Die Palliativforscherin Prof. Monika Führer und ihr Team helfen Eltern, deren Kinder lebensbedrohlich erkrankt sind. Gemeinsam entwickelten sie dafür ein Konzept, das den Eltern wichtige Entscheidungen erleichtern soll.
Liebe Frau Führer, wie können Sie den Eltern schwerstkranker Kinder helfen?
Monika Führer: Durch unsere Arbeit sollen sich die betroffenen Eltern gehört, verstanden und auf Krisen gut vorbereitet fühlen. Wir möchten dafür vor allem die Ängste und Hemmnisse abbauen, die Eltern, Ärzte und andere Fachkräfte daran hindern, über die schwere Krankheit eines Kindes, die Prognose sowie die Chancen und Risiken medizinischer Maßnahmen offen und vertrauensvoll zu sprechen.
In Ihrem Forschungsprojekt PREPARE haben Sie ein Konzept entwickelt, das diesen Eltern bei der Entscheidungsfindung helfen soll.
Das Programm möchte Eltern darin unterstützen und sie dabei begleiten, medizinische Behandlungen für ihr schwer krankes Kind im Voraus zu planen. Sie sollen in Ruhe und mit Zeit überlegen können, welche Behandlung sie sich für ihr Kind wünschen, wenn die Krankheit fortschreitet oder lebensbedrohlich wird. Dazu kann es beispielswiese gehören, gemeinsam Wünsche für die letzte Lebensphase zu formulieren. Für viele Eltern ist es darüber hinaus auch wichtig, dass nicht nur medizinische Fragen besprochen werden, sondern psychosoziale und spirituelle Ansätze miteinbezogen werden.
Wie haben Sie ihr Programm gestaltet, damit Ihnen diese wichtige Begleitung gelingt?
Das Programm ist modular aufgebaut. Es kann flexibel eingesetzt und kombiniert werden. So ist es möglich, auf die sehr individuellen Bedürfnisse der unterschiedlichen Familien einzugehen. Ein zentraler Punkt des Programms ist es, dort anzusetzen, wo die Eltern gerade stehen und Gesprächsangebote regelmäßig zu wiederholen.
Wie ist der Ablauf Ihres Programmes?
Das Programm beginnt mit der Phase des Kennenlernens zwischen der Familie und den gesprächsführenden Fachkräften. An diese Phase schließt sich die Vorbereitung des eigentlichen Vorausplanungsprozesses an. Hier erhalten die Eltern wichtige Informationen über den Ablauf und das Ziel des Gesprächsprozesses. Die darauf folgenden Module können flexibel eingesetzt werden. So ermöglicht beispielsweise das Modul „Blick auf das Kind“ den Eltern im Gespräch mit den Fachkräften die Fähigkeiten und Schwierigkeiten ihres Kindes herauszuarbeiten und der Frage nachzugehen, was für das Kind und die Familie Lebensqualität ausmacht. Das Modul, in dem über Wünsche für die Betreuung am Lebensende gesprochen wird, wird wiederum erst eingesetzt, wenn sich Eltern bereit fühlen, über diese Themen zu sprechen.
Das Programm beinhaltet darüber hinaus Materialien für Eltern, zum Beispiel ein Elterntagebuch, in dem sie Fragen, Gedanken und Sorgen festhalten und die mit den Fachkräften gemeinsam erstellten Gesprächsprotokolle sammeln können. Aber auch die kranken Kinder und Jugendlichen selbst können in den Prozess der Entscheidungsfindung einbezogen werden. Denn aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche in einer ihrem Alter und ihrer Entwicklung angepassten Form die Möglichkeit bekommen, für sich selbst zu sprechen und Fragen zu stellen.
Sie haben in die Entwicklung des Programmes viele unterschiedliche Akteure eingebunden, neben Fachkräften beispielsweise auch Eltern, die ihr Kind verloren haben.
Auch wenn die Fachkräfte im Kinderpalliativzentrum viel Expertise und Erfahrungen in der Vorausplanung mit schwerstkranken Kindern und ihren Eltern sammeln konnten, war uns bewusst, dass wir in die Entwicklung des Programms unbedingt die Perspektiven aller Beteiligten einbeziehen wollen. Besonders wichtig war uns dabei die Perspektive verwaister Eltern. Die große Bereitschaft der Eltern, ihre ganz persönlichen Erfahrungen einzubringen und dadurch anderen Familien mit schwerstkranken Kindern zu helfen, hat uns sehr beeindruckt.
Zum anderen haben wir Wert darauf gelegt unterschiedliche Fachdisziplinen einzubeziehen: Fachkräfte, die Vorausplanungsgespräche führen und gemeinsam mit den Eltern Dokumente erstellen, aber auch Fachkräfte, die in ihrem Arbeitsalltag mit diesen Dokumenten konfrontiert sind und sie umsetzen sollen, wie beispielsweise Sozialpädagogen und Betreuer in integrativen Schulen und Kindergärten oder Notärzte und Intensivmediziner.
Das Programm umfasst auch ein Schulungskonzept für Fachkräfte. Welche Rückmeldung erhalten sie von den Fachkräften?
Die Rückmeldungen der Fachkräfte waren durchgehend positiv. Sie erleben es als hilfreich auf einen strukturierten Leitfaden zurückgreifen zu können und konkrete Hilfestellungen und Tools für die Gesprächsführung zu bekommen. Und sie schätzen die Flexibilität des Programms sehr, da sie die Freiheit schafft, auf die individuellen Bedürfnisse der Familien einzugehen.
Seit einigen Monaten können erste Familien an dem Programm teilnehmen. Können Sie schon einschätzen, ob den Betroffenen das Programm in dieser sehr schwierigen Situation helfen kann?
Die ersten Familien haben uns sehr positive Rückmeldungen gegeben. Oft sind sie anfangs erstaunt darüber, wieviel Zeit sich die medizinischen Fachkräfte nehmen, um das Kind als Person kennenzulernen und Raum für die Ängste und Sorgen der Eltern zu lassen. Sie erleben es als positiv, dass sie von den Fachkräften darin unterstützt werden, die Ressourcen des Kindes und seine Lebensqualität herauszuarbeiten und wertzuschätzen. Im Verlauf des Prozesses erleben sie diese gemeinsame Basis dann als sehr hilfreich, vor allem, wenn es um schwierige Behandlungsentscheidungen geht. Auch die besonderen Formen der Gesprächsführung werden von den Eltern als sehr positiv wahrgenommen: Sie fühlen sich dadurch von den Fachkräften gehört und richtig verstanden.