Sind die Kraftwerke unseres Körpers, die Mitochondrien, nicht mehr voll funktionsfähig, können zahlreiche Krankheiten die Folge sein. Die häufigsten Ursachen hierfür sind seltene Fehler im Erbgut, die oftmals unerkannt bleiben. (Newsletter Nr. 51 / Mai 2011)
Eine neue Methode ermöglicht es erstmals, die genetischen Ursachen für Erkrankungen des Energiestoffwechsels schnell zu finden und den Betroffenen so neue Therapien zu eröffnen.
Herz, Hirn und auch die Muskeln benötigen besonders viel Energie. Ist der Energiestoffwechsel der Mitochondrien gestört, sind deshalb besonders häufig diese Organe betroffen. Erkrankungen des Energiestoffwechsels gehören zu den seltenen Erkrankungen, von denen etwa einer von 5.000 Menschen betroffen ist. Sie zeigen sehr unterschiedliche Krankheitsbilder und Symptome, was ihre Diagnose kompliziert macht. Die häufigsten Ursachen für Erkrankungen des Energiestoffwechsels sind seltene Fehler im Erbgut. „In der Regel kommen jedoch eine Vielzahl von Genen als Ursache infrage, manchmal mehr als 100 Stück. Das macht eine genaue molekulare Diagnose sehr schwierig, zeitaufwendig und teuer“, beschreibt Dr. Holger Prokisch vom Institut für Humangenetik an der Technischen Universität München. Doch ohne genaue Diagnose können die Betroffenen nicht gezielt behandelt werden. Das soll sich nun ändern. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Projektes haben Dr. Prokisch und seine Kolleginnen und Kollegen vom „Netzwerk Mitochondriale Erkrankungen“ gezeigt, dass moderne Methoden der DNA-Analyse es ermöglichen, die genetischen Ursachen für Erkrankungen des Energiestoffwechsels schnell, effizient und kostengünstig zu finden.
Ein Fallbeispiel: Ein Patient leidet seit seiner Geburt an einer Störung im Energiestoffwechsel. Atemnot, Herzprobleme und eine Übersäuerung des Körpers sind einige der Symptome. Aus Gewebeproben wissen die Ärzte, dass ein bestimmtes Enzym zur Energiegewinnung innerhalb der mitochondrialen Atmungskette deutlich weniger aktiv ist als bei Gesunden. Doch die genetische Ursache ist bislang unbekannt. „Wir haben uns mithilfe der Exom-Sequenzierung auf die Suche gemacht“, erklärt Dr. Prokisch. Hierbei sequenzieren die Forscher nicht das gesamte Genom des Patienten, sondern beschränken sich auf das Exom, also den Bereich des menschlichen Genoms, der für Proteine oder andere funktionelle Produkte kodiert. Das Exom macht nur etwa ein Prozent der gesamten menschlichen DNA aus, ist aber schätzungsweise für mehr als 85 Prozent aller genetisch bedingten Erkrankungen verantwortlich. „Während bei der Routinediagnostik ein Gen nach dem anderen untersucht wird, können bei der Exom-Sequenzierung alle Gene auf einmal geprüft werden. Diese neue Methode dauert nicht viel länger als die Analyse eines Gens und kostet auch nicht viel mehr. Die Herausforderung liegt eher in der Analyse der gewonnenen Daten“, beschreibt Dr. Prokisch. Denn betrachtet man die 30 Millionen Basenpaare des Exoms, finden die Wissenschaftler bei jedem Menschen etwa 12.000 Positionen, die sich von Mensch zu Mensch unterscheiden. Rund 6.500 dieser mutierten Positionen führen zu einer Veränderung im kodierten Protein. „Filtert man anschließend alle häufigen Varianten heraus, unter der Annahme, dass diese nicht krankheitsrelevant sind, so bleiben etwa 500 individuelle Varianten übrig, die tatsächlich spezifisch sind für die untersuchte Person, also in unserem Fall für den Patienten mit der Energiestoffwechselstörung“, so Dr. Prokisch.
Doch welche dieser Mutationen ist für die Erkrankung verantwortlich? Viele seltene Erkrankungen werden rezessiv vererbt, das heißt, beide Kopien eines Gens müssen betroffen sein, damit die Erkrankung ausbricht. Sucht man also nach Genen, von denen zwei verschiedene mutierte Varianten – eine von der Mutter und eine vom Vater – zu finden sind, kommen noch etwa 30 Gene als Ursache der Erkrankung infrage. „An diesem Punkt profitierten wir bei unserer Suche von der Gewebeprobe des Patienten. Sie hatte ja gezeigt, dass ein enzymatischer Defekt in der mitochondrialen Atmungskette vorliegt“, sagt Dr. Prokisch. Da nur eines der 30 möglichen Gene für ein Protein kodiert, das eine Aufgabe in den Mitochondrien erfüllt, war die Ursache schnell gefunden: Das für die Erkrankung des Energiestoffwechsels verantwortliche Gen heißt Acyl-CoA-Dehydrogenase 9, kurz ACAD9. Der Beweis: Schleusen die Wissenschaftler im Labor das intakte ACAD9-Gen in die kranken Zellen, sind sie wieder voll funktionsfähig. „Bislang war noch nicht einmal bekannt, dass ACAD9 eine Funktion in der Atmungskette hat“, so Dr. Prokisch.
In diesem konkreten Fall lieferte die molekulare Diagnose den Wissenschaftlern direkt eine Idee für einen Therapieansatz: Denn die Veränderungen im ACAD9-Gen führen vermutlich dazu, dass sich das Protein fehlerhaft faltet. „Dadurch wird wohl auch der Einbau von Riboflavin, also Vitamin B2, in das Enzym behindert, das für die Aktivität von ACAD9 wichtig ist“, erklärt Dr. Prokisch. Im Labor lässt sich der Energiestoffwechsel der defekten Zellen tatsächlich durch die zusätzliche Gabe von Riboflavin steigern. „Unser Patient wird nun mit einer hohen Dosis Riboflavin behandelt und wir hoffen, dass ihm diese Behandlung hilft.“
Fazit: Mithilfe der Exom-Sequenzierung ist es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des BMBF-Netzwerks nicht nur gelungen, ein neues krankheitsrelevantes Gen für Störungen des Energiestoffwechsels zu finden. Das Wissen um die genetische Ursache eröffnet den Betroffenen nun auch eine neue Therapieoption.
Ansprechpartner:
Dr. Holger Prokisch
Technische Universität München
Institut für Humangenetik
Trogerstraße 32
81675 München
Tel.: 089 3187-2890
Fax: 089 3187-3297
E-Mail: prokisch@helmholtz-muenchen.de