Erbliche Querschnittslähmung: Ein Schritt zur Verbesserung der Therapie - Wie Hautzellen helfen können, Substanzen für neue Therapien zu erforschen

Bildquelle: ThinkstockBei Patientinnen und Patienten mit erblicher Querschnittslähmung sterben oft schon vom Kindesalter an kontinuierlich Nervenzellen ab. Induzierte pluripotente Stammzellen, können dabei helfen, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen.Es fängt manchmal schon im Kindes- oder frühen Erwachsenenalter an, mit Unsicherheit beim Gehen und einem Schwächegefühl in den Beinen. Im Laufe der Zeit versagen die Beine noch mehr und die Betroffenen sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Die erbliche Querschnittslähmung ist eine neurodegenerative Erkrankung, die zu den Motoneuronerkrankungen gehört. Charakteristisch für diese Erkrankungen ist der Verlust von Nervenzellfortsätzen, die vom Großhirn zum Rückenmark laufen. Bei der erblichen Querschnittslähmung, auch hereditäre spastische Paraplegie, kurz HSP, genannt, gehören die betroffenen Nervenzellen zum Muskel- und Bewegungsapparat. Sie sind für die Bewegung der Beine verantwortlich.

Die Forschung beginnt an Hautzellen

Die HSP ist bis heute nicht heilbar und es gibt keine kausalen Therapiemöglichkeiten. Das liegt vor allem daran, dass zu wenig über die Ursachen und den Verlauf der Krankheit bekannt ist. „Wir wollten daher verstehen, wie es zu der Degeneration der Nervenzellfortsätze kommt“, erklärt Professorin Dr. Beate Winner vom Universitätsklinikum der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dabei setzte ihr Team aus Forscherinnen und Forschern auf die Stammzelltechnik. Im Zuge des Forschungsprojektes wurden Patientinnen und Patienten mit HSP sowie gesunde Personen untersucht. Die Teilnehmenden wurden in der Bewegungsambulanz der Abteilung für Molekulare Neurologie behandelt. Dr. Zacharias Kohl, der die HSP-Ambulanz leitet, erklärt die Technik: „Wir haben allen teilnehmenden Personen eine kleine Hautbiopsie am Oberarm entnommen. Diese Hautzellen haben wir in der Zellkultur vermehrt.“ Im Labor von Winner wurden diese dann in iPS-Zellen umgewandelt.

Stammzellen entschlüsseln Krankheitsursachen

Die aus den Hautzellen gewonnenen iPS-Zellen wurden anschließend zu Nervenzellen mit langen Fortsätzen umgewandelt. Diese enthalten das Erbgut derjenigen Person, der zuvor die Hautbiopsie entnommen wurde. „Wir konnten also Nervenzellen von Patientinnen und Patienten mit denen von gesunden Personen direkt vergleichen“, erklärt Dr. Steven Havlicek. Er hat als Doktorand in der Arbeitsgruppe die Forschungsarbeiten durchgeführt.

Der direkte Vergleich von Nervenzellen aus gesunden und erkrankten Personen dient dazu, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen. Dies gilt allgemein als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer möglichen Therapie. „Wir stellten dabei fest, dass bei den Nervenzellen von Personen mit erblicher Querschnittslähmung bestimmte Eigenschaften verändert sind. Insbesondere der zellinterne Transport in den Nervenfortsätzen ist betroffen. Diese sind für die Funktion der Zellen aber wichtig“, erklärt Winner. Den Ursachen für diese Veränderungen ist das Team dann weiter nachgegangen. Bei der untersuchten HSP-Erkrankung fehlt den Zellen der Betroffenen ein bestimmtes Protein, das Spastin. Dies beruht auf einem Gendefekt innerhalb des Gens SPG4.

Ein Gendefekt bietet therapeutisches Potenzial

Bildquelle: ThinkstockHSP – drei Buchstaben, die für die Betroffenen ein Leben im Rollstuhl bedeuten.Das Team aus Erlangen-Nürnberg fand einen therapeutischen Ansatzpunkt: „Wir konnten durch gentechnische Methoden die Menge des Spastin Proteins in der Zellkultur auf die normale Dosis zurückbringen. Die Nervenzellen der an HSP erkrankten Personen waren so in der Zellkultur nicht mehr von Kontrollen zu unterscheiden “, resümiert Winner. Auch wenn dieses Vorgehen nicht unmittelbar therapeutisch genutzt werden kann, so ist es doch ein großer Fortschritt. „Ein solches Krankheitsmodell ist von hohem Nutzen. Wir können an den patienteneigenen Nervenzellen jetzt Substanzen überprüfen, die später in der Klinik getestet werden können“, blickt Winner in die Zukunft. Das Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Fördermaßnahme „Selbstständige Forschungsgruppen in den Neurowissenschaften“ gefördert. Mit dieser Fördermaßnahme werden hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen in diesem Forschungsfeld unterstützt, um ihre wissenschaftliche Expertise auszubauen und sich mit der Leitung eines längerfristig konzipierten Forschungsprogramms an einer deutschen Forschungseinrichtung international zu etablieren.

 


Kleine „Alleskönner“: Induzierte pluripotente Stammzellen

Induzierte pluripotente Stammzellen, kurz iPSZellen, können sich nahezu uneingeschränkt vermehren. Sie können außerdem in jeden Typ von Körperzellen ausreifen – mit anderen Worten: Sie sind pluripotent. iPS-Zellen werden beispielsweise aus Hautzellen gewonnen. In der Zellkulturschale wird die Genaktivität der Zellen künstlich beeinflusst. Auf diese Weise werden die einst fertigen Hautzellen quasi in einen embryonalen Zustand zurückversetzt, sie werden reprogrammiert. iPSZellen sind daher ein gutes Modell zur Erforschung von genetisch bedingten Krankheiten. Hierbei werden sie – wie im Falle der erblichen Querschnittslähmung – aus Zellen von Patientinnen und Patienten gewonnen. Sie tragen dann dieselben genetischen Veränderungen wie die erkrankten Personen. Die grundlegende Technik ist von einem japanischen Stammzellforscher entwickelt worden und revolutionierte die Stammzellforschung. Er wurde hierfür 2012 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Seither haben zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Herstellung der Zellen weiterentwickelt. Da iPS-Zellen aus Körperzellen erzeugt werden, ist ihr Einsatz ethisch weitgehend unbedenklich. Mehr zum Thema iPS-Zellen lesen sie im Beitrag „Wenn kranke Blutzellen zu gesunden Lungenzellen werden“.

Ansprechpartnerin:

Prof. Dr. med. Beate Winner
IZKF Nachwuchsgruppe III
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Glücksstraße 6
91054 Erlangen
Tel.: 09131 85-39301
Fax: 09131/85-39311
E-Mail: beate.winner@med.uni-erlangen.de