Intensives Sehtraining kann Menschen, die an kortikaler Sehschwäche leiden, einen Teil ihrer Sehkraft wiedergeben. Forscher der Universität Dortmund haben ein einfaches und kostengünstiges Verfahren entwickelt, das ein Training auch zu Hause ermöglicht. (Newsletter 28 / Oktober 2006)
Menschen, die zum Beispiel durch einen Schlaganfall ihre Sehfähigkeit partiell eingebüßt haben, können diese Fähigkeit durch ein intensives Sehtraining zum Teil wiedererlangen. Doch die herkömmliche technische Ausrüstung ist aufwendig und bisher nur in Krankenhäusern verfügbar. Darüber hinaus muss geschultes Personal die Blickrichtung der Patienten während des Trainings kontrollieren, um einen möglichst guten Therapieerfolg zu gewährleisten. Technische Verfahren wie das Eye-Tracking, die kontinuierlich die Blickbewegungen der Augen erfassen, können bei abweichender Blickrichtung eines Patienten korrigierend eingreifen, damit auch wirklich das geschädigte Hirnareal trainiert wird. Wissenschaftler am Lehrstuhl für Kommunikationstechnik der Universität Dortmund unter Leitung von Professor Rüdiger Kays entwickelten ein Eye-Tracking-Verfahren mit handelsüblichen, kostengünstigen, elektronischen Bauteilen und einer speziellen Computer-Software für ein effektives Sehtraining zu Hause. Damit wird nun auch eine ambulante Behandlung kortikal bedingter Sehschwäche möglich.
Technisch anspruchsvolle Anwendung - einfach für daheim
Das Prinzip des Eye-Tracking-Verfahrens ist einfach: Zunächst muss der Patient seinen Kopf in angemessener Entfernung zum Computerbildschirm positionieren, während wiederholt optische Reize das Sehzentrum stimulieren. Leuchtdioden am Rand des Bildschirms beleuchten die Augen des Patienten mit infrarotem Licht. Da dieses außerhalb des vom Menschen wahrnehmbaren Lichtspektrums liegt, irritiert es die Patienten nicht. Auf der Hornhaut des Auges spiegeln sich die infraroten Leuchtpunkte, die eine Kamera registriert und daraus die Stellung der Augen zum Bildschirm berechnet. „Ein Computerprogramm kann den Patienten bei abweichender Blickrichtung warnen oder die Trainingssoftware darauf einstellen. Eine Beaufsichtigung durch andere Personen ist nicht mehr notwendig. Die genaue Anpassung an die Bedürfnisse des Betroffenen macht die Therapie effektiver”, so der für das Projekt verantwortliche Diplomingenieur M. Yasser Al Nahlaoui. Der Kooperationspartner Teltra, eine Medizintechnik-Firma aus Bochum, soll das Verfahren zur Serienreife bringen. Eye-Tracking ist keine neue Erfindung: Verschiedene Systeme für die Behandlung von Sehstörungen bedienen sich bereits dieses Prinzips. Allerdings ist ihr Einsatz im ambulanten Bereich aufgrund der erheblichen Kosten bisher nicht wirtschaftlich. Durch das in Dortmund mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelte Verfahren könnten diese Kosten deutlich sinken.
Kortikale Blindheit - eine Störung des Gehirns
Wenn die Augen intakt sind, aber das Sehzentrum im Gehirn nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr funktioniert, spricht man von einer kortikalen Sehstörung. Die Augen können die Umwelt zwar vollständig erfassen, das Gehirn erkennt diese Bilder aber nicht und kann sie nicht verarbeiten. Als Grund dafür kommen Verletzungen, Durchblutungsstörungen oder andere Erkrankungen in Frage. Im Falle eines Schlaganfalls können die Betroffenen beispielsweise die rechte Raumhälfte nicht wahrnehmen, die von der jeweils linken Netzhauthälfte jedes Auges erfasst wird. Ein intensives Sehtraining kann diese Sehschwäche wieder verringern: Der Computer bietet wechselseitig zunächst einfache Lichtblitze, im weiteren Verlauf geometrische Figuren und Farben, die der Patient erkennen soll, mal der blinden linken, mal der sehenden rechten Hälfte der Netzhaut an. Dieses Training, das über einen Zeitraum von sechs Monaten täglich für etwa ein bis zwei Stunden durchgeführt werden sollte, hilft dem Gehirn, die Verarbeitung von visuellen Eindrücken neu zu organisieren. Leicht geschädigte und gesunde Nervenzellen übernehmen die Aufgaben des untergegangenen Nervengewebes. Dadurch erweitert sich der durch die Erkrankung geschrumpfte Bildausschnitt, den das Gehirn von der Umwelt erhält. Der Patient erlangt einen Teil seiner Sehfähigkeit wieder.
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für Eye-Tracking-Technologie:
Universität Dortmund
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