Der GAIN-Verbund widmet sich der Erforschung und Behandlung seltener Autoimmunerkrankungen. Die Arbeit der Forschenden ermöglicht eine genaue Diagnosestellung und bedeutet für viele Patientinnen und Patienten so Hilfe nach einer oft jahrelangen Odyssee.
Angeborene Störungen des Immunsystems sind tückisch: Arbeitet das Abwehrsystem des menschlichen Körpers fehlerhaft, kann es zu überschießenden Immunreaktionen kommen, die einzelne Organe oder gar den gesamten Körper angreifen. Ursache dafür können seltene genetische Mutationen sein, die dazu führen, dass das eigne Immunsystem sich nicht gegen fremde Erreger, sondern gegen körpereigene Strukturen richtet. Für die Betroffenen kann dies lebensbedrohlich werden. Viele dieser angeborenen Autoimmunerkrankungen werden oft erst spät diagnostiziert, weil sich die auftretenden Symptome und die Art der Beschwerden individuell stark unterscheiden können.
Derartige genetisch bedingte Autoimmunerkrankungen werden im Forschungsverbund GAIN (German multi-organ Auto-Immunity Network) untersucht. Ärztinnen und Ärzte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Freiburg, München, Hannover und Dresden wollen den Ursachen dieser oft komplexen Autoimmunerkrankungen in zehn Teilprojekten auf die Spur kommen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte den Verbund seit 2019 mit 3,8 Millionen Euro; im Januar 2023 erfolgte eine Förderzusage über weitere 2,5 Millionen Euro.
CTLA4: Schon ein defektes Gen kann ein komplexes Krankheitsbild auslösen
Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen können durch Mutationen in nur einem Gen verursacht werden: Das ist zum Beispiel bei der CTLA4-Defizienz der Fall. CTLA4 ist ein Oberflächenmolekül, das die T-Zellen des Immunsystems hemmt. Ist das Gen für CTLA4 mutiert, kommt es zu einem Defekt des CTLA4-Moleküls und die Hemmung des Immunsystems funktioniert nicht. Eine solche Mutation tritt bei weniger als einer in 250.000 Geburten auf und zählt damit zu den Seltenen Erkrankungen. Menschen mit diesem Gendefekt weisen oft ein komplexes Krankheitsbild auf: Sie können unter Entzündungen der Lunge, des Darms, des zentralen Nervensystems, der Niere oder der Leber leiden, sowie an häufigen Atemwegsinfektionen. Oft manifestiert sich die CTLA4-Defizienz schon im Kindesalter, bei manchen Betroffenen zeigen sich aber auch erst im Erwachsenenalter erste Symptome.
Sowohl die auftretenden Symptome als auch ihre Schwere können sich von Patient zu Patient stark unterscheiden; um eine sichere Diagnose stellen zu können, muss in spezialisierten Zentren ein genetischer Test durchgeführt werden. Da der Defekt nur sehr selten vorkommt, wird ein genetischer Test nur dann empfohlen, wenn die behandelnden Ärztinnen oder Ärzte bereits einen angeborenen Immundefekt vermuten.
„Nicht alle Trägerinnen und Träger dieser Mutationen werden krank, und wenn sie krank werden, sind nicht immer die gleichen Organe betroffen. Diese Zusammenhänge zu beleuchten, ist unser Ziel in GAIN“, erklärt Professor Dr. Bodo Grimbacher, Leiter des Forschungsverbundes am Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) des Universitätsklinikums Freiburg. „Für uns Ärzte ist die Untersuchung solcher seltenen Störungen, die auf ein einzelnes Gen zurückzuführen sind, zudem sehr lehrreich. Sie bietet uns die Chance, auch häufigere Autoimmunkrankheiten zu entschlüsseln, bei denen mehrere Gene mutiert sind“, so Grimbacher.
GAIN-Verbund: Biodatenbank und Patientenregister ermöglichen Begleitstudien
Seit 2019 wurde im GAIN-Verbund eine deutschlandweite Biomaterialbank aufgebaut, in der inzwischen bereits etwa 4.000 (Blut- und Stuhl-)Proben von 270 Patientinnen und Patienten enthalten sind. Die Sammlung solcher Bioproben ist für die Erforschung Seltener Erkrankungen besonders relevant, da die standardisierte Sammlung von vergleichbaren Proben und Daten aufgrund der geringen Zahl von Betroffenen schwierig und zeitaufwendig ist. Das GAIN-Patientenregister dokumentiert für inzwischen mehr als 400 Patienten genetische, klinische und Labor-Daten sowie Daten zur Therapie und Lebensqualität bei Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen.
Dank dieser Informationen konnten genügend Teilnehmende für eine begleitende klinische Studie gewonnen werden, bei der die Sicherheit und Wirksamkeit des in der Rheumabehandlung eingesetzten Medikaments Abatacept untersucht wird. „Abatacept hemmt überaktivierte T-Zellen und hilft dabei das Immunsystem zu regulieren. Erste Ergebnisse der Studie zeigen, dass alle Patienten das Medikament gut vertragen haben und es bei einigen Patienten zur kompletten Remission der Erkrankung führte“, sagt Grimbacher. Diese Studie mit dem Kürzel ABACHAI wird im April 2023 abgeschlossen. Eine weitere, im Januar 2023 gestartete epidemiologische Studie mit dem Namen Qualy-GAIN soll helfen, das Krankheitsmanagement und die Lebensqualität von Menschen mit Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen zu verbessern. „Wir haben diese neue Studie initiiert, da wir auf das Feedback unserer Patienten angewiesen sind, um unsere Behandlungsstrategien zu optimieren“, erklärt Grimbacher.
Seltene Erkrankungen
Eine Erkrankung gilt dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind; „selten“ sind diese Erkrankungen in ihrer Gesamtheit jedoch nicht. Mehr als 6.000 Seltene Erkrankungen sind bekannt, allein in Deutschland leiden mehr als vier Millionen Menschen an einer davon. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die Erforschung der Seltenen Erkrankungen seit 2003 mit erheblichen Anstrengungen: So wurden 144 Millionen Euro in nationale Forschungsverbünde investiert, die sich sowohl der Grundlagenforschung als auch der klinischen Forschung widmen. Eine aktuelle Förderrichtlinie hat bereits bestehenden Verbünden die Möglichkeit eröffnet, für weitere drei Jahre Fördergelder zu erhalten. Hier werden neun Verbünde von 2022 bis 2026 mit rund 21,5 Millionen Euro gefördert.
Zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit beteiligen sich das BMBF und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2019 an dem von der EU geförderten und bis 2024 laufenden European Joint Programme on Rare Diseases (EJP RD). Mit EJP RD ergänzen die daran beteiligten 31 Forschungsförderer aus 23 Ländern das mit E-Rare gestartete internationale Engagement zur Erforschung Seltener Erkrankungen.
Weitere Informationen: www.research4rare.de/ und www.ejprarediseases.org/
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bodo Grimbacher
Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI)
Universitätsklinikum Freiburg
Breisacher Straße 115
79106 Freiburg
Telefon: 0761 270-77731
www.g-a-i-n.de