiter in die Komplexität der zugrundeliegenden neuronalen Netzwerke vertiefen und verstehen, in welchen Situationen die rTMS-Therapie besonders gut helfen kann.
Die Nachwuchsgruppe PreNeSt (Pre-mapping Networks for Brain Stimulation) untersuchte in der Fördermaßnahme „Nachwuchsgruppen in der Systemmedizin“, wie Hirnnetzwerke auf eine repetitive Transkraniale Magnetstimulation (rTMS) reagieren. Die Ergebnisse können dazu beitragen, die Behandlung von schweren Depressionen zu verbessern. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte die Studie von 2016 bis 2022 mit rund 1,9 Millionen Euro.
Jede Depression ist anders
Mit Hilfe eines bildgebenden Verfahrens – der funktionellen Magnetresonanztomographie –wurden in einem ersten Schritt die für die Magnetstimulation geeigneten neuronalen Netze identifiziert und anschließend die Wirkung beobachtet. Da sich die Lage dieser Netzwerke im Gehirn von Mensch zu Mensch individuell unterscheidet, wurde durch die erhobenen Bilddaten eine Möglichkeit geschaffen, in Zukunft eine rTMS-Anwendung gezielt auf die jeweils ermittelten Gehirnbereiche auszurichten. „Jede Depression ist anders“, so Goya-Maldonado. „Unsere Ergebnisse können helfen, betroffene Netzwerke von gesunden abzugrenzen und so den optimalen Ort für eine Stimulation zu finden. Auch tragen sie dazu bei, die Ursachen von Depressionen besser zu verstehen.“
Depressionen sind weit verbreitet: Bis zu 20 Prozent aller Menschen sind im Verlauf ihres Lebens einmal davon betroffen – weltweit geht man von rund 350 Millionen Erkrankten aus. Rund ein Drittel der Patienten spricht nicht ausreichend auf eine Behandlung mit Medikamenten und/oder Psychotherapie an. Bei der repetitiven Transkranialen Magnetstimulation (rTMS) wird eine Magnetspule am Kopf angelegt und die Nervenzellen des Gehirns durch Elektromagnetimpulse stimuliert. Die Impulsserien führen zu einer anhaltenden Anregung der Nervenzellaktivität oder umgekehrt kann mit andersartigen Serien eine Überaktivität reguliert werden. Eine Behandlung mit rTMS kann die üblichen medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlungen ergänzen.
Was genau Depressionen auslöst, ist weiterhin nicht vollständig geklärt – doch die Studien geben interessante Hinweise: „Wir sehen, dass in einem erkrankten Gehirn die Interaktionen zwischen betroffenen neuronalen Netzwerken verloren gehen. Durch die rTMS bringen wir diese Regionen zurück ins Spiel und so kann es zu einer Verbesserung der Symptome kommen“, fasst er zusammen. „Unsere Forschung trägt dazu bei, die Ursprünge von Depressionen zu kartieren und die durch rTMS hervorgerufenen Veränderungen in den Hirnnetzwerken besser zu verstehen.“
Diagnose Depression: Wo der Mensch der Maschine überlegen ist
Doch auch wenn diese Ergebnisse Mut machen – das Gehirn ist immer wieder für Überraschungen gut, leider ergeben sich manchmal aber auch für Rückschläge. In weiteren Studien untersuchten Goya-Maldonado und sein Team in Zusammenarbeit mit Forschenden aus aller Welt, ob maschinelles Lernen die Diagnose von Depressionen verbessern kann, um damit vielleicht in Zukunft Ärztinnen und Ärzte bei einer Diagnose zu unterstützen. „Wir haben getestet, wie genau die am häufigsten verwendeten Algorithmen anhand von strukturellen Magnetresonanzaufnahmen depressive Patientinnen und Patienten von einer gesunden Kontrollgruppe unterscheiden können“, so Goya-Maldonado. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Programm eine Depression korrekt erkannte, lag bei 50 Prozent – also nicht genauer, als eine Münze zu werfen. „Die meisten Algorithmen können zurzeit diese Unterscheidung selbst mit Daten von Tausenden von Teilnehmern nicht zuverlässig leisten“, fasst er zusammen. „Hier sind weitere Arbeiten notwendig, um eine höhere Vorhersagekraft erreichen können.“ Ist er enttäuscht von dem Ergebnis? „Nein, gar nicht! Das ist Wissenschaft und dazu gehört auch, dass es mal negative Ergebnisse gibt. Dies führt uns dazu, die Sache aus einer anderen Perspektive zu betrachten“, sagt er.
Kommunikation ist der Schlüssel
Der gebürtige Brasilianer kam 2005 nach Deutschland, um in Heidelberg seine Doktorarbeit zu schreiben. Ein holpriger Start, denn in der neuen Heimat war es kalt und die Sprache machte ihm Schwierigkeiten. Doch er biss sich durch, lernte ohne jegliche Vorkenntnisse Deutsch und fasste mit Unterstützung guter Freunde Fuß. „Ein persönlicher Beweis, dass auch mein Gehirn formbar sein kann“, sagt er lachend. Neben einem großen Maß an Lebensfreude half ihm dabei möglicherweise auch seine Fähigkeit, Muster zu erkennen und daraus Strategien abzuleiten. Ein Beispiel? Aus seiner Sicht ist es die Sprache, die ein Licht auf die unterschiedliche Mentalität von Brasilianern und Deutschen wirft. „In meiner Muttersprache, dem Portugiesischen, kommt das Verb immer an zweiter Stelle, man weiß also gleich, was wir wollen. Im Deutschen kommt das Verb am Ende eines Satzes … Man muss hierzulande Geduld haben und wirklich bis zum Ende zuhören!“
Gute Kommunikation ist auch sein Anliegen, wenn es um die Welt der Wissenschaft geht, in der er sich sehr wohlfühlt: „Mein Wunsch wäre, dass wir noch mehr fachübergreifend miteinander reden, Daten teilen und voneinander lernen. Hier ist in den vergangenen Jahren viel in Bewegung gekommen und das ist wunderbar. Das Gehirn ist ungeheuer komplex. Und viele Lösungen, von denen Patientinnen und Patienten profitieren können, sind nicht in einer Forschungsdisziplin verortet, sondern liegen vielleicht genau an der Schnittstelle zwischen beispielsweise Medizin, Biologie, Physik, Bioinformatik oder Mathematik.“
Doch Forschung und Kommunikation sind nicht alles – es muss auch einen Ausgleich geben. Goya-Maldonado geht gern in die Natur, reist viel und bleibt dem genauen Hinschauen auch in seiner Freizeit treu: Er fotografiert leidenschaftlich gern und hat seine Aufnahmen auch schon bei Ausstellungen gezeigt – Bildgebung eines Hirnforschers auf ungewohnte Art und Weise.