Der Forschungsverbund ADOPT hat digitale Therapieverfahren für Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen entwickelt. Damit können die Betroffenen und ihre Familien auch zu Hause fachlich fundiert psychotherapeutisch unterstützt werden.
Reagiert ein Kind auf verschiedene negative Ereignisse sehr häufig besonders empfindlich und mit besonders starken Gefühlsausbrüchen, starkem Ärger und hoher Aggressivität, spricht man in der Fachwelt von Affektiver Dysregulation (AD). Die Symptome spielen bei verschiedenen psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter eine zentrale Rolle. Um die Ursachen der AD noch besser zu verstehen und entsprechend Diagnostik und Therapieverfahren zu optimieren, haben sich 2017 mehrere Forschungseinrichtungen für das auf sechs Jahre angelegte Projekt ADOPT unter der Leitung von Professor Dr. Manfred Döpfner zusammengeschlossen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte den Verbund mit rund 3,8 Millionen Euro.
Die 2020 einsetzende SARS-CoV-2-Pandemie brachte neue Aspekte in das Projekt: Die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen drohten die Forschungsaktivitäten und damit auch die Untersuchungsergebnisse zu verfälschen, stellten zugleich aber ein belastendes Ereignis dar, auf welches Kinder mit Affektiver Dysregulation möglicherweise besonders stark reagieren. „Wir haben unser Konzept angepasst und nun auch die Effekte der Pandemie mit in den Blick genommen“, erklärt Döpfner, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut am Universitätsklinikum Köln.
SARS-CoV-2-Pandemie: Einschränkungen belasten gesunde und kranke Kinder gleichermaßen
Um ein Bild über die Auswirkungen der Pandemie zu gewinnen, entwickelten die Forschenden gemeinsam mit Familienangehörigen, Betreuungskräften sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten einen Fragebogen, der dann von den Kindern und ihren Eltern beantwortet wurde. In die insgesamt drei vom ADOPT-Verbund durchgeführten klinischen Studien flossen Daten von 512 Kindern ohne AD und 269 Kindern mit AD, die in ihren Herkunftsfamilien bzw. in Betreuungseinrichtungen lebten, sowie deren Bezugspersonen ein. Die Studien wurden multizentrisch angelegt, das heißt an sieben Standorten an deutschen Universitäten durchgeführt.
Gefragt wurde beispielsweise, ob die Eltern den Eindruck haben, dass ihr Kind während der Coronakrise gereizter, unruhiger oder unausgeglichener geworden sei. „Ein erwartbares Ergebnis war, dass in der Wahrnehmung der Eltern vor allem die Beziehungen und Bedingungen innerhalb der Familie häufiger schwierig waren, wenn ihr Kind Schwierigkeiten mit der affektiven Regulation hatte“, berichtet Döpfner. Auch zeigte sich, dass die jeweiligen Bezugspersonen einen großen Einfluss darauf haben, wie gut oder schlecht die Kinder und Jugendlichen mit der Situation zurechtkommen.
Unerwartet waren dagegen diese Ergebnisse: Unabhängig von der psychischen Gesundheit der Kinder und unabhängig davon, ob sie in ihrer Herkunftsfamilie oder in Betreuungseinrichtungen lebten – die Befragten und ihre Familien empfanden die pandemiebedingten Einschränkungen gleichermaßen als große Belastung. Je negativer sich diese Einschränkungen auf Familienleben und Freizeitgestaltung auswirkten, desto höher der empfundene Stress. Auf die medikamentöse Behandlung der jungen AD-Betroffenen und ihre psychotherapeutische Begleitung hatten die pandemiebedingten Einschränkungen nur geringen Einfluss. Digitale Angebote wie etwa Videokonferenzen konnten die Einschränkungen zumindest teilweise kompensieren.
