Erwartung an eine Therapie bestimmt die Wirkung - Blick ins Gehirn verrät die neurobiologischen Ursachen

Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Denn wie wir Schmerzen erleben, hängt von unserer Wahrnehmung ab, von unserer Aufmerksamkeit, unserer Gefühlslage oder unserer Erwartung. Wer kennt dieses Phänomen nicht: Schauen wir einen spannenden Film, juckt ein Mückenstich nicht so sehr, wie wenn wir uns zu Hause langweilen. Und auch die Wirkung von Schmerzmitteln hängt von unserer Wahrnehmung ab: Unsere Erwartung an eine Therapie – ob positiv oder negativ –, bestimmt die Wirkung des Medikaments. Welche neurobiologischen Mechanismen hierfür verantwortlich sind, untersucht eine Wissenschaftlerin aus Hamburg. (Newsletter 62 / April 2013)

Bildquelle: ThinkstockOb ein Medikament Schmerzen lindert, hängt auch von der Erwartung ab.Das Thema Schmerz habe sie schon immer fasziniert. Besonders die neurobiologischen Mechanismen, die unser Schmerzerleben bestimmen. Um diese zu verstehen, schaut Professorin Dr. Ulrike Bingel unserem Gehirn regelrecht bei der Arbeit zu. Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie, kurz fMRT.

Ein Beispiel. Gesunde Freiwillige werden mehrfach für einige Sekunden einem kontrollierten Hitzereiz ausgesetzt, der einen mittleren bis starken Schmerz auslöst. „Mit der funktionellen Magnetresonanztomografie können wir während des Experiments die Schmerzverarbeitung im Gehirn sichtbar machen“, erklärt Bingel, die vor kurzem vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf als Professorin für Funktionelle Bildgebung nach Essen berufen wurde. „Bestimmte Schaltstellen des schmerzverarbeitenden Systems zeigen wie ein Wasserstandsmelder an, ob ein Proband gerade viel oder wenig Schmerz aushalten muss.“ Die bei der Schmerzverarbeitung aktivierten Hirnregionen heißen Thalamus, Insel und somatosensorischer Kortex.

Keine Wirkung trotz Medikament

Interessant wird es, wenn die Probanden während des Versuchs ein Schmerzmittel erhalten. Dann nämlich kommt ihre Erwartung an das Schmerzmedikament ins Spiel. Zunächst bekommen die Probanden das Schmerzmittel in einer „verdeckten“ Infusion, sie rechnen also nicht mit einer Schmerzlinderung. Die Schmerzintensität sinkt. „Wenn wir den Probanden dann mitteilen, dass ihnen jetzt das Medikament verabreicht wird, verdoppelt sich der schmerzlindernde Effekt, obwohl sie die identische Medikamentendosierung erhalten“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Schmerzintensität sinkt also in der Erwartung einer Behandlung deutlich. „Das ist eine Art Placebo- Effekt“, so Bingel. Gänzlich aufgehoben dagegen wird der schmerzlindernde Effekt des Schmerzmittels, wenn den Probanden gesagt wird, dass sie keine Therapie mehr erhalten und es gleich stärker schmerzen könnte. Obwohl ihnen – ohne ihr Wissen – weiter das Schmerzmittel verabreicht wird, schnellt dann die Schmerzintensität wieder auf den Ausgangswert an. Bingel: „Die negative Erwartung und die Angst vor dem Schmerz zerstören den Effekt des Medikaments vollständig. Der Schmerz ist dann genauso stark, als hätten sie überhaupt kein Medikament bekommen.“

In der fMRT konnten die Forscher sehen: Glaubt ein Proband an die Wirkung der Behandlung, wird das körpereigene schmerzhemmende System aktiviert und verstärkt so die schmerzlindernde Wirkung des von außen zugeführten Schmerzmittels. „Damit ist klar, dass negative Erwartungen an eine Therapie deren Erfolg beeinträchtigen und die Wirkung von eigentlich potenten Schmerzmitteln ungünstig beeinflussen können. Das sollte künftig in der Schmerztherapie berücksichtigt werden“, plädiert Bingel. „Hierbei kann es schon helfen, Patienten intensiver und gezielter über ihre Erkrankung und die Behandlung aufzuklären, um positive Erwartungen zu wecken und negative zu vermeiden.“

Schlechte Erfahrungen schmälern Therapieerfolg

Bildquelle: Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfProfessorin Dr. Ulrike Bingel vor ihrem Arbeitsgerät, dem Magnetresonanz-
tomografen.
Ähnliche Effekte haben Bingel und ihr Team mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auch beim Wechsel von Medikamenten beobachtet. In einem weiteren Versuch ließen sie einen Teil der gesunden Freiwilligen schlechte Erfahrungen mit einer vermeintlichen Schmerzsalbe machen. Die Probanden bekamen zwei Tage lang an verschiedenen Stellen der Haut zwar die gleiche Salbe, wussten aber nicht, dass die Forscher mittels Hitze unterschiedlich starke Schmerzreize erzeugten. Am dritten Tag gab es dann statt der Salbe ein Schmerzpflaster, und der Schmerzreiz wurde um 30 Prozent verringert. Wer nun zuvor schlechte Erfahrungen mit der Salbe gemacht hatte, spürte auch mit dem Pflaster weniger Schmerzlinderung. „Schlechte Erfahrungen schmälern also die Erfolgschancen für das nächste Medikament“, sagt Bingel. „Denn die Erfahrung, die ein Patient mit dem ersten Medikament gemacht hat, wird mitgenommen und zumindest teilweise auf die Folgearznei übertragen.“ Dieser „Mitnahmeeffekt“ aber dürfte sich in der Schmerzbehandlung meist schädlich auswirken, befürchtet Bingel. Üblicherweise wird nämlich mit den schwächsten Arzneien begonnen, und erst nach deren Versagen sollen Ärzte eine stärkere Medikamentenklasse erproben. „Ein Vorgehen, das wir möglicherweise überdenken müssen“, sagt Bingel.


Der Blick ins Gehirn – die funktionelle Kernspintomografie
Einen Blick ins Gehirn werfen kann man mit der funktionellen Kernspintomografie – auch funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) genannt. Die Methode erlaubt es, aktive Bereiche des Gehirns sichtbar zu machen. So wird erkennbar, welche Areale „arbeiten“, wenn wir eine spezielle Bewegung ausführen, etwas Bestimmtes erwarten oder Schmerz empfinden. Bei der Messung wird das Gehirn einem sehr starken Magnetfeld ausgesetzt. Das ist völlig ungefährlich und auch komplett schmerzfrei. Die Methode basiert darauf, dass aktive Nervenzellen mehr Sauerstoff benötigen als inaktive. Ein aktives Hirngebiet wird daher vermehrt durchblutet. Im Blut transportiert das eisenhaltige Trägermolekül Hämoglobin den Sauerstoff. Mit Sauerstoff beladenes Hämoglobin hat andere magnetische Eigenschaften als ein unbeladenes Trägermolekül. Die aktiven Hirnbereiche geben daher ein anderes Signal ab als die inaktiven. Im fMRT-Bild sind diese Areale unterschiedlich farblich markiert.


Ansprechpartner: 
Professor Dr. Ulrike Bingel
Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Essen
Hufelandstr. 55
45147 Essen
Tel.: 0201 723-2165
E-Mail: ulrike.bingel@uk-essen.de