Wer sich längere Zeit ungesund ernährt, verändert womöglich dauerhaft wichtige Schaltstellen in seinem Erbgut. Eltern steigern dadurch nicht nur das eigene Risiko auf Stoffwechselerkrankungen, sondern auch das ihrer künftigen Nachkommen.
Gene oder Umwelt – was hat mehr Macht über unsere Gesundheit? Eine einfache Antwort gibt es nicht, das zeigt sich auch und gerade bei komplexen Stoffwechselerkrankungen wie Übergewicht und Diabetes. Manche Menschen sind aufgrund ihrer Erbanlagen mit einem höheren Krankheitsrisiko belastet als andere. Ob sie aber im Laufe ihres Lebens tatsächlich adipös oder zuckerkrank werden, hängt stark von ihren Essgewohnheiten und sportlichen Aktivitäten ab. Wie sehr sich körpereigene und äußere Einflüsse überlagern und wechselseitig beeinflussen, erforscht eine neue Disziplin namens Epigenetik (siehe Infokasten). Demnach erben wir von unseren Eltern nicht nur eine Vielzahl gesundheitsrelevanter Gene, sondern auch deren epigenetische Programmierung – und damit die Wahrscheinlichkeit, ob und wie stark bestimmte Erkrankungen ausbrechen.
Schon seit Längerem ist bekannt, dass werdende Eltern durch ihren Lebensstil die Weichen für die Entwicklung ihrer Kinder stellen. Deshalb sind Frauen gut beraten, während oder schon einige Zeit vor einer Schwangerschaft weitgehend auf Tabak und Alkohol zu verzichten. Doch auch künftige Väter haben Einfluss auf die spätere Gesundheit ihrer Kinder: Denn Rauchen und ungesunde Ernährung verändern den epigenetischen Code – und bestimmen dadurch mit, welche Gene im Erbgut aktiviert werden und welche nicht. Solche Veränderungen können sich beispielsweise in Darm-, Fett- oder Leberzellen, aber auch in Spermien und Eizellen ereignen und werden dann bei der Zeugung an den Nachwuchs vererbt.
Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) am Helmholtz Zentrum München und der Technischen Universität München hat nun Art und Ausmaß der Vererbung epigenetischer Informationen genauer untersucht. Die Studien erfolgten an einem Mausstamm, dessen Tiere genetisch weitgehend identisch sind. Füttert man diese Mäuse mit einer besonders fettreichen Nahrung, so werden sie übergewichtig und erkranken an Typ-2-Diabetes. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Nachkommen erkrankter Mäuse im Vergleich zu Abkömmlingen gesunder Artgenossen schneller und mehr Fett ansetzen, wenn sie fettes Futter fressen.
Die DZD-Forscherinnen und -Forscher gingen der Frage nach, wodurch diese gravierenden Unterschiede in der Entwicklung der Mäusejungen ausgelöst werden. Dazu fütterten sie eine Gruppe von Nagern so lange mit fettreicher Kost, bis die Tiere dick und zuckerkrank waren. Eine Gruppe von Kontrolltieren bekam dagegen normales Futter und blieb entsprechend schlank und gesund. Anschließend sollten dicke und schlanke Mäuse gezielt so verpaart werden, dass daraus vier Gruppen von Nachkommen resultieren: solche mit zwei dicken oder zwei schlanken Eltern und solche mit nur einem dicken Elternteil. Dabei galt es eine Schwierigkeit zu überwinden, die die Interpretation früherer Studien erschwert hatte: Wie lassen sich epigenetische Einflüsse von anderen Wirkungen des elterlichen Organismus trennen? Dicke und schlanke Muttertiere könnten nämlich schon alleine aufgrund ihres abweichenden Stoffwechsels bereits während der Schwangerschaft oder später beim Säugen die gesundheitliche Entwicklung ihrer Jungen auf jeweils unterschiedliche Weise prägen – und zwar unabhängig von möglichen epigenetischen Einflüssen. Das Forschungsteam um Studienleiter Prof. Dr. Johannes Beckers fand einen Ausweg aus diesem Dilemma. Es brachte Eizellen und Spermien von dicken oder schlanken Versuchstieren im Reagenzglas zusammen und ließ die künstlich gezeugten Embryonen anschließend von gesunden Mäusen desselben Stammes austragen. Dadurch konnten die epigenetischen Wirkungen der mütterlichen und väterlichen Keimzellen aufgeschlüsselt werden; zudem war ausgeschlossen, dass sie von physiologischen Signalen des mütterlichen Organismus überlagert würden.