Erfolgreich: Unterstützungsangebote über Videokonferenz
„Auch in unserem schon vor der Pandemie erarbeiteten Konzept hatten wir prüfen wollen, wie Familien und Betreuungseinrichtungen auf digitale Unterstützungsangebote reagieren“, berichtet Döpfner. Was als zusätzliche Behandlungsoption gedacht war, erwies sich in der Pandemie zeitweise als einzige Möglichkeit, psychotherapeutische Hilfe zu leisten. Zu Beginn der Pandemie hatte sich herausgestellt, dass Kinder und Erwachsene Teletherapien über Videokonferenzsysteme grundsätzlich gut annehmen. Ob die Zufriedenheit aber auch langfristig anhalten würde?
In einer weiteren Untersuchung und in Kooperation mit der Uniklinik Köln befragte das ADOPT-Team die Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen mit mentalen Störungen im Alter zwischen 4 und 20 Jahren sowie deren Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Die Befragung erfolgte zweimal im Abstand von einem Jahr. Das Ergebnis: Die Zufriedenheit bei den Bezugspersonen blieb auch in der zweiten Befragungsrunde stabil hoch, bei den psychotherapeutischen Fachkräften hingegen sank sie leicht. Zwei von drei Therapeutinnen und Therapeuten (62 %) zeigten sich zufrieden mit der Teletherapie, 83 % der Befragten sahen sich aber in ihren therapeutischen Optionen eingeschränkt. Ebenfalls für 62 % der therapeutischen Fachkräfte hatte die Teletherapie einen positiven Einfluss auf die Beziehung zu ihren jungen Klienten, 81 % aber sahen eine Verschlechterung in der Interaktion mit deren Bezugspersonen.
Erkenntnisse über Pandemie hinaus von Bedeutung
„Unsere Erkenntnisse über Affektive Dysregulationen und die positive Wirkung einer Ferntherapie über Videokonferenzen sind wichtig für den Extremfall einer Pandemie. Sie bilden aber auch eine Grundlage für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit AD in normalen Zeiten“, erklärt Projektleiter Döpfner. Insbesondere seien die Ergebnisse für die Eltern, pädagogische und psychotherapeutische Fachkräfte von Interesse, die nach wissenschaftlich fundierten Unterstützungsangeboten suchen.
BMBF-Förderung für ADOPT
Über die Richtlinie zur Förderung der Kinder- und Jugendgesundheit unterstützte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Verbundprojekt „Affektive Dysregulation – Optimierung von Prävention und Therapie“ (ADOPT) von 2017 bis 2023 mit rund 3,8 Millionen Euro. Die sechs Verbundpartner untersuchten die Häufigkeit und Ausprägung der Störung im Detail, entwickelten die Methoden zur Diagnostik weiter und erarbeiteten neue Behandlungskonzepte, die auf den Einzelfall und die jeweilige Entwicklungsstufe der Betroffenen zugeschnitten sind. Ein wichtiger Teil des therapeutischen Konzeptes war die Erprobung einer Ferntherapie über Videokonferenzen sowie als Selbsthilfe-Onlinetraining für Eltern. In Reaktion auf die SARS-CoV-2-Pandemie wurde auch untersucht, wie sich die Belastung durch die Pandemie auf die untersuchten Familien sowie den Therapieerfolg auswirkten.
Originalpublikationen:
Treier, A.-K., Holas, V., Görtz-Dorten, A. et al. (2023). Impact of the COVID-19 pandemic on children with and without affective dysregulation and their families. Eur Child Adolesc Psychiatry 32, 951–961. DOI: 10.1007/s00787-022-02106-3
von Wirth, E., Meininger, L., Adam, J., Woitecki, K., Treier, A.-K. & Döpfner, M. (2023). Satisfaction with videoconference-delivered CBT provided as part of a blended treatment approach for children and adolescents with mental disorders and their families during the COVID-19 pandemic: A follow-up survey among caregivers and therapists. Journal of Telemedicine and Telecare (epub ahead of print). DOI: 10.1177/1357633X231157103
Ansprechpartner:
Prof. (em.) Dr. Manfred Döpfner
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universitätsklinikum, Medizinische Fakultät
Universität zu Köln
Robert-Koch-Straße 10
50931 Köln
Tel.: 0221 478-76823
E-Mail: manfred.doepfner@uk-koeln.de