September 2019

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„Die Natur können Computer nicht entzaubern“

Der Siegeszug der KI verlangt nach immer mehr Datenspezialisten. Olaf Wolkenhauer ist einer von ihnen. Im Interview erklärt er, was ein Data Scientist alles können muss und wo der Computer in der biomedizinischen Forschung an seine Grenzen stößt.

Wissenschaftleirnnen und Wissenschafter an Computerarbeitsplätzen im modernen Labor

Die Menge an Bilddaten in der Medizin wächst rasant. Um diese für KI nutzbar zu machen, bedarf es gut vernetzter Datenexperten.

Gorodenkoff/Adobe Stock

Was steckt hinter den aktuellen Erfolgen der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Medizin?

Prof. Wolkenhauer: Es gab in den letzten drei Jahren spektakuläre Entwicklungen in der Analyse von Bildern mit Hilfe von KI. Im Klinikalltag und im Labor werden häufig Bilddaten generiert, von Röntgenbildern über MRT- bis hin zu Mikroskopie-Aufnahmen. Das ist die Grundlage für den Durchbruch der KI in der Medizin. Inzwischen ist die Bildanalyse so gut geworden, dass eine Vielzahl von klinischen Anwendungen denkbar ist.

Computer haben sogar gelernt, Tumorzellen zu erkennen. Sieht die Maschine inzwischen sogar besser als das menschliche Auge?

Wenn es schnell gehen muss und eine sehr große Menge von Beispielen vorliegt, dann ist der Computer dem Menschen immer überlegen. Das heißt aber nicht, dass Ärztinnen und Ärzte künftig ersetzbar wären. In der Medizin spielt der Kontext der Patientinnen und Patienten eine entscheidende Rolle. Ihr Erscheinungsbild, ihre Lebensumstände, ihre Krankheitsgeschichte – all das muss berücksichtigt werden, um die richtige therapeutische Entscheidung zu treffen. Deswegen kann der Computer in den meisten Fällen nur der Assistent sein. Zudem muss eine große Menge an Daten vorhanden sein, damit die Algorithmen erfolgreich lernen können. Das ist in vielen Bereichen der Medizin im Moment leider noch zu selten der Fall.

Woran liegt das?

Gerade in Deutschland sind viele Krankenhaussysteme noch nicht kompatibel und die Gesetzeslage zum Austausch von Daten ist sehr kompliziert. Zudem sind die Patientinnen und Patienten bei der Weitergabe ihrer Daten vorsichtig. Grundsätzlich sind diese Sorgen auch berechtigt, wenn kommerzielle Interessen ins Spiel kommen. Ich finde es aber paradox, dass wir Menschen bereit sind, völlig unkritisch private Daten in sozialen Netzwerken preiszugeben. Aber wenn wir ins Krankenhaus gehen, haben wir Angst, dass die Daten missbraucht werden. Diese Sorgen müssen wir den Leuten nehmen. In der medizinischen Forschung brauchen wir diese Daten, um Fortschritte zu erzielen, die letztlich den Patientinnen und Patienten zugutekommen.

Welche Rolle spielen Forschende wie Sie, die sich als Data Scientist bezeichnen?

Professor Olaf Wolkenhauer

Professor Olaf Wolkenhauer von der Universität Rostock arbeitet als Data Scientist.

ITMZ Uni Rostock

Wenn ein Computer dahintersteckt, vermittelt das oft den Eindruck einer einfachen Lösung. Hinter jeder vermeintlich „smarten“ Lösung stecken aber komplizierte Verarbeitungsschritte. Die Daten sind extrem vielfältig und aufgrund dieser Vielfältigkeit ist das Berufsbild des Data Scientist entstanden. Dieser muss sich mit einer Vielzahl von Methoden auskennen, um die Daten analysieren und interpretieren zu können. Das heißt, es gibt nicht den einen Algorithmus, der richtig ist. Sondern es ist eine ganze Reihe von unterschiedlichen Algorithmen für die Datenanalyse nötig, die in einer cleveren Art und Weise kombiniert werden müssen. Und das ist das Handwerk des Data Scientists. Das ist anspruchsvoll und erfordert auch den ständigen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen.

Dabei unterstützt Sie auch de.NBI – das Deutsche Netzwerk für Bioinformatik-Infrastruktur.

