Das Erbgut des Menschen, das Genom, ist keine reine Aufreihung von Genen, sondern ein kompliziertes Mosaik aus Genteilen und unzähligen anderen molekularen Elementen. Wie entscheidet ihr komplexes Zusammenspiel über Krankheit oder Gesundheit? Das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) hat bedeutend dazu beigetragen, diese Frage zu beantworten. (Newsletter 65 / Dezember 2013)
Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms vor gut zehn Jahren stellte sich die Frage: Wie kann das neue Wissen im Kampf gegen die Volkskrankheiten genutzt werden? Bereits im Jahr 2001 gründete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Nationale Genomforschungsnetz, kurz NGFN, um genau dies zu erforschen. Bis heute stellte das BMBF hierfür mehr als 600 Millionen Euro bereit.
Die Arbeit
Tatsächlich ist es den geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelungen, sehr viele Kenntnisse über das komplexe Zusammenspiel von Genen und Genprodukten, deren Interaktion mit der Umwelt sowie ihrer Funktion für Gesundheit und Krankheit des Menschen zu erringen. Bis heute haben Forscherinnen und Forscher Tausende von Genen charakterisiert, die ursächlich für Krankheiten sind oder ein wichtiges Element in deren Entstehung oder Verlauf darstellen. Viele der Erkenntnisse konnten längst in die medizinische Anwendung übertragen werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des NGFN waren daran maßgeblich beteiligt: Sie haben an deutschlandweit mehr als 60 Universitäten, Kliniken, Forschungsinstituten und Firmen in fachübergreifender Kooperation international hochbeachtete Erfolge erlangt. Dabei wurde ein weltweit einmaliges Netzwerk geschaffen, in dem krankheitsorientierte Grundlagenforschung und klinische Forschung verzahnt mit der Entwicklung von Hochdurchsatztechnologien die Funktionen des menschlichen Genoms analysieren. So wurden beispielsweise medizinisch wichtige Erkenntnisse in den Bereichen Krebs, Erkrankungen des Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems sowie Infektionen und Entzündungen erarbeitet.
Im NGFN ist der Brückenschlag vom Labor zur Klinik gelungen.
Die Erfolge
Die Leistungskraft des NGFN spiegelt sich wider in den mehr als 5.200 Publikationen in namhaften Fachzeitschriften und in mehr als 500 internationalen Kooperationen verschiedener Forschungsgruppen in 40 Ländern weltweit. Zudem hat das NGFN entscheidend zur Gründung von 13 Industrie-Unternehmen und der Anmeldung von knapp 130 Patenten beigetragen.
Doch welche konkreten Ergebnisse gibt es? NGFN-Wissenschaftler identifizierten beispielsweise Gene, die eine Risikoabschätzung und bessere Therapiesteuerung bei Kindern mit akut lymphatischer Leukämie (ALL), der häufigsten bösartigen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter, ermöglichen. Sie fanden Gene, die die Anfälligkeit für Migräne beeinflussen oder die für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich sind. Marburger NGFN-Forschern ist es gelungen, ein Testverfahren zu etablieren, das einen genetischen Fingerabdruck von Tumoren der Bauchspeicheldrüse ermöglicht. Auf einen Streich können so mehrere Hundert Gene untersucht werden. So können die Wissenschaftler herausfinden, ob in der Bauchspeicheldrüse der Betroffenen ein gefährliches Pankreaskarzinom wuchert oder ob es sich um einen gutartigen bzw. weniger aggressiven Tumor handelt. Davon hängt maßgeblich ab, welche Therapie gewählt werden muss.
Einen ähnlichen Erfolg erzielte ein NGFN-Forschungsteam aus Köln und Essen. Sie können nun frühzeitig den zu erwartenden Krankheitsverlauf von Kindern mit Neuroblastom vorhersagen, einem bösartigen Tumor des peripheren Nervensystems. Etwa die Hälfte der betroffenen Kinder leidet an einer sehr aggressiven Form des Tumors. In anderen Fällen bildet sich das Neuroblastom spontan zurück, und die Erkrankung heilt ohne eine belastende Chemotherapie aus. Mithilfe eines Genchips können Wissenschaftler die Tumore nun molekular charakterisieren, um so individuell die optimale Behandlung festzulegen.
Im NGFN wurde eine Vielzahl von Biomarkern entdeckt, also molekularen Indikatoren, durch die eine gezieltere Behandlung von Patientinnen und Patienten möglich wird, zum Beispiel mit bestimmten molekularen Charakteristika von Brustkrebs, Lungenkrebs oder der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn. Das Potenzial dieser und weiterer Biomarker wird derzeit in verschiedenen klinischen Studien untersucht. Einen aktuellen Forschungserfolg aus dem NGFN finden Sie hier.
Die Zukunft
Mit dem Abschluss des NGFN Ende 2013 ist die moderne molekularbiologische Genomforschung aber keineswegs zum Ende gekommen. Die bisherigen Erkenntnisse und die enorme Wissensbasis sollen zukünftig vermehrt in der Medizin Anwendung finden. Ein vielversprechender Ansatz hierfür ist die Systemmedizin. Hierbei werden Daten aus verschiedenen Bereichen der Genomforschung mit klinischen Daten verknüpft und mit Methoden der Informationswissenschaften untersucht. Viele Tausend Daten beispielsweise zu Genen, Proteinen und Stoffwechselprodukten in Blut oder Urin werden von jedem einzelnen Mitglied einer Patientengruppe erhoben. Durch deren gleichzeitige Analyse sollen neue Erkenntnisse über die betreffende Krankheit gefunden und Ansatzpunkte für die Behandlung entwickelt werden. Mit dem Förderkonzept „e:Med – Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin“ unterstützt das BMBF diese neue Entwicklung in den kommenden acht Jahren mit bis zu 200 Millionen Euro.
Weitere Informationen zum NGFN finden Sie hier.
Das Förderkonzept e:Med können Sie hier herunterladen.
Ansprechpartnerin für das NGFN:
Dr. Silke ArgoNGFN Geschäftsstelle
c/o Deutsches Krebsforschungszentrum – DKFZ
Im Neuenheimer Feld 280, V025
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 424743
Fax: 06221 424651
E-Mail: s.argo@dkfz.de
Ansprechpartner für das Förderkonzept e:Med:
Dr. Andreas Weller
Projektträger im DLRGesundheitsforschung
Heinrich-Konen-Str. 15
3227 Bonn
Tel.: 0228 3821-1188
Fax: 0228 3821-1257
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