Die Forschungsarbeiten, die mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt wurden, erschienen kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Genetics“. DZD-Vorstand Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis fasst die wichtigsten Ergebnisse der von ihm initiierten Studie zusammen: „Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass die Vererbung erworbener Eigenschaften – in diesem Falle einer Fettleibigkeit, also eines entgleisten Metabolismus – tatsächlich durch epigenetische Mechanismen weitergegeben wird.“ Das geschehe sowohl über den väterlichen als auch über den mütterlichen Weg, so der Wissenschaftler: „Wir sehen zwei verschiedene Effekte bei der Tochtergeneration: einerseits eine Gewichtszunahme und andererseits eine Stoffwechselentgleisung in Form einer Insulinresistenz. Zu einer Gewichtszunahme tragen Väter und Mütter in etwa gleich viel bei, wenngleich sich die zugrunde liegenden Mechanismen unterscheiden. Bei der Insulinresistenz scheint der mütterliche Einfluss stärker zu sein.“ Eine detaillierte Analyse brachte ans Licht, dass männliche und weibliche Nachkommen vom epigenetischen Erbe unterschiedlich betroffen sind: Die Töchter dicker Mäuse legten noch mehr Gewicht zu als ihre Brüder; jene hatten dagegen größere Probleme mit dem Blutzucker.
Martin Hrabě de Angelis sieht in den Studienergebnissen eine mögliche Erklärung, warum seit den Sechzigerjahren weltweit immer mehr Menschen an Adipositas und Diabetes erkranken: „Veränderungen der Gene selbst können diesen Anstieg nicht erklären, dazu schreitet er zu schnell voran. Nun haben wir eine weitere wichtige Ursache gefunden: die epigenetische Vererbung einer durch Fehlernährung erworbenen Stoffwechselstörung.“ Molekularbiologische Untersuchungen sollen nun Aufschluss über die chemischen Veränderungen am Erbgut der Keimzellen geben. Infrage kommen neben verschiedenen RNA-Transkripten im Zellkörper vor allem auch chemische Veränderungen an bestimmten Stellen der DNA, sogenannte Methylierungen.
Dass ernährungsbedingt veränderte Methylierungsmuster den Gesundheitszustand von Mäusen in drastischer Weise beeinflussen können, entdeckte ein weiteres Forschungsteam am DZD unter Führung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Annette Schürmann hatten genetisch identische Mäuse mit einer fettreichen Diät gefüttert und dann die gesundheitliche Entwicklung der Tiere dokumentiert. Dabei stellte sich heraus, dass manche Mäuse viel stärker zunahmen als die übrigen Tiere und zudem im Erwachsenenalter eine Fettleber ausbildeten. Wie konnte es zu diesen deutlichen Unterschieden bei genetisch identischen Mäusen kommen? Eine gründliche Analyse zeigte, dass bei den erkrankten Tieren bereits im Alter von sechs Wochen ein am Fettstoffwechsel beteiligtes Gen durch vermehrte Methylierungen epigenetisch verändert war. Infolgedessen wurde das Genprodukt in der Leber der betroffenen Mäuse in deutlich geringeren Mengen produziert, bis schließlich der Zuckerstoffwechsel entgleiste. Das Phänomen ist nicht auf Mäuse beschränkt: Die DIfE-Forscher fanden dieselben epigenetischen Veränderung auch in den Blutzellen von Menschen, die an krankhaftem Übergewicht und gestörtem Zuckerstoffwechsel litten.
Vermutlich gibt es bestimmte Zeitfenster, in denen sich epigenetische Informationen dauerhaft etablieren oder aber wieder zurückgenommen werden können. „Diese Zeitfenster zu finden ist unsere große Hoffnung“, betont Hrabě de Angelis und verweist auf ein vielversprechendes Experiment: „Wenn man bei Mäusen in einem sehr frühen Jugendstadium eine Stoffwechselentgleisung hat und später die Ernährung so umstellt, dass diese Tiere wieder normal schlank werden, dann überträgt sich die Problematik nicht auf die nächste Generation.“ Das eröffnet neue Möglichkeiten, die Entstehung von Adipositas und Diabetes zu beeinflussen, glaubt der Münchner Wissenschaftler und betont: „Ein guter Lebenswandel fördert nicht nur die eigene Gesundheit, sondern zahlt sich noch Generationen später aus.“
Epigenetik ist eine neue Disziplin innerhalb der Genetik. Sie erforscht jene Eigenschaften von Genen, die nicht durch die DNA selbst, sondern durch deren Ablesebereitschaft in Erscheinung treten. Epigenetische Informationen werden durch verschiedene Biomoleküle vermittelt, die wie chemische Schlösser den Zugang zu bestimmten DNA-Sequenzen verwehren oder freigeben und so deren Aktivierbarkeit kontrollieren. Neben den Genen selbst bestimmt auch der epigenetische Code über unser Schicksal. Er kann bewirken, dass bei einem Menschen eine Erbkrankheit ausbricht, während sein genetisch identischer Zwilling verschont bleibt. Manche epigenetischen Markierungen ändern sich im Tag-Nacht-Rhythmus, andere bleiben dauerhaft bestehen, wieder andere werden über die Keimzellen an nachfolgende Generationen vererbt. Welcher epigenetische Code sich bei einem Menschen etabliert und ob er sich im Laufe des Lebens verändert, bestimmen neben körpereigenen Signalstoffen auch die Essgewohnheiten und weitere Aspekte der Lebensführung. Das DZD untersucht die Bedeutung epigenetischer Faktoren bei der Entstehung von Diabetes und Adipositas.
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