Für uns wird es immer wichtiger, über die Grenzen der eigenen Arbeitsgruppe hinweg zusammenzuarbeiten. Beim de.NBI-Netzwerk stehen wir im engen Austausch mit Data Scientists in ganz Deutschland. Zudem entwickeln wir dort Workflows für die Datenanalyse und stellen diese dann wiederum anderen Forschern zur Verfügung.

Big Data sind große und komplexe Datenmengen, deren Analyse herkömmliche IT-Methoden überfordert. Als Sammelbegriff umfasst Big Data auch jene technischen Lösungen, die den Anforderungen von Big Data gewachsen sind. Sie können in riesigen Datenmengen unbekannte Zusammenhänge aufspüren und neue Erkenntnisse hervorbringen.

Data Scientists beschäftigen sich wissenschaftlich mit großen Datenmengen. Sie wenden ein breites Methodenspektrum an – darunter Verfahren der Künstlichen Intelligenz – um Daten zu analysieren und zu interpretieren.

Wie nutzen Sie selbst die KI für Ihre Forschung?

Wir wollen mithilfe von KI-Methoden vor allem die Diagnostik verbessern. In einem aktuellen Projekt geht es um die Analyse der Zellen im Blut. Deren Form gibt oft Aufschluss über bestimmte Krankheitsbilder, etwa über Leukämie. In der Blutprobe einer Patientin oder eines Patienten befinden sich sehr viele, sehr kleine Zellen, von denen man inzwischen Aufnahmen machen kann. Bei der Analyse der Zellformen unterstützen uns Methoden des Maschinellen Lernens. So könnte Leukämie künftig über einen einfachen Bluttest schneller und präziser erkannt werden. Aber wir wenden die Algorithmen nicht mehr nur auf Bilddaten an, sondern auch auf Sequenzierungsdaten. Diese ergeben sich zum Beispiel bei der Sequenzierung der DNA oder des Mikrobioms einer Patientin oder eines Patienten im Darm. Beides kann ebenfalls Aufschluss über bestimmte Krankheiten geben.

Wo sehen Sie die Grenzen von KI – gerade in Bezug auf Lebenswissenschaften und Medizin?

Im Moment gibt es bei der KI noch ein wesentliches Problem: Die Vorhersagen funktionieren zwar gut, sind aber oft nicht nachvollziehbar. Die KI hat noch kein theoretisches Fundament. Aber das war bei Flugzeugen genauso. Die wurden erst gebaut und konnten fliegen. Und hinterher kam dann die Theorie der Aerodynamik dazu, hat all das erklärt und dabei geholfen, die Flugzeuge zu optimieren. Und so wird das vermutlich auch bei der KI passieren. Bezogen auf die Patientinnen und Patienten bedeutet das: Die Vorhersagen sind zumeist sehr gut. Die KI kann etwa feststellen, ob eine bestimmte Krankheit vorliegt oder ob eine Therapie funktionieren wird. Um jedoch zu verstehen, warum eine Krankheit entsteht, sind andere Forschungsansätze wie die Systembiologie notwendig. Ich glaube, die Natur ist so wunderbar komplex, dass Computer es so schnell nicht schaffen werden, all das zu entzaubern. Diese Komplexität setzt der KI ihre Grenzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

de.NBI – ein Netzwerk für Big Data

Das Deutsche Netzwerk für Bioinformatik-Infrastruktur (de.NBI) unterstützt die lebenswissenschaftliche Forschungs-Community beim Umgang mit großen Datenmengen. Im Mittelpunkt der Fördermaßnahme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung stehen spezielle Leistungszentren, die über spezifisches Know-how und Ressourcen in der Bioinformatik verfügen. Zudem bieten sie einen umfassenden bioinformatischen Service für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Trainings zur effektiven Datennutzung an. Das Netzwerk besteht aus acht Leistungszentren mit mehr als 40 Forschungsgruppen, zu denen rund 150 Bioinformatikerinnen und -informatiker zählen. Seit August 2016 gehört Deutschland zudem zur europäischen Infrastrukturinitiative ELIXIR. Das de.NBI-Netzwerk bietet als deutscher Knotenpunkt seine Aktivitäten seither auch auf europäischer Ebene an. Das BMBF fördert de.NBI bis 2021 mit mehr als 70 Millionen Euro.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Olaf Wolkenhauer
Universität Rostock
Lehrstuhl für Systembiologie und Bioinformatik
Ulmenstraße 69
18057 Rostock
olaf.wolkenhauer@uni-rostock.de